Quanten ante portas
So bizarr und teils weit von der Alltagswahrnehmung entrückt die Phänomene der Quantenphysik auch scheinen - glaubt man Experten, gehören Quantentechnologien die Zukunft. Wann tatsächlich jedermann von der Überlegenheit von Quantencomputern, -internet und Co. profitieren wird, ist natürlich offen. Heute denken jedoch nicht nur Grundlagenforscher über das quantentechnologisch durchsetzte Morgen nach.
Auch die europäische Politik hat unlängst in Wien eine hoch dotierte "Flaggschiff"-Förderinitiative lanciert und eine aktuelle Studie untersuchte das Potenzial der industriellen Umsetzung in Österreich. APA-Science hat anlässlich dessen die breite Spur des Forschungsbereiches in Österreich verfolgt.
Lange Zeit tat sich die Physik mitunter nicht leicht mit den Erkenntnissen der Quantenmechanik. Auch Albert Einstein hatte mit so mancher Konsequenz des Gedankengebäudes seine liebe Not: Überliefert ist etwa sein viel zitierter, eher abschätzige Ausspruch von der "spukhaften Fernwirkung", mit der er das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung abtat. Mittlerweile ist die Quantenmechanik eine der am besten abgesicherten physikalischen Theorien.
Ihr Problem ist, dass die Phänomene der Quantenphysik oft nicht mit der Alltagserfahrung zusammen passen: In der Welt des Allerkleinsten ist es etwa möglich, dass Teilchen sich als Welle verhalten oder sich in der Schwebe zwischen zwei Zuständen befinden. So können sie auch mehrere Wege gleichzeitig nehmen oder - einmal miteinander verschränkt - kontaktlos und ohne Zeitverlust den Zustand des Partnerteilchens annehmen, was die Grundlage für die aufsehenerregende "Quantenteleportation" bildet.
Zeilinger als österreichische Integrationsfigur
Mit letzterer ist auch weit über Österreich hinaus der Name von Anton Zeilinger verbunden. Die wegweisenden Experimente, die der Quantenpionier und heutige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) seit einigen Jahrzehnten aus dem wissenschaftlichen Hut zaubert, haben ihm Beinamen wie "Mr. Beam", "Quantenpapst", "Popstar der Naturwissenschaft" oder "Hexenmeister aus Wien" eingebracht.
Bereits 1974 konnte Österreichs "Urvater der Quantenoptik" Helmut Rauch am Atominstitut in Wien erstmals ein sogenanntes Neutronen-Interferometer realisieren. Damals wurde klar, dass nicht nur Lichtteilchen Welleneigenschaften besitzen, sondern auch massive Teilchen wie Neutronen. Zeilinger, der bei Rauch promoviert hat und selbst am Beginn seiner Karriere mit Neutronen arbeitete, "beamte" sich dann 1997 mit seinen Teleportations-Experimenten an der Universität Innsbruck in die Schlagzeilen und damit in das öffentliche Bewusstsein.
Innsbruck und Wien als Quanten-Brennpunkte
2003 gründete die Österreichische Akademie der Wissenschaften das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck und Wien, mit fünf Arbeitsgruppen, die in Innsbruck von Rainer Blatt, Rudolf Grimm, Hans Briegel und Peter Zoller und in Wien von Zeilinger geleitet wurden. Sukzessive wurden die beiden Städte zu wichtigen internationalen Zentren der experimentellen Quantenphysik. In hoher Frequenz veröffentlichen die zahlreichen Gruppen Beiträge mit neuen Erkenntnissen in den einflussreichsten Fachjournalen.
Immer öfter gehen die Überlegungen der Wissenschafter dabei auch in Richtung konkreter technischer Anwendungen. Schlagworte wie der "Quantencomputer", das "Quanteninternet" oder die "Quantenkryptografie" sind mittlerweile auch über die Forschungsgemeinde hinaus bekannt. Genau hier setzt das europäische "Quantum Flagship" mit an.
Eine Milliarde in zehn Jahren
Im Rahmen dieses EU-Förderprogramms soll in den kommenden zehn Jahren insgesamt eine Mrd. Euro aufgewendet werden, um Erkenntnisse aus der Quantenforschung in möglichst marktfähige Technologien zu übersetzen. Eine Hälfte der Dotation soll von der EU kommen, die andere von den Mitgliedsstaaten bzw. der Industrie. In der ersten Projekt-Tranche sind österreichische Forscher an fünf von insgesamt 20 Projekten beteiligt, eines davon leitet Hannes Hübel vom Austrian Institute of Technology (AIT) (siehe "Sicher kommunizieren mit Quanten").
