Energische Metamorphose
Die Energiewelt ist einem Wandel wie kaum zuvor unterworfen. An der Notwendigkeit einer Energiewende kommt man in Europa kaum vorbei. Die Veränderungen sind vielfältig. Erneuerbare Energieträger drängen unter dem Motto "weg von den Fossilen" massiv ins Netz, was die Betreiber auf eine harte Probe stellt. Außerdem ist der Ruf nach mehr Effizienz nicht mehr zu ignorieren. Die kleinteilige Produktion und Bereitstellung, diskutiert unter dem Schlagwort "Dezentralität", wird kommen, sind sich Teilnehmer entsprechender Diskussionsrunden bei den Technologiegesprächen in Alpbach in großer Mehrheit einig. Ebenso, dass mittelfristig neue Speichertechnologien gebraucht werden.
"Die Energiewende ist längst nicht zu Ende, sie nimmt erst richtig Fahrt auf", ist sich etwa Ernst Ulrich von Weizsäcker, Physiker und Autor des Buches "Faktor fünf" (siehe auch: "Weizsäcker fehlt noch kräftige Effizienzkomponente") sicher. In der mittleren Zukunft werden mehrere Lösungen und Technologien abseits der fossilen Schiene nebeneinander existieren, meint Klima- und Energiefonds-Chefin Theresia Vogel. Der künftige Energie- wird also auch ein Technologiemix sein.
"Die Frage wird sein, wie kann man diesen Mix zu einem Gesamtsystem formen", erklärt sie im Gespräch mit APA-Science. Das derzeitige System steht auf wenigen Säulen, künftig werden das deutlich mehr sein. Die Herausforderung wird dann sein, das Lastmanagement inklusive Wärme, Strom usw. zu optimieren. "Da gehen derzeit fast alle noch unterschiedliche Wege, was sehr mit den regionalen Gegebenheiten zusammenhängt", verweist sie zum Beispiel auf die österreichische "Wasserkraftdominanz".
Der österreichische Wissenschafter Christian Redl vom deutschen Think-Tank Agora Energiewende, der früher an der Technischen Universität (TU) Wien geforscht hat, sieht den Energiemarkt derzeit im Übergang in die nächste Phase. In der ersten "Lernphase" wurden die erneuerbaren Energien in Deutschland, gesetzlich festgelegt durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), ab 2000 langsam etabliert. Herzstück und Treiber waren dabei laut Redl zunächst Biomasse sowie die Windkraft und die Photovoltaik (PV). Die beiden letzteren Technologien werden gemäß Agora Energiewende auch im nächsten Schritt die Hauptplayer bei der Umgestaltung der Energiewelt sein. Mittlerweile liegt der Anteil der Erneuerbaren an der deutschen Stromproduktion bei 30 Prozent (1. Halbjahr 2015). Die Kostenstruktur hat sich dahingehend geändert, dass der Preis für die Kilowattstunde aus neuen Windkraft- und PV-Anlagen das Niveau fossiler Kraftwerke erreicht hat, erklärt Redl. Jetzt gehe es darum, vor allem Windkraft und Photovoltaik fest am Markt zu verankern.
Breitere Diskussion
Der Diskurs ist längst in der Mitte angekommen, sind sich die meisten Fachleute einig. Das Schlagwort Energiewende habe mit sich gebracht, dass die Zukunft der Energieaufbringung und -versorgung mittlerweile breiter diskutiert wird, nicht mehr nur von Pionieren, die Visionen gezeichnet haben, fasst es Vogel zusammen
Neben den Regulatoren und der EU-Kommission seien nun auch stark die klassischen Energieversorgungsunternehmen (EVU) beteiligt - getrieben durch die Suche nach neuen Wirtschaftsmodellen, da das übliche Geschäft droht, wegzubrechen. "Es diskutieren die, die lange in der 'konventionellen Energiewelt' zuhause waren. Sie spüren jetzt, was da in den vergangenen Jahren im Netz entstanden ist. Es wird nicht mehr über ferne Szenarien geredet, sondern über bereits bestehende Tatsachen wie etwa den Druck auf die Netze durch die hohe Produktionsvolatilität der Windkraft. Jetzt redet man über Phänomene früher über Visionen", so Vogel.
