Höher, schneller, Hightech
Wenn sich der Sprinter Usain Bolt aus den Startblöcken katapultiert, sind nicht nur seine direkten Konkurrenten maximal gefordert. Damit der TV-Zuschauer auf dem Sofa nicht abgehängt wird und auf Augenhöhe mitfiebern kann, müssen auch die Kameras mitsprinten. Die Läufer haben eine unglaubliche Beschleunigung, da muss man erst einmal mitkommen, erklärte Alexander Brozek, Geschäftsführer von CamCat-Systems mit Sitz in Rekawinkel (Niederösterreich), im Interview mit der APA.
Seit Salt Lake City 2002 sorgt die Seilbahnkamera "CamCat" bei Olympischen Spielen für spektakuläre Bilder aus der Vogelperspektive, so auch diesmal. "Die Olympischen Spiele in London sind der größte Auftrag in der Geschichte des Unternehmens", sagt Brozek über den bevorstehenden Mega-Event, bei dem das Unternehmen insgesamt sieben Kamera-Strecken im Einsatz hat, eine davon ausschließlich für die Eröffnungszeremonie am 27. Juli.
Bis zu 140 km/h schnell
Eine "CamCat" ist in der Standardausführung eine auf der Unterseite eines beräderten Transportwagens montierte, ferngesteuerte Hightech-Kamera, die per Funk Bilddaten an die Bodenstation überträgt. Der Buggy fährt bei einer Spurbreite von ca. 1,20 Metern auf zwei Kunststoffseilen, die zwischen zwei fixen Punkten gespannt sind. Das System wird von Elektromotoren an den Streckenenden über Zugseile auf bis zu 70 Kilometer pro Stunde beschleunigt. In der Hochgeschwindigkeits-Variante, wie sie etwa an Formel 1-Strecken zum Einsatz kommt, erreicht der Schlitten rund 140 km/h - bei einer Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 2,6 Sekunden.
Im Londoner Olympiastadion begleitet eine CamCat die leichtathletischen Bewerbe. Durch die massive Zusammenballung von technischen Systemen innerhalb des Stadions mussten die CamCat-Entwickler damit rechnen, dass uns zu wenig Funkfrequenzen zur Verfügung stehen. Um diesen Engpass und etwaige Interferenzen zu umgehen, wurde ein eigenes Glasfasermodul entwickelt, das auf dem Kameraschlitten mitfährt und die Daten per Glasfaserkabel störungsfrei an die Regie übermittelt. Vorbedingung war, durch das zusätzlich mitgezogene Kabel keine Einbußen in puncto Beschleunigung oder Höchstgeschwindigkeit in Kauf nehmen zu müssen.
Neue Längenrekorde
Neben der Entwicklung des Glasfasermoduls stellte die Realisierung der olympischen Streckenlängen die zweite, wesentliche Herausforderung dar. Eine der Seilbahnen führt auf rund 1,5 Kilometern Länge am Austragungsort der Pferdewettkämpfe vorbei über die Themse. Dafür wurden zwei Türme von rund 40 bzw. 90 Metern Höhe errichtet. Die von den üblicherweise weit kürzeren Strecken gewohnten physikalischen Kräfteverhältnisse mussten dafür völlig neu kalkuliert werden. Bei langen Strecken gilt das herkömmliche Kräftediagramm nicht mehr. Alle Umlenkrollen sind auf größere Lasten berechnet, das sind ganz andere Kräfte, so Brozek.
Die längste Strecke, auf der die Seilbahnkamera in London operieren wird, ist gut zwei Kilometer lang und über den Ruderbewerben angesiedelt. Damit werde der bisherige Streckenrekord des Unternehmens um weit mehr als das Doppelte übertroffen. Die weiteren Seilbahnen werden bei den Mountainbike-Bewerben, beim Queens House und ab Halbzeit der Spiele beim Kanu-Wildwasser-Bewerb installiert.
Entwicklung einer Windformel
Der Wind ist ein extrem spannendes Thema, so der CamCat-Manager über ein allgegenwärtiges Problem. In London habe man historische Winddaten herangezogen, um etwa die maximal tolerierbare seitliche Schwankungsbreite der Seile (Auswehung) zu ermitteln. So wurden in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur (Boku) speziell für überlange Strecken die Windlasten neu berechnet. Diese Grundlagenarbeit ist eine Voraussetzung für die technische Machbarkeit der neuen Strecken und dauerte ca. ein halbes Jahr. Im Rahmen der Aufbauarbeiten werden wir auch von Wissenschaftern begleitet und vor Ort Messserien durchführen, sagt Brozek.