"Es geht darum, zu identifizieren, was die Forschungsergebnisse in der Wirtschaft bringen können", sagte der Wissenschafter im Gespräch mit APA-Science. Er hat im Auftrag des Infrastrukturministeriums (BMVIT) in einer umfassenden Untersuchung die "Möglichkeiten zur stärkeren Industrialisierung der österreichischen Quantenforschung" analysiert, wie es im Titel der Studie heißt. Mit dem Startschuss zum "Flaggschiff haben wir jetzt Rückenwind, der uns vorantreibt".
Quantencomputer-Durchbruch nicht um die Ecke
Vor allem der Quantenverschlüsselung oder -kryptografie bescheinigt die Untersuchung bereits einen "hohen technischen Reifungsgrad". Gleiches gelte etwa für Atomuhren auf Basis von Quantentechnologie und neue Präzisionsmessmethoden.
Quantencomputer und -simulatoren, die auf dem Einsatz von Ionenfallen fußen, werden dagegen "erst mittel- bis langfristig eine kommerzielle Rolle spielen". Auf diesem Gebiet gebe es "herausragende Erfolge" in Innsbruck zu verzeichnen, die auch zur Ausgliederung des Spin-offs "Alpine Quantum Technologies GmbH" geführt haben. Je nach technischem Zugang müsse man sich bei der breiten Anwendung von Quantencomputing insgesamt aber noch fünf bis 15 Jahre gedulden, heißt es in der Studie.
Wissenschaft und Wirtschaft noch wenig verschränkt
In dieser wurden zahlreiche einschlägig tätige Forscher an den Universitäten Wien und Innsbruck, der ÖAW, der Technischen Universität (TU) Wien und des Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg (NÖ) sowie neun Unternehmen befragt. Dabei zeigten sich etwa Probleme bei der Kommunikation zwischen Wissenschaftern und den vereinzelten Unternehmen, die in diesem Bereich potenziell Technologien entwickeln könnten. So könnten die heimischen Forscher ihren Technologiebedarf zumindest zu einem kleineren Teil in Kooperation mit österreichischen Firmen stillen, meist kämen aber ausländische Unternehmen zum Zug. Es brauche einfach "mehr Informationsaustausch zwischen den beiden Gruppen", wie Hübel im Gespräch mit APA-Science sagte.
Insgesamt liegt die Anzahl der Patente im Bereich Quantentechnologie von österreichischen Institutionen - ermittelt wurden 22 Patente zwischen 2002 bis 2016 - "unter dem europäischen Durchschnitt, ebenso ist die Zahl der Neugründungen von Unternehmen mit Quantentechnologie-Fokus gering", schreiben die Studienautoren, die als Positivbeispiel auf das aus der Wiener Forschungsgruppe um Markus Aspelmeyer heraus gegründete Unternehmen Crystalline Mirror Solutions (CMS) verweisen (siehe dazu auch Gastkommentar "Das Weltbild auf den Kopf gestellt").
Obwohl sich auch die befragten Firmen einiges von Quantentechnologien erwarten und vielfach bereits Kontakte zu Forschungsgruppen bestünden, seien viele noch zurückhaltend bzw. wissen nicht, was sich in Österreich im Bereich der Grundlagenforschung tut. Von großer Begeisterung für das "Thema der Zukunft" bis zu Skepsis angesichts vielleicht erst in Jahren kommerziell verwertbarer Ergebnisse, reiche hier das Bild.
Vernetzungs-Plattform und Gründerinitiative
Als zentrale Forderung formulieren die Studienautoren daher "die Errichtung einer 'Quanten-Plattform'", in deren Rahmen sich Akteure aus Wirtschaft und aus dem akademischen Umfeld vernetzen und Strategien ausarbeiten können. An konkreten Plänen dazu arbeite das AIT mit dem Infrastrukturministerium bereits. Um den Transfer aus dem akademischen Umfeld heraus zu erhöhen, regen die Autoren weiters "eine Gründerinitiative mit einem Quanteninkubator" an.
