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Kaninchenbau oder Meinungsschau? Wie soziale Medien wirken

APA (dpa)
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Vor fünf Jahren ereilte die Pandemie Österreich. Die Corona-Welle sollte sich zu einer nachhaltigen Veränderung der gesamten Gesellschaft auswachsen. So gelten Pandemie und Corona-Impfdebatte auch als Auslöser für eine bis heute anhaltende und durch Themen wie Klimawandel, Rechtsruck in Europa, Demokratie und Rechtsstaat weiter angefachte Debatte: Wie polarisiert ist unsere Gesellschaft und was tragen soziale Medien wie auch eine emotionalisierte (politische) Kommunikation dazu bei?

Die Antworten der von APA-Science befragten Expertinnen und Experten – aus den Bereichen Sozial-, Medien-, Kommunikations- und Geschichtswissenschaften, das sei vorweggenommen, fällt vielschichtig aus. Besonders bei der Frage nach dem evidenzbasiert nachweisbaren Einfluss von sozialen Medien auf den „Verlust der Mitte“ ergibt sich ein: “Ja, aber nicht, wie von vielen oft getrommelt wird.”

Was gegen eine generelle Polarisierung spricht…

Von einer generellen Spaltung der Gesellschaft durch soziale Medien kann hierzulande nicht gesprochen werden, werfen die Forschenden einen differenzierten Blick auf das in vielen Diskussionen beschworene Phänomen der Polarisierung. Einerseits betreffe das nur bestimmte stark emotionalisierende Themen wie Klimawandel, Impfung und Co., die wiederum nur von einer kleinen, aber lauten Minderheit befeuert würden. Wie viel davon überhaupt auf menschliche Akteure entfällt, ist umstritten. Nicht unterschätzt werden sollte jedenfalls der Anteil der Bot-Netzwerke (automatisierte Accounts, die in Debatten eingreifen, also „Troll-Armeen“), die hier mitmischen.

Die Beteiligung an Diskussionen in sozialen Medien habe, so zeigten Untersuchungen, zudem keinen nennenswerten Einfluss auf Meinungsbildung oder Wahlverhalten. Hingewiesen wird auch darauf, dass die diversen Plattformen nur einen Teil des „Medien-Menüs“ ausmachen würden, mit dem man sich täglich beschäftigt, von analogen Informationsquellen, Interaktionen und Diskussionen – Stichwort Stammtisch – mal ganz abgesehen. Digitale Filterblasen und Echokammern sollten also nicht überschätzt werden.

…aber trotzdem problematisch ist

Eine generelle Entwarnung lässt sich daraus aber auch nicht ableiten: Die Nutzung von sozialen Medien als Nachrichtenquelle nehme kontinuierlich zu, gleichzeitig sei das Geschäftsmodell vieler Plattformen auf Emotion und Konflikt ausgerichtet. Die Algorithmen, die die Kommunikation steuern, würden darauf programmiert, die Verweildauer zu erhöhen und nicht darauf, Erkenntnis, Verständnis und Faktentreue zu befördern. Gleichzeitig wächst in Zeiten der Polykrisen auch die „News Avoidance“, wodurch Informationen teils komplett ausgeblendet werden. Dazu komme das Zurückfahren von Moderation und Faktenchecks. Aber von vorne.

Auf einen Blick

Von einer generellen Spaltung der Gesellschaft durch soziale Medien kann hierzulande nicht gesprochen werden. Die Polarisierung betrifft vor allem bestimmte stark emotionalisierende Themen, wie Klimawandel, Impfung und Co. Der Einfluss auf Meinungsbildung oder Wahlverhalten scheint begrenzt. Entwarnung kann aber aufgrund aktueller Entwicklungen wie der veränderten Mediennutzung und zunehmenden Frontenbildung nicht gegeben werden.

