"Schlaf hilft beim Lernen und Erinnern"
Seit den 1920er Jahren wissen wir, dass sich eine erholsame Nachtruhe positiv auf unser Gedächtnis auswirkt. In einem klassischen Experiment der Psychologie verglichen Jenkins und Dallenbach 1924 die Gedächtnisleistung von Personen, die eine Liste zufällig angeordneter Silben auswendig lernen sollten. Personen, die die Liste abends vor dem Schlafengehen auswendig lernten, konnten sich am folgenden Morgen besser daran erinnern als Personen, die diese morgens lernten und dann am Abend abgeprüft wurden. Seit damals konnten Neurowissenschafter den positiven Effekt von Schlaf auf die Gedächtnisleistung nicht nur beim Auswendiglernen von Fakten demonstrieren, sondern auch bei anderen Formen der Erinnerungsbildung, zum Beispiel dem motorischen Lernen (wie beim Anschlagen von Klaviertasten in zufälliger Reihenfolge). Außerdem konnte mittlerweile gezeigt werden, dass sich das Behalten und Wiedergeben von Fakten auch verbessern lässt, wenn die (traumlosen) Tiefschlafphasen ausgedehnt werden.
Doch welche Mechanismen könnten nun tatsächlich einer schlaf-abhängigen Steigerung der Gedächtnisleistung zugrunde liegen? Das erste Teil dieses Puzzles lieferte 1953 eine Operation eines Epilepsie-Patienten, bei der Teile der Gehirnregion des Hippocampus entfernt wurden, um die Krankheit unter Kontrolle zu bringen. Dieser Patient - nennen wir ihn H.M. - zeigte nach der Operation eine massive Einschränkung seines Erinnerungsvermögens: Völlig unerwartet konnte H.M. weder neue Erinnerungen von der Zeit nach der Operation aufbauen noch Erinnerungen an Ereignisse und Erlebnisse kurz vor dem Eingriff abrufen. Allerdings konnte er sich an weiter zurückliegende Geschehnisse noch erinnern. Aus diesen Beobachtungen leiteten Neurowissenschafter ab, dass der Hippocampus als eine Art vorübergehender Speicher dient, aber mit dem Langzeitgedächtnis nicht unmittelbar zu tun hat. Anzunehmen war, dass im Hippocampus nur Erinnerungsspuren temporär gespeichert, diese später erneut abgespielt und zur dauerhaften Speicherung in andere Gehirnregionen transferiert werden. Einer weiteren Hypothese zufolge läuft dieses wiederholte Abspielen der Erinnerungen während des Schlafes ab, um sich nicht mit neuen Erlebnissen aus einer Wachphase zu überlagern.
Versuche mit Ratten unterstützen die Hypothese, dass die Erinnerungsspuren im Hippocampus tatsächlich im Schlaf erneut abgespielt werden. Im Hippocampus codieren bestimmte Neuronen, die sogenannten Platzzellen, für den Aufenthaltsort der Tiere. Die Aktivitätsmuster dieser Platzzellen können sogar das Erlebnis einer Ratte beim Durchwandern eines Labyrinth abbilden. Überraschenderweise zeigte sich in den Versuchen, dass diese Aktivitätsmuster, die quasi das "Labyrinth-Gedächtnis" der Ratten sind, im Schlaf reaktiviert werden. In meiner Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) versuchen wir herauszufinden, wie die Übertragung der Erinnerungsspuren vom Hippocampus in andere Gehirnregionen erfolgt. In ähnlichen Versuchsanordnungen zeichneten wir die Aktivität der Platzzellen nicht nur im Hippocampus, sondern auch im medialen entorhinalen Kortex (MEC) am Rand des Schläfenlappens auf - jener Gehirnregion, über welche der Hippocampus bevorzugt mit anderen Gehirnregionen kommuniziert. Auch im MEC finden sich für die Lokalisierung zuständige Nervenzellen und einige davon, die sogenannten Gitterneuronen, feuern ihre Signale sogar in regelmäßigen, gitter-ähnlichen Mustern. Wir nahmen die Aktivitätsmuster der Zellen während der Erkundung des Labyrinths, aber auch in der darauffolgenden Schlafphase sowohl im Hippocampus als auch in der MEC-Region auf und konnten die Reaktivierung derselben Labyrinth-Aktivitätsmuster in beiden Gehirnregionen auch im Schlaf beobachten. Allerdings fand zu unserer Überraschung im Großteil der Fälle die MEC-Reaktivierung unabhängig von der Hippocampus-Reaktivierung statt. Dies lässt vermuten, dass es sich beim medialen entorhinalen Kortex um ein anderes System der Gedächtnisbildung handelt, das parallel zum Hippocampus arbeitet.
Die Frage ist nun, ob sich beweisen lässt, dass das wiederholte Abspielen der Erinnerungsspuren im Hippocampus selbst das Gedächtnis steigert - auch wenn die MEC-Region unabhängig vom Hippocampus Erinnerungsspuren abspielen kann. Die Wiedergabe findet im Hippocampus üblicherweise in Form schneller, mit einer Frequenz von 200 Hertz ablaufender Oszillationsmuster oder Wellenpakete namens "Ripples" statt. Es ist möglich, den Beginn eines solchen "Ripples" zu erkennen und die neuronale Aktivität während dieser Schwingungen vorübergehend zu unterdrücken. Solche Manipulationen führen zu einer Verzögerung des Lernens und geben einen ersten Hinweis darauf, dass die Reaktivierung dieser Muster für die Ausformung des Langzeitgedächtnisses essenziell ist. Meine Gruppe am IST Austria sucht nach direkten Beweisen für die Rolle dieses wiederholten Abspielens im Zuge der Gedächtnisbildung. Konkret wollen wir zeigen, dass die Muster dieser Wiederholungen selbst von Bedeutung sind. In speziellen Verhaltensexperimenten untersuchen wir, wie Gedächtnisspuren der räumlichen Erinnerung im Schlaf in unterschiedlichen Gehirnregionen wiedergegeben werden. Außerdem schauen wir uns an, wie die Reaktivierung dieser spezifischen, mit Lernen assoziierten Muster eine Vorhersage über die zukünftige Gedächtnisleistung der Tiere ermöglichen könnte.
Auch wenn wir derzeit immer noch nicht komplett verstehen, wie Erinnerungsspuren von einer in die andere Gehirnregion weiterwandern, so ist eines gewiss: Ausreichend Schlaf wirkt sich positiv auf das Erinnerungsvermögen aus.
Service: https://ist.ac.at/de/forschung/biowissenschaften/csicsvari-gruppe