Darüber hinaus sollte die Infrastruktur für Forschung und Entwicklung verbessert und die Grundlagen der Quantentechnologie auch früher in Studienprogrammen wie den Ingenieurswissenschaften, Elektronik oder Informatik vermittelt werden. Da es noch keinen internen Markt für solche Technologien gebe, könnten öffentliche Institutionen als Pilotkunden beim Aufbau eines solchen helfen.
Auf europäischer Ebene und darüber hinaus gibt es mittlerweile mehrere, teils mit viel Geld geförderte Initiativen, im Zuge derer man auf dem sich entwickelnden internationalen Quantentechnologie-Markt reüssieren möchte. Der Ausgangspunkt für das europäische Quanten-Flaggschiff war das "Quanten-Manifest". Die treibende Kraft dahinter war und ist Tommaso Calarco vom deutschen Forschungszentrum Jülich, aber auch österreichische Quantenphysiker wie Blatt und Zeilinger waren in der Vorbereitung engagiert. Das fertige Manifest wurde 2016 der EU-Kommission vorgelegt. Immerhin mehr als 3.500 Vertreter des Fachs aus ganz Europa hatten es zu dem Zeitpunkt unterzeichnet.
Flagship-Initiator sieht "größere Beteiligung der Industrie"
"Durch diese große Initiative die wir gestartet haben, sind auch nationale Programme beschlossen worden, zum Beispiel in Österreich, in Deutschland und in anderen Staaten der EU. Also auf der Förderebene hat sich vieles getan", zeigte sich Calarco im Gespräch mit APA-Science überzeugt.
"Natürlich hat es inzwischen Fortschritte in vielen anderen Bereichen gegeben. Was wir insbesondere gesehen haben in den letzten zwei Jahren, ist eine größere Beteiligung der Industrie in Europa, zum Beispiel auf den Gebieten der Quantenkommunikation und -sensorik und auch zum Teil bei der Verwendung von Quantencomputern oder besserer Quanten-Annealer", bilanzierte Calarco, der seit September Direktor des Bereichs Quantum Control des Peter Grünberg Instituts am Forschungszentrum Jülich ist.
Quanten-Videochat mit großer Reichweite
In den USA und China würden mittlerweile "enorme Fortschritte" beim Quantencomputing oder bei der Satellitenquantenkommunikation erzielt. Letzteres nicht ganz ohne österreichische Beteiligung, da Wissenschafter um Zeilinger hier stark mit jenen Kollegen aus China zusammenarbeiten, die den Ansatz intensiv vorantreiben. So wurde der mittlerweile von Kollegen als "Vater der Quanten" bezeichnete chinesische Physiker Pan Jianwei 1999 an der Uni Wien promoviert.
Im Juli 2017 gelang es dem Wissenschafter von der Universität Hefei, den Rekord in Quanten-Teleportation zu brechen. Dazu beamte das Team den Quanten-Zustand eines Photons auf der Erde zu einem anderen Photon auf einem Satelliten in 1.400 Kilometern Höhe. Im vergangenen Jahr nutzten die Forscher ihren Satelliten, um Photonen nach Wien und Peking zu beamen - dank der Quanten-Verschlüsselung konnten ÖAW-Chef Zeilinger und sein chinesischer Amtskollege Chunli Bai abhörsicher via Video chatten. Österreich sei nicht von ungefähr "im Flaggschiff-Programm überproportional stark vertreten - im positiven Sinne für die Größe des Landes. Die Außenwirkung in der Wissenschaft in diesem Bereich ist enorm", attestierte auch Calarco.
Vision ohne fertiges Budget
Im Rahmen des ambitionierten EU-Programms müssten "die Kollegen in Forschung und Industrie jetzt Resultate produzieren. Und in drei Jahren werden wir sehen was herausgekommen ist". Völlige Klarheit über die nächsten Schritte in der Initiative, die vorerst für die nächsten drei Jahre fix finanziert ist, gebe es noch nicht, da das langfristige Budget erst vom EU-Parlament beschlossen werden muss.
Erst in etwas fernerer Zukunft werde man sehen, "was auf den Markt gekommen ist und was nicht. Zum Beispiel beim Quantencomputer wissen wir, dass das nicht auf Knopfdruck passieren wird, sondern länger dauert als zwei oder drei Jahre", bremst Calarco überschießende Erwartungen an das Vorhaben: "Bei diesen Technologien ist ein 'Return on Investment' nicht innerhalb von so kurzer Zeit zu erwarten, deswegen braucht man eine strategische Vision in der Industrie."