Facts

Sind soziale Medien eine Gefahr für unsere Demokratie? (ÖAW-Publikation)

https://go.apa.at/S0tDUy2q 

Digital News Report 2024

https://go.apa.at/qm6Te2eT

Jugend-Internet-Monitor 2025

https://go.apa.at/3kZCt3gi

Jugend-Studie 2024: „Junge Menschen & Demokratie“

https://go.apa.at/s2yZcMdO

„Wir sind nicht mehr sicher, woher Wahrheit kommt.“ Medienexpertin Sophie Lecheler von der Universität Wien

Eine Frage des Vertrauens

Unsere Gesellschaft als „postfaktisch“ zu bezeichnen, war in den vergangenen Jahren diskursiv überaus erfolgreich, wenn nicht sogar en vogue. „Postfaktisch ist tatsächlich ein Ding“, sagt die Medienexpertin Sophie Lecheler von der Universität Wien (siehe Social Media und der „böse Wolf“ ) im Gespräch mit APA-Science. „Es ist nicht nur ein Buzzword, sondern es ist wirklich etwas, was sich verändert hat, wenn wir über politische Kommunikation sprechen.“ Das bedeute allerdings nicht, dass den Menschen Wahrheit nicht mehr wichtig sei. Die Legitimität verschiedener politischer Institutionen wie den Medien und der Regierung sei schlicht und einfach angekratzt. „Wir sind nicht mehr sicher, woher Wahrheit kommt“, so Lecheler.

Die Desinformationsakteure würden primär darauf abzielen, „ein diffuses Gefühl der Unsicherheit zu produzieren, der Zukunftsangst, des Misstrauens gegenüber den Medien“, betont auch Matthias Kettemann von der Universität Innsbruck. Gemeinsam mit mehr als 60 Forschenden hat der Rechtswissenschafter an einem globalen Bericht zu den Wechselwirkungen zwischen Informationsökosystemen und Demokratie gearbeitet, und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Es gibt keine empirischen Belege, dass Desinformation Demokratie gefährdet. Letztlich habe der Diskurs über Desinformation negativere Wirkungen als die Desinformation selbst.

„Trigger“-Themen heizen Diskussionen an

„Von einer generellen Polarisierung oder Spaltung der Gesellschaft zu sprechen, gibt die sozialwissenschaftliche Empirie nicht her“, erklärt Matthias Karmasin, Kommunikationswissenschafter an der Universität Klagenfurt (siehe „Trigger-Themen ja, generelle Spaltung nein“). Sehr wohl gebe es aber „Trigger“-Themen von Klimakrise, Mobilitätswende, Impfen bis zur Migration, die angeheizt von einer kleinen, aber lauten Minderheit Auseinandersetzungen auslösen, die auf Basis von gefühlten Fakten, Emotionen, Propaganda oder ausländischer Einmischung geführt werden.

 

Auseinandersetzungen auf Basis von gefühlten Fakten, Emotionen und Propaganda Credit: APA (Fohringer)
Themenspezifische Polarisierung

 

Eine auf bestimmte Themen bezogene, aber keine „strukturelle Polarisierung“, ortet auch Alexander Bogner, Koordinator des von der Bundesregierung beauftragten Projekts zur Corona-Aufarbeitung an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „Man schickt die eigenen Kinder nicht nur in jene Schulen, wo man die Kinder der anderen Gruppe nicht treffen kann. Oder man folgt auch keinen Heiratsregeln.“ Österreich sei immer noch eine offene und pluralistische Gesellschaft, beruhigt der ÖAW-Soziologe (siehe Vom Ich und dem Dromedar).

 

Er plädiert dafür, politische Konflikte nicht ausschließlich als Wissenskonflikte auszutragen, sondern beispielsweise Fragen wie „Welche Zukunft wollen wir?“ in den Vordergrund zu stellen. Denn auch in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Wissenschaft, aber vor allem auch das durch politische Akteure ideologisierte Wissen, ein großes Thema ist, kann der Blick auf Expertentum polarisierend wirken.

„Walk-Along-Interviews“ mit Landwirten

Meinungsverschiedenheiten habe es in demokratischen Gesellschaften schon immer gegeben, so Anna Durnova von der Universität Wien, „es waren aber die Orte der Auseinandersetzung im öffentlichen Raum nicht so sichtbar.“ Die politische Soziologin entwickelt derzeit neue „interaktive Informationsformate“. Dabei werden etwa Landwirte besucht und im Rahmen von „Walk-Along-Interviews“ durch ihren Alltag begleitet, um so ihre Annahmen zum Klimawandel herauszufiltern.