Technologische Machbarkeit ist hoch
Technologisch ist die Energiewende - vor allem am Stromsektor - bereits machbar, es braucht aber weiterhin Forschungsbedarf für einen schrittweisen Umbau des Energiesystems, meint Redl. In einer längeren Vorschau (rund 2050) werde dieses System auf den beiden signifikant unterschiedlichen Technologien Windkraft und PV basieren. Diese sind bekanntermaßen wetterabhängig, weisen eine volatile Erzeugung auf und haben "überspitzt gesagt Millionen Eigentümer und Betreiber". Dieses dezentrale Stromsystem, das derzeit noch in den Kinderschuhen stecke, sei dann fundamental anders organisiert. "Das stellt ein Generationenprojekt dar, daher müssen jetzt noch nicht alle Fragen beantwortet sein", bleibt Redl angesichts des Zeithorizonts gelassen.
Derzeit sind in Deutschland laut Redl im Mittel 30 Prozent Erneuerbare im Netz, im Norden sind es zeitweise sogar 40 bis 50 Prozent: "Vor 15 Jahren haben die Netzbetreiber gemeint, nie mehr als 5 bis 10 Prozent integrieren zu können, jetzt gelingt ihnen das mit 45 Prozent." Das zeige, dass es ein schrittweiser technologischer Prozess sei, der das möglich mache. Durch die weitere Entwicklung der Technologien einhergehend mit einem entsprechenden Politikdesign sei der sukzessive Umstieg auf die Erneuerbaren - vor allem Windenergie und PV - erfolgversprechend, glaubt der Wissenschafter
Klimafonds-Chefin Vogel sieht das bezüglich Strom ähnlich. Da gebe es schon viele technologische Lösungen, die die "Dinge gut laufen lassen". In den Sektoren der Mobilität und der energieintensiven Industrien seien dagegen noch anwendbare Lösungen nötig, was weiter forschungsintensiv sein werde. Dabei reiche es nicht, an "kleinen Schrauben der Effizienz zu drehen", da müssten schon große Fragen beantwortet werden. "Wie wird künftig zum Beispiel die Mobilität aussehen, welche Fahrzeuge werden eingesetzt und wie werden die angetrieben, so dass es ökologisch und ökonomisch Sinn macht?" Ähnlich sieht es in der energieintensiven Industrie aus. "Da ist man noch weit entfernt davon zu sagen, da sind alle Fragen geklärt", erklärt die Expertin.
Effizienz, Effizienz
Ein zentraler Bestandteil der Diskussion ist die Effizienz. Weizsäcker passiert in diesem Feld eindeutig zu wenig. "Im Winter heizen, im Sommer kühlen, das wird dann Energiebedarf genannt. Das ist aber eigentlich 'Energieverschwendungsbedarf', statt auf vernünftige Baualternativen zu setzen", wettert er gegen verfehlte Bauvorgaben.
In bestehender Technologie seien meist nur mehr wenige Effizienzprozente herauszuholen, erklärt Vogel. Effizienz im Systemzusammenhang heißt normalerweise, man wählt einen neuen Weg, man stellt auf eine neue Technologie um. Als Beispiel nennt sie die Glühbirnen. "Da war nichts mehr herauszuquetschen, durch die Umstellung auf LED gibt es plötzlich Effizienzsteigerungen von über 80 Prozent. Massive Effizienzgewinne werden sich also nur lukrieren lassen, wenn man das in großen Zusammenhängen denkt."
Die Gesetze zu Energieeffizienz werden mehrheitlich - freundlich ausgedrückt - als überbürokratisiert angesehen. Das österreichische Energieeffizienzgesetz (EEffG) etwa nennt Weizsäcker ein bürokratisches Monster. "Da versucht der Staat Ingenieur zu spielen. Schließlich sind alle verärgert und schimpfen auf die Energieeffizienz statt auf die Bürokratie. Die Intention der Brüsseler Effizienzrichtlinie ist eigentlich positiv, nur die Umsetzungen sind stümperhaft", lautet seine unschmeichelhafte Conclusio.
