Hightech braucht Rohstoffe
"Ein teurer, aber heilsamer Schock." So sehen Experten rückblickend die dramatische Preisexplosion bei Seltenen Erden im Jahr 2011, die den Markt und die involvierten Akteure ordentlich durchgerüttelt hat. Heilsam deshalb, weil er bis heute nachwirkt: Um für ähnliche Situationen besser gerüstet zu sein, wurde und wird am Ersatz oder Recycling der Rohstoffe geforscht und nach neuen bergbaulichen Produktionsstätten gesucht. Außerdem tüfteln diverse Arbeitsgruppen und Lobbyorganisationen an geopolitischen Handelsstrategien. Aber reicht das?
Klar ist: Seltene Erden – eine Gruppe von 17 chemischen Elementen – sind wichtige Rohstoffe für die technologische Zukunft. Sie werden in Smartphones, Präzisionswaffen, Windrädern, Hybridautos und Flachbildschirmen verbaut, da sie besondere Eigenschaften aufweisen, die in der Industrie gebraucht werden. Allerdings täuscht das Wort "selten" – einige Metalle, wie Yttrium, Neodym und Cer, sind in der kontinentalen Erdkruste häufiger als Blei. Problematisch ist aber die Wirtschaftlichkeit – sowohl beim Abbau, der Produktion, als auch beim Recycling. Dazu kommt die massive Abhängigkeit von China. Und genau diese "Zutaten" sind die Besonderheit dieser Technologiemetalle.
"Der Nahe Osten hat sein Öl, China hat Seltene Erden", war sich der einst starke Mann und marktwirtschaftliche Reformer, Deng Xiaoping, schon 1992 bewusst. Ein Umstand, der beginnend mit den massiven Exportbeschränkungen für Seltene Erden und höheren Zöllen durch China im Jahr 2010 sowie den darauffolgenden explodierenden Weltmarktpreisen noch heute vielen Marktteilnehmern Kopfzerbrechen bereitet.
Massive Versorgungskrise
"Im Jahr 2011 sind die Preise dann durch die Decke gegangen und haben zu einer unglaublichen Versorgungskrise geführt", erklärte Dieter Drexel, stellvertretender Bereichsleiter Ressourcen & Infrastruktur in der Industriellenvereinigung (IV), im Gespräch mit APA-Science. Das sei zwar nicht für alle Unternehmen, die auf Seltene Erden angewiesen sind, existenzbedrohend gewesen. "Aber wenn sie Produzent von Katalysatoren oder Poliermitteln sind, dann spüren sie das schon. Für manche war das durchaus eine schwierige Situation", so Drexel. Schließlich sei man mit Preiserhöhungen um mehrere hundert Prozent konfrontiert gewesen. Auf Verlangen der EU, der USA und Japans hat sich 2012 schließlich die WTO eingeschaltet.
Der Preisanstieg war gleichzeitig der Startschuss für eine Reihe von Aktivitäten: Neue Quellen wurden gesucht – und gefunden, einige Seltene Erden in der Produktion ersetzt und Forschungsprojekte zum Recycling der kritischen Rohstoffe initiiert. "Die Unternehmen haben sofort versucht, Alternativen zu entwickeln. Die Zahl der Patente ist sprunghaft nach oben gegangen und seitdem auch relativ hoch geblieben", erklärt Drexel. Gleichzeitig erhielt die Nachfrage durch neue Entwicklungen wie dem Boom der LED-Lampen, für die viel weniger Seltene Erden gebraucht werden, einen Dämpfer.
Suche nach Alternativen
Im Wesentlichen beruhe die Versorgung mit Seltenen Erden auf drei Säulen: Import, selbst zu produzieren und Recycling (siehe "Kreislaufwirtschaft und Substitution als Lösung"). "Damals hat man letztendlich alle drei Wege gleichermaßen beschritten, weil es eine dramatische Situation war", so der Experte. International standen vor allem neue Minen im Blickpunkt. Es gab Projekte in den USA, die mittlerweile gescheitert sind, und auch in Australien und Grönland starteten Aktivitäten. "Das ging bis hin zu Plänen zum Lithiumabbau in Kärnten, was aber bis dato nicht realisiert worden ist", erläuterte Drexel. Eine Idee, die hierzulande nicht weiter verfolgt wurde, war das Anlegen von Lagern, "also quasi eine staatlich subventionierte Bevorratung".