Soziale Medien würden auch Chancen für direkte Kommunikation und Interaktion bieten, erklärt Denise Voci, Senior Scientist an der Universität Klagenfurt, in ihrem Gastbeitrag. Sie sollten nicht nur als passive Träger von Inhalten, sondern als aktive Akteure im Kommunikationsprozess strategisch genutzt werden, um ehrliche, differenzierte und handlungsorientierte Botschaften zu verbreiten – etwa im Hinblick auf nachhaltige Kommunikation.

Die befragten Expertinnen und Experten

Soziologe Alexander Bogner von der Akademie der Wissenschaften (Credit: Daniel Hinterramskogler/ÖAW)

Anna Durnova, Professorin für Politische Soziologie an der Universität Wien (Credit: Eugenie Sophie)

Johanna Grüblbauer, Leiterin des Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten (Credit: privat)

Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt (Credit: steiermark.at/Scheriau)

Sophie Lecheler von der Universität Wien (Credit: Universität Wien/Jakob-Moritz Eberl)

Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung (Credit: Sabine Hoffmann/FWF)

Denise Voci, Senior Scientist an der Universität Klagenfurt (Credit: AAU/MuK Institut)

Der Begriff „Propaganda“ geht übrigens auf Papst Gregor XV. zurück, der 1622 im Zuge der Gegenreformation die Missionstätigkeit der katholischen Kirche professionalisieren wollte, wie Historikerin Barbara Stelzl-Marx in ihrem Gastbeitrag darlegt. Darin schreibt die Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsforschung über nationalsozialistische Propaganda und weist darauf hin, dass „ausgestreutes Sprachgift langsam, aber sicher in die Gesellschaft einsickert, durch penetrante Wiederholung, massiven Einsatz von Superlativen, Dämonisierung sowie prinzipielle sprachliche Verknüpfung des Gegners mit negativen Adjektiven.“

Empfehlungen an die Politik

Aber was kann diesen Entwicklungen entgegengesetzt werden? Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat unter die Lupe genommen, inwieweit soziale Medien eine Gefahr für die liberale Demokratie darstellen, und daraus unter anderem sechs Empfehlungen an die Politik abgeleitet. Die Palette reicht von der Reform der Medienförderung, der Einrichtung eines Ethikrats für politische Werbung bis zu einem digitalen Ordnungsruf für Politikerinnen und Politiker.

Medienkompetenz muss gestärkt werden

 

Langfristig betrachtet sei die Stärkung von Medienkompetenz und demokratischer Bildung der Bevölkerung sehr wichtig. Die größte Auswirkung auf die Medienlandschaft aus pragmatisch-ökonomischer Sicht hätte eine Reform der Medienförderung und der Inseratenvergabe. Dadurch könnten Qualitätsmedien wirkungsvoll als „Gatekeeper“ fungieren. Angeregt wird auch ein Monitoring von Inhalten, Nutzungsverhalten und Reichweiten der politischen Kommunikation, um für Transparenz zu sorgen.

 

Bei der Medienkompetenz anzusetzen, rät auch Jakob-Moritz Eberl, Senior Scientist an der Universität Wien, in der aktuellen Podcast-Folge von „Nerds mit Auftrag“, etwa durch die Vermittlung der Grundwerkzeuge des Faktenchecks und eine informiert-skeptische Haltung. Das gilt auch für die „Digital Natives“, die nicht zwangsläufig eine hohe digitale Medienkompetenz aufweisen, wie der Gastbeitrag „News will find me“ von Johanna Grüblbauer von der FH St. Pölten zeigt.

Credit: APA (dpa)

Viele Expertinnen und Experten empfehlen, Gemeinsamkeiten zu suchen und auf das Verbindende zu setzen, um der zunehmenden Frontenbildung entgegenzuwirken. Dabei seien Emotionen nicht notwendigerweise schlecht. Inwieweit das reicht, wird sich zeigen. In eine Falle sollte jedenfalls nicht getappt werden: Eine generelle Spaltung der Gesellschaft beziehungsweise den Weg dorthin als unausweichlich anzusehen.

Entgeltliche Information

Die Gestaltung eines Themenschwerpunktes erfolgt gemeinsam mit den APA-Science-Partnern: https://science.apa.at/partner/. Es handelt es sich um entgeltliche Informationen im Sinne des Medientransparenzgesetzes (MedKF-TG). Die redaktionelle Letztverantwortung liegt bei APA-Science.

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