Was Österreich über Forschung denkt
"Österreicher extrem wissenschaftsskeptisch": Die Vorstellung davon, wie die Österreicher der Wissenschaft gegenüberstehen, wurde in der Vergangenheit stark von Eurobarometer-Umfragen geprägt. Aber wie ist es wirklich um die angeblich notorische Wissenschaftsfeindlichkeit der heimischen Bevölkerung bestellt? Eine Spurensuche.
Als im Oktober 2014 die Ergebnisse des "Special Eurobarometer 419" zur "öffentlichen Wahrnehmung von Wissenschaft, Forschung und Innovation" bekannt gegeben wurden, bestätigte sich in Bezug auf Österreich der Eindruck aus den vorangegangenen Jahren. Laut der Umfrage gehörte die Alpenrepublik zu jenen Ländern, deren Bürgerinnen und Bürger im Europavergleich am seltensten einen positiven Effekt von Wissenschaft und Innovation auf verschiedene gesellschaftliche Fragestellungen sehen. Einzig in der Medizin erreichten die Werte in etwa den EU-Schnitt.
Seither wird den Österreichern beinahe pauschal eine skeptische Haltung zur Wissenschaft attestiert, zählte das Land den Daten zufolge doch zu den Schlusslichtern in Europa, was Interesse und Informationsstand in puncto Forschung angeht. "Die Befragten in Österreich, der Tschechischen Republik, Deutschland, Griechenland und Italien haben durchgängig niedrigere Erwartungen darin, dass es in den nächsten 15 Jahren positive Veränderungen geben wird, sei es durch Wissenschaft und technologische Innovation oder durch das Verhalten von Bürgern. Dies mag daher auch das allgemeine Niveau von Optimismus/Pessimismus für die Zukunft in verschiedenen Mitgliedstaaten widerspiegeln", versuchte man sich in der Zusammenfassung der Eurobarometer-Befragung in einer ersten Erklärung.
"Luft nach oben"
Einen aktuelleren Europa-Vergleich gibt es bis dato nicht. Der Anfang 2015 im Auftrag des Wissenschaftsministeriums erstellte "Wissenschaftsmonitor", für den rund 2.000 Personen in zwei Wellen im Sommer bzw. Herbst 2014 vom Institut für Strategieanalysen (ISA) online befragt wurden, bescheinigte Österreich, ein recht ordentlicher Forschungs- bzw. Studienstandort zu sein. Studienautor Peter Filzmaier ortete einen positiven Grundbefund: "Vieles wird als gut empfunden, aber vor allem als 'eher gut'. Es gibt also Luft nach oben."
Mangels ähnlich gelagerter Erhebungen in der Zwischenzeit bleibt für die gegenwärtige Stimmungslage ein gewisses Rätselraten, wenn auch immer wieder Hoffnung und Zuversicht durchschimmern. Wie lässt sich das relative Desinteresse zum Beispiel mit einem stetig steigenden Zulauf zu Forschungsevents in Einklang bringen? Antworten aus der Forschungscommunity geben dazu einigen Aufschluss. Hannes Androsch, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFT), beobachtet etwa trotz wenig berauschender Statistiken die Tatsache, "dass man bei Großveranstaltungen wie der Langen Nacht der Forschung sowohl bei den Besuchern, als auch bei den Forschenden sehr großes Interesse und echte Begeisterung beobachten kann" (siehe auch "Zwischen 'Awareness' und 'Sciencetainment'").
Interesse für Zeilinger "ungebrochen"
Ein "ungebrochenes Interesse" der Öffentlichkeit ortet Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), denn neues Wissen aus der Forschung fasziniere die Menschen. "Das erlebe ich, etwa bei den gut besuchten Veranstaltungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), immer wieder. Zudem hat sich die Wissenschaft verstärkt gegenüber der Gesellschaft geöffnet. Den viel zitierten wissenschaftlichen Elfenbeinturm gibt es längst nicht mehr", so der renommierte Quantenphysiker.
Auch die Molekularbiologin Renée Schroeder nimmt ein zunehmend positiveres Meinungsklima wahr und führt das zum Teil auch auf "ein viel größeres Spektrum an unterschiedlichen Events" zurück, seien es Radiosendungen oder die Lange Nacht der Forschung, das Wiener Forschungsfest oder Ähnliches. "Es ist wieder cool, viel zu wissen", so Schroeder, die auch die Frage, ob sich das allgemeine Interesse in den letzten fünf bis zehn Jahren erhöht hat, mit einem klaren "Ja!" beantwortet. Dem Wissenschaftsjournalismus misst sie eine Kraft gegen die "Antiaufklärung" bei: "Die Anzahl von Artikeln, Sendungen und Büchern hat nach meiner persönlichen Wahrnehmung zugenommen. Ich merke das stark durch die Fragen der Menschen bei meinen Lesungen und Vorträgen."
