Österreichische Forscher finden Missing Link für Alphabet-Verbreitung
Die Geschichte unseres Alphabets geht auf das 19. Jahrhundert v. Chr. zurück, als westasiatische Arbeiter ägyptische Hieroglyphen in Schriftzeichen übertrugen. Erst 500 bis 600 Jahre später tauchte diese frühalphabetische Schrift in der Levante auf. Österreichische Archäologen haben nun in Israel mit einer auf 1450 v. Chr. datierten, beschrifteten Keramik einen viel früheren Beleg dieser Schrift in der Region und damit ein "Missing Link" für die Alphabet-Verbreitung entdeckt.
Seit 2017 graben Wissenschafter des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Tel Lachisch, einer der bedeutendsten bronze- und eisenzeitlichen Fundorte im heutigen Israel, rund 40 Kilometer südwestlich von Jerusalem gelegen. Eigentliches Ziel des vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts ist die Lösung eines Datierungsproblems, erklärte Felix Höflmayer, der die Grabung gemeinsam mit Katharina Streit leitet, gegenüber der APA. Es geht um Siedlungsschichten in der Südlevante, also dem heutigen Israel, Jordanien und Palästina, am Übergang von der Mittel- zur Spätbronzezeit Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr., die massive Zerstörungsspuren enthalten.
Ende der Hyksos-Herrschaft
Um diese Zeit, etwa um 1550 v. Chr. war die Fremdherrschaft der aus Westasien stammenden Hyksos in Nordägypten zu Ende gegangen. Die Ägypter verfolgten die Hyksos bis in die Südlevante, belagerten dort Städte und zerstörten diese. Beim Versuch der ÖAI-Forscher, die Überreste dieser Zerstörungen in Tel Lachisch genau zu datieren, legten die Archäologen ein monumentales Gebäude aus der Spätbronzezeit, also dem 15. bis 14. Jahrhundert v. Chr. frei und entdeckten dabei ein Keramikfragment mit frühalphabetischen Zeichen darauf.
"Diese Keramikscherbe ist eines der frühesten Beispiele für alphabetische Schrift, die in Israel gefunden wurde", betonte Höflmayer. Mit der C14-Methode konnte die Fundschicht der knapp vier Zentimeter großen Scherbe auf 1450 v. Chr. datiert werden. "Allein ihr Vorhandensein bringt uns dazu, die Entstehung und Verbreitung des frühen Alphabets im Nahen Osten neu zu überdenken", so der Wissenschafter, der die Entdeckung mit Kollegen im Fachjournal "Antiquity" veröffentlicht hat.
"Akrophonisches Prinzip" von Kanaanitern
Nach derzeitigem Wissensstand stammen die Ursprünge unseres Alphabets von aus Westasien stammenden Kanaanitern, die für Ägypten auf der Halbinsel Sinai Kupfer oder Türkis abbauten. Umgeben von Inschriften in ägyptischen Hieroglyphen begannen diese Arbeiter die Hunderten bildhaften Hieroglyphen in ihre Sprache zu übersetzen. Dann verknüpften sie den ersten Laut dieses Worts mit dem entsprechenden Bild - die Wissenschaft nennt dies "akrophonisches Prinzip".
Diese frühalphabetische, auch protosinaitisch genannte Schrift mit etwas mehr als 20 Zeichen wurde spätestens im 11. Jahrhundert v. Chr. von den Phöniziern abstrahiert. Diese phönizische Schrift bildete dann die Basis für das hebräische, griechische und lateinische Alphabet. "Letztendlich schreiben wir nichts anderes als abgewandelte Hieroglyphen, das Konzept ist nach wie vor das gleiche", so Höflmayer.
Die im 19. Jahrhundert v. Chr. entstandene frühalphabetische Schrift sei nach bisherigem Kenntnisstand erst 600 Jahre später in der Südlevante aufgetaucht. "Ob sie in der Zwischenzeit wieder vergessen wurde oder sich einfach die Quellen nicht erhalten haben, wusste man bisher nicht."
So sei man davon ausgegangen, dass sich die frühalphabetische Schrift mit der ägyptischen Herrschaft im 14. oder 13. Jahrhundert v. Chr. in der Südlevante verbreitet hat, betonte der Archäologe. Die aus dem Jahr 1450 v. Chr. stammende Scherbe zeige nun aber, "dass diese Schrift unabhängig von der ägyptischen Dominanz deutlich früher in diese Region vorgedrungen ist, und man muss sich daher die Frage der Ausbreitung des Alphabets ganz neu stellen".
Alltags-Handschrift der Ägypter
Zudem haben die Wissenschafter in der selben Schicht auch Funde mit sogenannter hieratischer Schrift gemacht. Während sich auf Monumenten die allgemein bekannten Hieroglyphen finden, handelt es sich bei der hieratischen Schrift um die Alltags-Handschrift der Ägypter, "etwa wenn man seinen Einkaufszettel geschrieben hat", erklärte Höflmayer. Für ihn zeigen diese Funde, "dass in Lachisch sowohl die hieroglyphische als auch die alphabetische Schreibweise zu einem gewissen Zeitpunkt gleichzeitig existiert haben".
Die von den österreichischen Archäologen entdeckte Scherbe dürfte zu einer importierten zypriotischen Schale gehört haben. Daraufhin würden Material und Dekor hinweisen. Die Innenseite ist mit dunkler Tinte beschriftet, wobei eine Handvoll diagonal geschriebener Buchstaben erhalten ist. Die genaue Bedeutung der Inschrift ist unbekannt. "Das Problem mit allen frühalphabetischen Inschriften ist, dass meist nur sehr wenige Zeichen erhalten sind", so Höflmayer. Die Epigraphiker würden daher versuchen, anhand westsemitischer Dialekte diese Worte zu lesen und ihre Bedeutung in den semitischen Sprachen zu finden. Demnach könnte ein Wort auf dem Keramikfragment "Sklave" bedeuten, aber auch Teil eines Namens sein. Ein weiteres Zeichen könnte für Honig oder Nektar stehen, aber auch Teil eines Verbs sein.
Service: Link zur wissenschaftlichen Arbeit: https://doi.org/10.15184/aqy.2020.157; Projekt-Homepage: http://go.apa.at/OPlHSROZ