Dezentrales Denken
Häufig wird in Diskussionen um neue Energiemodelle das dezentrale dem zentralen System gegenübergestellt (siehe auch "Was dezentrale Energiequellen zum Sprudeln bringt" bzw. "Dezentrale Energie: Viele Praxisfragen noch offen"). "Das macht keinen Sinn", so Vogel. Es gibt Technologien, die per se zentral, da groß ausgelegt, sind. Eine Pumpspeicheranlage (siehe auch: "Speicher: Große Lösungen braucht es ab 2030") werde wohl mehr in großem Maßstab effektiv sein. Dagegen könnten PV und Solarthermie bereits auf der Haushaltsebene einiges bewirken.
"Jede Technologie hat eben ihren optimierten Einsatzbereich." Zu bedenken sei auch der Flächenbedarf, ganz Österreich etwa mit PV-Paneelen zu überziehen, werde wohl nicht funktionieren. "Da wird man dezentral auf Standorte (Gebäudedächer usw.) zurückgreifen, wo PV gut in das System integrierbar ist. Beim Wind sieht es wiederum ganz anders aus, nicht in jedem Garten kann ein Windrad stehen", bringt die Vogel ein Beispiel.
Die Dezentralisierung sei außerdem weiterhin eine technologische Herausforderung. Diese basiert laut Agora Energiewende zum größten Teil sehr stark auf dem Ausbau von Wind- und photovoltaischer Energie. Das bedeutet laut Redl, dass das komplette System einer Flexibilisierungsagenda unterzogen werden muss. Der Kraftwerkspark müsse auf mehr Flexibilität umgestaltet werden, die klassische Grundlast werde es nur mehr zu einem Bruchteil geben. Diesbezüglich sieht es in Österreich mit seinen Pumpspeicherkraftwerken, die eine hohe Flexibilität versprechen, gut aus.
Gleichzeitig muss auch auf der Nachfrageseite "etwas bewegt werden." Stichwort: Lastmanagement und vor allen Netzausbau. Trotz aller Dezentralität wird die grenzüberschreitende Marktintegration ganz wichtig sein. "Die Länder können nur von grenzübergreifenden Ausgleicheffekten etwa bei Windschwankungen profitieren. Flexibilisierung ist somit neben der Akzeptanz das zentrale Paradigma, um die Energiewende zum Erfolg zu führen", argumentiert Redl gegenüber APA-Science. Diese Flexibilisierung müsse schrittweise passieren.
Der letzte Schritt werde dann wahrscheinlich der sein, den Haushaltskunden umzustellen. Zuerst müsste laut dem Forscher beim Netz angesetzt werden, weiters sollte vorweg noch mehr Flexibilitäts- und Effizienzpotenzial bei den Großkunden gehoben werden. "Industriekunden gehen diesen Weg der Anpassung der Produktion bereits und können diesen 'Spielraum' zum Beispiel als Regelenergie verkaufen. Damit wird die Produktivität einer Energieeinheit erhöht, es kommt zu einer Verknüpfung von Effizienz und einem zeitlich flexibleren Einsatz der Energie", sieht Redl eine Gewinnsituation gegeben.
Österreich und die Energiewende
Der Begriff Energiewende gilt wie gesagt in der Regel für Deutschland, auf Österreich wird er selten gemünzt, war doch die Ausgangslage eine ganz andere. Österreich hat schon aufgrund seiner Topographie durch die Alpenlage seit jeher einen großen Anteil an Wasserkraft in der Stromproduktion." An einer gewissen Energiewende wird aber auch Österreich nicht vorbeikommen", argumentiert der Österreicher Redl.
Das würden schon die Klima- und Energie-Vorgaben der EU für die Periode 2020 bis 2030 nahelegen. Österreich habe Ziele für 2020 festgelegt, jetzt gebe es langfristige Vorgaben für 2030. Das werde natürlich Auswirkungen auf das Design der künftigen Energiepolitik zeitigen. Durch den Beschluss des Klima- und Energiepaktes 2030 müssten sich laut Redl auch in Österreich die Aktivitäten verstärken und langfristige Ziele gesetzt werden. "Das bringt wahrscheinlich zusätzliche Dynamik in die Umstellung der Energiesysteme."
Von Hermann Mörwald / APA-Science