Die deutliche Entspannung in den Folgejahren und der gesunkene Leidensdruck haben zwar dafür gesorgt, dass das ursprüngliche Engagement deutlich gebremst wurde. Außerdem waren zahlreiche Projekte aufgrund des Verfalls der Weltrohstoffpreise nicht mehr wirtschaftlich darstellbar. Allerdings scheinen sich Politik, Unternehmen und Gesellschaft der Bedeutung der Rohstoffe wieder stärker bewusst geworden zu sein. Grund dafür ist auch, dass der Trend zur Hochtechnologie anhält, was laut einer Studie dazu führen könnte, dass der globale Bedarf an Seltenen Erden bis zum Jahre 2020 um 50 Prozent wächst – getrieben vor allem von den Schwellenländern.
Nachfrage wird weiter steigen
Mit jedem Patent, jeder Produktionsumstellung und jedem Substitutionsvorgang entspanne sich die Situation. "Das darf uns aber nicht in Sicherheit wiegen, weil unter Berücksichtigung des weltweiten Wachstums – mehr Windräder, mehr Batterien für Autos – die absolute Menge an Seltenen Erden, die gebraucht wird, ja trotzdem größer wird", so der IV-Manager. Dazu kommt, dass die Entwicklung neuer Produktionsstätten laut einer Studie von Stefan Luidold von der Montanuniversität Leoben durchaus zehn bis 20 Jahre dauern kann. Deshalb sei es nicht möglich, eine veränderte Nachfrage durch eine kurzfristige Anpassung der Kapazitäten aufzufangen (siehe "Österreich will Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen verringern").
Dem stehen auch hohe Explorations-, Erschließungs- und Abbaukosten entgegen, wie die Experten der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) immer wieder betonen. Grund dafür sind fehlende Infrastruktur, logistische Herausforderungen, schwierige klimatische Bedingungen sowie ökologische Risiken (siehe "Warum der Hightech-Fortschritt unbedingt im Kreislauf geführt werden muss..."). In Österreich wird vor allem Wolfram und Grafit bergbaulich gewonnen. Bei den meisten Seltenen Erden ist man aber auf Importe – vor allem aus China – angewiesen.
Ersatz von Seltenen Erden schwierig
Weltweit sind immer weniger Unternehmen bereit, dieses Risiko in Kauf zu nehmen, so Analyst Jon Hykawy vom kanadischen Unternehmen Stormcrow Capital gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. Seiner Meinung nach sind Seltene Erden sehr wohl ersetzbar. Unternehmen wie Toyota hätten das bereits vorgemacht.
"Es gibt zwar Versuche, Seltene Erden zu ersetzen, allerdings – das sage ich als gelernter Techniker – sind sie aus gutem Grund in diesen technologischen Anwendungen drinnen, weil sie einfach über chemische und physikalische Eigenschaften verfügen, die eben andere Elemente nicht haben", so Drexel. Die Bemühungen gingen in die Richtung, schwere Erden, die etwas seltener sind, durch leichte Erden zu ersetzen.
"All diese Aktivitäten zusammen entfalten eine Wirkung und sorgen dafür, dass der Druck dann vielleicht doch geringer ist und man nicht ganz unvorbereitet in eine Situation geht wie 2011", sieht der Experte durchaus Fortschritte. Er verweist unter anderem auf das europäische Forschungsprojekt "KIC Raw MatTERS" beziehungsweise "EIT Raw Materials", bei dem beispielsweise die Montanuni Leoben mit dabei ist.
Aktuell in Vorbereitung sei das große Kreislaufwirtschaftspaket der EU-Kommission, über das in den kommenden Monaten abgestimmt wird. "In den vergangenen Jahren hat man vielleicht auf Recyclingquoten für Glasflaschen oder Plastik fokussiert, wir gehen davon aus, dass die neue "Bibel der Kreislaufwirtschaft" in der EU stärker auf Rohstoffe abzielt, die auch für den Standort und die Industrie von Relevanz sind", erklärte Drexel. "Wenn wir ressourceneffizienter arbeiten und unsere Abhängigkeit von knappen Rohstoffen verringern, können wir Wettbewerbsvorteile erzielen", zeigte sich auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen, kürzlich überzeugt.