"Nicht über einen Kamm scheren"
Als eine Wissenschafterin, die spätestens mit dem Gewinn des satirischen Ig-Nobelpreises ("ignobel" bedeutet auf Deutsch in etwa "unwürdig") in der Öffentlichkeit steht und als Mitglied der Kabarettgruppe "Science Busters" für Furore sorgt, sieht Elisabeth Oberzaucher das Interesse der Öffentlichkeit durchaus zwiespältig. "Das kann man natürlich nicht über einen Kamm scheren. Es gibt viele Leute, die sehr interessiert sind, und viele Aktivitäten, wie das Forschungsfest oder die Kinderuni, die sehr gut ankommen und in deren Rahmen Grenzen zwischen Forschungsinstitution und den Menschen abgebaut werden. Es gibt aber immer noch viele Leute, die fragen: 'Wozu soll das gut sein?' Mit einfachen Erklärungen tut sich vor allem die Grundlagenforschung oft schwer. Würde man diese Forschung abschaffen, gebe es aber keine großen Fortschritte mehr", so die Verhaltensbiologin vom Department für Anthropologie der Universität Wien. (siehe Interview)
Ob sich der Befund "Österreich ist wissenschaftsskeptisch" langsam auflöst, wagt auch Barbara Streicher, Geschäftsführerin des Vereins ScienceCenter-Netzwerk, noch nicht vollends zu bejahen. "Ich würde die Grundstimmung immer noch als skeptisch bezeichnen, aber nicht als wissenschaftsfeindlich. Es herrscht noch Distanz - auch positive Distanz." Dass Forschung aber etwas sei, das einen persönlich betreffe - wo man tatsächlich mittun und mitreden könne -, sei noch nicht wirklich angekommen. Das könne sich etwa durch Citizen-Science-Ansätze verändern. "Allerdings stellt sich die Frage, ob da nicht wieder jene Bevölkerungsteile mitmachen, die sich ohnehin schon interessieren. Die Lange Nacht der Forschung oder die Science Busters zeigen aber schon, dass es grundsätzlich viel Interesse an Wissenschaft gibt." (siehe Interview)
Umfrage über Einstellung und Wahrnehmung
Um dieser zumindest gefühlten Diskrepanz zwischen Skepsis und Interesse etwas näher auf den Grund zu gehen, hat APA-Science eine eigene Umfrage mit dem Titel "Einstellung und öffentliche Wahrnehmung zu Wissenschaft und Forschung" in Auftrag gegeben. Herausgekommen ist eine in vielen Bereichen überwiegend positive Haltung und eine auffallend geringe offene Ablehnung oder gar Desinteresse. So informieren sich zwar nur 13,5 Prozent der 1.015 Befragten aktiv über wissenschaftliche Themen, 72,4 Prozent stolpern immerhin gelegentlich darüber und informieren sich beiläufig, während sich nur 14 Prozent "überhaupt nicht" dafür interessieren (siehe Umfrage und nebenstehende Grafiken).
Gleich vorweg: Die Eurobarometer- Daten von 2014 lassen sich damit freilich weder belegen noch widerlegen, ein direkter Vergleich ist schon aufgrund des unterschiedlichen Untersuchungsdesigns unzulässig und auch gar nicht beabsichtigt. So legte die aktuelle Umfrage ein stärkeres Gewicht auf das Interesse an Wissenschaft in den Medien, während das Eurobarometer-Special eher auf das Vertrauen in die Wissenschaft an sich abzielte. Zumindest lässt sich mit den vorliegenden Ergebnissen aber die einseitige, fast durchwegs negativ gefärbte veröffentlichte Meinung über die Wissenschaftsskepsis der Österreicherinnen und Österreicher in einem neuen, helleren Licht sehen.
Partizipation schafft Interesse
Der Schlüssel zu mehr Interesse an Wissenschaft und Forschung liegt für Medienwissenschafterin Maren Beaufort vom Institute for Comparative Media and Communication Research der ÖAW und der Alpen-Adria-Universität (AAU) Klagenfurt in der Partizipation: "Unsere Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass weder die Erwartung, top-down informiert zu werden, noch jene, bottom-up Einfluss auf die Forschung zu nehmen, das Interesse an Wissenschaft nennenswert beeinflussen können. Ausschließlich die Erwartungshaltung einer partizipativen Kommunikation auf Augenhöhe kann das Interesse sprunghaft erhöhen."