Beispielsweise müsse man gewährleisten, dass sich das Zug- und das Tragseil niemals berühren. Man berechnet dann die Seilspannung, den Seildurchmesser und das Eigengewicht in einer Relation, so dass die Seile entweder die gleiche Auswehung haben oder räumlich getrennt sind.
Weitere Lösungen waren für die statischen Aufladungen gefragt, die allein durch die Kraft des Windes entstehen können. Wir müssen damit umgehen, dass wir von der Form her kein homogenes Fluggerät haben, das quasi ein asymmetrisches Kraftfeld um sich aufbaut. Da kann es natürlich zu Störungen kommen. Diesen Worst Case, also Bildstörungen, gelte es mit allen Mitteln zu vermeiden.
"Die Anforderungen an die Technik werden wieder alles bis dato Realisierte in den Schatten stellen", wies Brozek auf die intensive Entwicklungstätigkeit hin. Nicht nur, aber vor allem in Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele wird seit etwa drei Jahren "alles, was hereinkommt, in die Entwicklung investiert". Direkt nach den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 hat man bereits mit den Vorbereitungen für London begonnen.
An dieser Stelle muss man darauf verweisen, dass wir den Großteil der Zulieferer und Partner direkt in Österreich haben. Somit bleiben über 90 Prozent der Wertschöpfung im Land, betont Brozek. Die Firma bietet acht fixe Arbeitsplätze, zusätzlich kommen bis zu 34 Freelancer oder Mitarbeiter von Subunternehmern zum Einsatz.
In der Schaltzentrale der "Met Police"
Massenveranstaltungen sind auch für die Sicherheitskräfte ein logistisches Mega-Projekt. Sämtliche Kommunikationssysteme müssen enormen Beanspruchungen genügen, um Notrufe verlässlich und ausfallsfrei koordinieren zu können. Mitten in der Schaltzentrale der Londoner Metropolitan Police soll ein integriertes Kommunikationssystem des Wiener Hightech-Unternehmens Frequentis für einen reibungslosen Ablauf der Polizeiarbeit sorgen.
Ein so genannter Switch, der Sprache und Daten bearbeiten kann, bildet den Kern des Systems. Unmittelbar daran angeschlossen sind 500 Arbeitsplätze, die im Zuge eines Erweiterungsauftrags speziell für die Olympischen Spiele noch einmal um 100 Arbeitsplätze aufgestockt wurden.
"Integriert bedeutet, dass nicht nur die klassische Sprach- und Datenkommunikation, sondern auch die Videoüberwachung mit eingespielt wird", erklärte Unternehmenssprecherin Brigitte Gschiegl auf Anfrage der APA das zentrale Element des Systems. Klickt ein Mitarbeiter in der Schaltzentrale auf einen Einsatzort, erhält er das Videobild von der Kamera. Klickt er noch einmal darauf, kann er mit dem Beamten vor Ort reden.
"Das eine ist der wesentlich kürzere Verbindungsaufbau, das zweite ist die Abhörsicherheit durch verschiedene Spezialthemen und das dritte ist dass das immer redundante Systeme sind", umschreibt Gschiegl die wesentlichen technischen Anforderungen an dieses speziell entwickelte Kommunikationssystem. Die Generalprobe hat das System bereits im Vorjahr bei den Unruhen in London überstanden. Das war eine echte Spitzenbelastung und noch dazu nicht planbar. Das ist dann auch ein Moment wo diese Systeme ihre Feuertaufe bestehen müssen."
Der Auftrag selbst belief sich laut der Sprecherin inklusive des Erweiterungsauftrags auf etwa 50 Mio. Euro und ist bisher das größte Einzelprojekt in der Firmengeschichte. "Unsere Systeme können bis zu 20 Jahre im Einsatz sein und bekommen laufend Upgrades und Erweiterungen", so die Frequntis-Sprecherin.
Wie man Besucherströme steuert
Auch in Wien hat man in jüngerer Vergangenheit Erfahrungen in der Abwicklung von Sport-Großveranstaltungen gemacht. Im Zuge der Fußball Europameisterschaft 2008, die Österreich zusammen mit der Schweiz ausgerichtet hat, erarbeiteten heimische Experten ein Konzept, das speziell auf das Management von großen Besucherströmen ausgelegt ist.