Europa hinkt deutlich hinterher
Dass die Europäische Union in diesem Bereich besonders exponiert ist, bestätigt auch eine aktuelle Studievon Stefan Thurner vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und der Medizinischen Universität (MedUni) Wien sowie Peter Klimek von der MedUni Wien. Sie zeigt, dass es in der EU signifikante strategische Mängel im Umgang mit systemischen Handelsrisiken gibt.
"Normalerweise denkt man, wenn es um kritische Ressourcen und Risiken in diesem Bereich geht, an Minenexplosionen in Südafrika, einen Streik in Indien, kaputte Transportwege oder Spekulanten. Wir haben festgestellt, dass das Handelsnetzwerk selbst ein Risiko darstellt, weil es Preisfluktuationen und Schocks verstärken kann", so Thurner. Diesen Verstärkungsfaktor habe man für jedes Land und jede Ressource ausgerechnet. "Es zeigte sich, dass die USA diese Handelsnetzwerke bei kritischen Gütern offensichtlich viel besser und strategischer planen als die EU", sagte der Experte gegenüber APA-Science.
Seltene Erden würden in eine Kategorie fallen, in der diese Netzwerkeffekte insgesamt überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind, ergänzte Klimek. Allerdings sei die EU hier im Vergleich zu anderen Ressourcen wesentlich exponierter als die USA. Konkret rangieren Seltene Erden laut einem Ranking der Wissenschafter in der EU in den Top-5, was die Anfälligkeit für Schocks im Handel mit Rohstoffen betrifft, während das Risiko für die USA nur im oberen Mittelfeld liegt. Schützen könne man sich vor diesen Schocks durch das Anlegen von strategischen Reserven und der Errichtung von Handelsbarrieren – beispielsweise Ausfuhrbeschränkungen.
Rohstoffpolitik rückt in den Fokus
In Europa sei das Thema vernachlässigt worden, so IV-Manager Drexel: "Über Rohstoffe haben wir in Zusammenhang mit Energieversorgung gesprochen, aber Knappheit bei anderen Rohstoffen war etwas, das aus dem Fokus der Gesellschaft, der Politik und auch der Unternehmen verschwunden ist." Man habe geordert, wenn etwas gebraucht wurde "und am nächsten Tag ist das Packerl oder das Fass mit dem Pulver da gewesen. Aber strategische Vorkehrungen zu treffen – also Rohstoffpolitik als Teil einer europäischen Außen-, Handels- und Wissenschaftspolitik zu betrachten, das ist uns ein bisschen aus dem Blick geraten".
Kritisch sieht Drexel auch, dass die sehr lange Bergbautradition in Europa in vielen Bereichen erloschen ist. "Wir haben diese Tätigkeiten in andere Teile der Welt verlagert beziehungsweise zugeschaut, wie das verlagert wird, und haben uns so auch vieler Kompetenzen und Möglichkeiten, diese Rohstoffe selber abzubauen, beraubt." Selbst wenn es durchaus komplex sei, sich diese Ressourcen zu sichern – man denke an Finanzierungen, Genehmigungen, Kompetenzen – stünden diese Seltenen Erden durchaus auch in Europa zur Verfügung (siehe "Versorgung der europäischen Industrie mit Technologiemetallen - Beispiel Wolfram").
Reichen also all die Aktivitäten und Potenziale, um nicht mehr in eine Situation wie 2011 zu geraten? "Eine Sicherheit besteht nicht. Aber China verhandelt mit der EU derzeit über den Handelsstatus und versucht, sich den globalen Spielregeln stärker anzupassen. Insofern würde ich nicht unmittelbar erwarten, dass China in eine sehr restriktive und protektionistische Haltung in dem Bereich zurück fällt", ist Drexel zuversichtlich.
Andere Experten betonen, dass eine etwas stärker diversifiziertere Zulieferkette und größere Ressourceneffizienz nicht darüber hinwegtäuschen dürften, dass die Abhängigkeit von China noch immer enorm ist, auch wenn der Produktionsanteil in den vergangenen Jahren rückläufig war. Die Aktivitäten im Bereich der Wissenschaft und die neue Rohstoffstrategie der Europäischen Union würden aber optimistisch stimmen.
Von Stefan Thaler / APA-Science