Bürger sollen nach dieser Lesart in beidseitigem Interesse mehr als bisher in den kommunikativen Prozess der Forschung eingebunden werden. Ein einseitiges und eher passiv verstandenes "öffentliches Verständnis" von Wissenschaft und ein aktives "öffentliches Engagement" von Bürgern mit Institutionen erweitern sich diesem Modell zufolge zu einer "Drei-Wege-Kommunikation". Diese könne man dahingehend verstehen, dass nicht mehr nur Bürger mit Institutionen kommunizieren, sondern auch verstärkt untereinander. "Weltweit werden immer mehr Projekte gelauncht, die diesen Ansatz ernst nehmen, und die ersten Evaluierungen weisen durchaus in Richtung Erfolg. Ich bin selbst gespannt, wie sich die Dinge hier weiterentwickeln", sagt Beaufort.
"Third Mission" der Unis
Bottom-up-Ansätze sind im Aufwind, das lässt sich unter anderem an den vermehrten Aktivitäten rund um Open Innovation, Citizen Science oder Crowdsourcing ablesen. Aber auch die Institutionen erhöhen wegen des steigenden Legitimationsdrucks die kommunikative Schlagzahl. So hält etwa die Universität Wien in ihrem "Entwicklungsplan 2020" fest, dass neben der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre "sich zunehmend gesellschaftliche Erwartungen an Universitäten, ihr 'gesellschaftliches Engagement' (Third Mission) zu verstärken", richten.
Man dürfe nicht darauf vergessen, auf die Gesellschaft zuzugehen, plädierte auch Rolf-Dieter Heuer, ehemaliger Generaldirektor des europäischen Kernforschungszentrums CERN, im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung am Institute of Science and Technology (IST) Austria für mehr "Public Outreach": "Man muss die Menschen mitnehmen und Wissenschaft in der Bevölkerung bewerben. Eine exzellente Forschungsinstitution muss auch auf diesem Gebiet exzellent sein."
Kommunikation spielt an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit eine Schlüsselrolle. Im Sinne der von Maren Beaufort beschriebenen Drei-Wege-Kommunikation wäre die Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus daher auch, möglichst viele Menschen in den Diskurs mit der Wissenschaft einzubeziehen. "Im Kern geht es darum, durch Kommunikation - und da spielen die Medien eine entscheidende Rolle - die Menschen zu befähigen, ihr Wissen in die öffentliche Diskussion einzubringen, Anknüpfungspunkte untereinander und mit der Wissenschaft zu finden, die ihrerseits ihre Problemlösungskompetenz in die gesellschaftlichen Prozesse der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einfließen lässt."
Ideal wäre also die Schaffung eines Klimas, in dem Öffentlichkeit und Wissenschaft als verbündete Interaktionspartner gemeinsame Interessen verfolgen können: "Das heißt, es müssten in Erweiterung bestehender Aufgaben Plattformen zur Verfügung gestellt und moderiert werden, die die Bündelung von Interessen ermöglichen. Hier könnte der Status des Journalismus ein Korrektiv zum Glaubwürdigkeitsproblem im Onlinebereich bilden und ein Gewicht gegen das Entstehen von 'Filter Bubbles', d. h. Isolation gegenüber Informationen, die nicht dem eigenen Standpunkt entsprechen, sein."
Menschen im Alltag abholen
Der Wissenschaftsjournalismus, schließt Beaufort, sei gefordert, sein Selbstverständnis über bestehende Grenzen hinaus zu erweitern, etwa indem er die Kommunikation möglichst offen gestaltet, auch durch eine selbstverständliche Einbeziehung von sozialen Medien. Wissenschaft sollte darüber hinaus als Querschnittsmaterie integriert werden, also nicht nur in eigenen Wissenschaftsformaten präsent sein, sondern auch in jenen Beiträgen, "mit denen sich die Menschen tagtäglich auseinandersetzen - in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und (ja, auch) Lifestyle-Themen, Verbrauchersendungen, Familienratgebern und Ähnlichem."
Außerdem sollte das Bemühen zentral sein, die Vielfalt einer pluralen, diversen Gesellschaft auch in den Akteurinnen und Akteuren abzubilden, die in den Medien auftreten: "Wenn ich das Publikum vor allem mit gut gebildeten Männern in mittleren Jahren konfrontiere, werden sich viele Menschen nicht identifizieren können." Schließlich, so Beaufort, müsse in besonderem Maße darauf geachtet werden, junge Menschen aller Altersstufen einzubeziehen, "denn eine möglichst frühe Berührung mit Wissenschaft erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man später ein Interesse dafür entwickelt."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science