Das System hilft dabei, die Wege der vielen Besucher eines sportlichen Großereignisses zu koordinieren und öffentliche Verkehrsmittel darauf abzustimmen. Es wurde am "Mobility Department" des Austrian Institute of Technology (AIT) in Zusammenarbeit mit den Wiener Linien entwickelt und hat sich bereits bei der Europameisterschaft bewährt. Seitdem wurde es kontinuierlich weiterentwickelt.
Übervolle Bahnsteige erhöhen Unfallgefahr
"Das Prinzip ist relativ einfach", so Stefan Seer Experte für "Crowd Dynamics" am AIT. Schaut man sich einen Bahnhof oder eine U-Bahn-Station bei einer Großveranstaltung an, dann zeige sich fast immer das gleiche Bild: die Masse strömt bis zum Bahnsteig herein, und dort beginnt es sich dann zu stauen. "Man hat dann das Problem, dass möglicherweise Fahrgäste auf die Gleise gestoßen werden und Unfälle passieren." Die Wiener Forscher verfolgen den Ansatz, nur genau so viele Menschen auf die Bahnsteige zu lassen, wie auch tatsächlich in den nächsten Zug hinein passen. Dadurch reduziert sich der Druck auf den Bahnsteigen und der Vorgang des Fahrgastwechsels kann rascher erfolgen.
Bei der Euro 2008 haben die Experten des AIT und der Wiener Linien das sogenannte "RAVE-System" in der damals neuen U2-Station "Stadion" realisiert. Bei den Fußballspielen im Ernst-Happel-Stadion kommt es seither regelmäßig zum Einsatz.
Einlass je nach Andrang
In der Station gibt es zwei Ebenen, wie Seer gegenüber der APA erklärte. Auf der unteren Ebene befinden sich mehrere Portaltüren, über die die Besucher den U-Bahn-Bereich betreten, die Bahnsteige sind oben. "Durch unser System wird der große Druck vor der Station auf einem weitläufigen Platz gehalten, wo auch bei großem Andrang keine großen Dichten auftreten."
Je nachdem, wie viele Fahrgäste bereits in der Station sind, wird der Besucherzustrom reguliert, indem für jedes einzelne Portal eine bestimmte Durchgangsbreite auf der unteren Ebene eingestellt wird. Mit automatischen Personenzählsensoren wird die Personenanzahl erhoben. Die Sensoren kommen ebenfalls vom AIT.
Anleihen an der Natur
Im "Safety & Security Department" hat man "in den letzten Jahren eine spezielle Technologie entwickelt", wie AIT-Forscher Ahmed Nabil Belbachir gegenüber der APA erklärte. Bei dem "dynamischen, optischen Sensor" handelt es sich um keine Kamera im herkömmlichen Sinn, da das Gerät keine Bilder produziert. Der "Universal Counting Sensor - UCOS" erfasst zwar visuelle Reize, folgt aber einem anderen Konzept, das auf dem Prinzip der Verarbeitung optischer Informationen in der Biologie beruht.
Wie die Sehzellen von Menschen und Tieren reagiert der Sensor auf jegliche relative Veränderung der Lichtintensität - also des Kontrastes -, um die Szenerie zu erfassen. "Am Schluss habe ich dann Kanteninformation", also die Konturen oder Silhouetten der bewegten Objekte, so der Forscher. Durch die Kanteninformationen lässt sich dann darauf schließen, ob es sich um Bewegungen von Tieren, Menschen oder etwa Autos handelt.
Das Verfahren erzeugt im Gegensatz zu Kameras nur dann Daten, wenn sich in seinem Aufzeichnungsbereich auch etwas tut. Dies sei ein großer Vorteil gegenüber Bildaufzeichnungen, da keine unnötig großen Datenmengen entstehen. Aufgrund dessen seien die Sensoren einerseits energiesparender, andererseits brauche das System weniger Rechenleistung für die Verarbeitung der Daten. Man könne mit kleineren und billigeren Prozessoren arbeiten und müsse "keinen großen Rechner danebenstellen".
Datenschutz ist gewährleistet
Im Hinblick auf den Datenschutz und ethische Aspekte habe UCOS entscheidende Vorteile, da "man die Personen gar nicht sehen und identifizieren kann", so Belbachir. Es sei daher sehr gut geeignet, um Bereiche zu überwachen, in denen sich Personen oder Fahrzeuge bewegen, die nicht identifiziert werden sollen. Auch in technischer Hinsicht ergeben sich Vorteile, da normale Kameras oft Probleme mit der dynamischen Aufzeichnung von Lichtänderungen haben können. Das menschliche Auge nimmt verschiedenste Lichtintensitäten vom Mond- bis zum Sonnenlicht, also von 0,1 bis über 100.000 Lux wahr - auch UCOS funktioniere in allen Bereichen gleich gut. Belbachir: "Man kann keine Kamera finden, die dieses große Spektrum abdecken kann".
Um das Geschehen in der Station auch dreidimensional wahrnehmen zu können, braucht UCOS die Aufnahmen zweier nebeneinanderliegender Sensoren. Aus den kleinen Unterschieden, die die etwas anderen Perspektiven mit sich bringen, wird - wie bei der optischen Verarbeitung in unserem Gehirn - die Tiefeninformation errechnet. So könne das System auch Probleme wie Schatten oder Verdeckungen besser managen.
Hightech-Entscheidungshilfe
Seer: "Diese Information wird dafür verwendet, um über unser automatisches Regelsystem die Portale anzusteuern." Das System schlägt dann in Echtzeit vor, wie weit die Portaltüren geöffnet werden sollten. Die zuständigen Mitarbeiter der Wiener Linien können dann auf Basis all dieser Informationen ihre Entscheidungen über die Regulierung des Zugangs treffen und beispielsweise darüber entscheiden, wie weit der jeweils nächste Zug ausgelastet sein soll.
"Interessant war es auch, zu beobachten, wie die Leute darauf reagieren", so Seer. Gerade in Wien seien die Stationen traditionell "offene Systeme", da man sie mit seiner Fahrkarte einfach betreten kann. Hier gab es nun erstmals "Restriktionen" an den Eingängen.
Steigende Akzeptanz für bisher einzigartiges System
Am Anfang habe die Idee nicht allen Besuchern eingeleuchtet, doch bald sei vielen klar geworden, dass man, sobald man die Station betreten hat, mehr oder weniger direkt in den Zug einsteigen kann. "Viele haben dann auch den Vorteil des Systems gesehen", so der Forscher, der gemeinsam mit Kollegen die Situation während der Euro immer beobachtet und punktuell Fahrgäste befragt hat. "Das System hat, wie alles Neue, eine gewisse Anlaufzeit gebraucht".
Das in der Station "Stadion" eingebaute System ist "meines Wissens nach weltweit das Einzige, das in der Form existiert. Wir sind natürlich darum bemüht, es auch woanders zum Einsatz zu bringen und entsprechend international zu vermarkten". Zur Zeit arbeiten die Wissenschafter an Erweiterungen des Systems.
Simulation von Massen in Bewegung
Seer und seine Kollegen beschäftigen sich in diesem Zusammenhang auch mit Personenstromsimulationen. Dabei handelt es sich um mathematische Modelle, die in Computersimulationen eingesetzt werden. "Man hat hier einen Plan der Station und simuliert dann, wie sich die Personen hinein bewegen." Im Computermodell kann man dann die Portaltüren öffnen und schließen. So sieht man, welche Auswirkungen eine Veränderung beim Durchspielen verschiedener Szenarien hat.
Dabei habe sich gezeigt, dass das Verhalten der Menschen in der Simulation gut vorhergesagt werden kann. "Wir arbeiten daran, dass das ein sehr flexibles Werkzeug für den Verkehrsbetreiber wird, auf dem man Szenarien auch durchspielen kann, bevor sie eintreten." Gleichzeitig möchte man Situationen auch im Nachhinein am Computer durchspielen. So könnte man etwa feststellen, was passiert wäre, wenn man im Umgang mit einer Betriebsstörung eine andere Strategie gewählt hätte.
Mit Computersimulationen hat man auch die Veranstalter von Europas größter Freiluftveranstaltung, dem Wiener Donauinselfest, bei der Veränderung des Bühnenkonzept vor zwei Jahren unterstützt. So konnten die Forscher bereits im Vorfeld mögliche Umbauten und deren Effekt auf den Zu- und Abstrom der Besucher untersuchen. "Bei vielen Fragestellungen hat sich herausgestellt, dass das ein sehr hilfreiches Werkzeug ist. Wir sind uns aber auch einig, dass es noch ein aktives Forschungsgebiet ist, in dem noch viel weiterentwickelt werden kann", so Seer.
Service: Demonstrationsvideo zum UCOS-System: http://www.youtube.com/watch?v=edS_OlGb9EY.
Von Mario Wasserfaller und Nikolaus Täuber/APA-Science