Moderne "Smartizipation"
Der Begriff "Smart City" ist ebenso "in" wie nebulos. Mancherorts mal mehr, oft auch weniger klar definiert, bleibt vieles schwer fassbar. Im Vordergrund steht jedenfalls eine auf die Bedürfnisse des Stadtbewohners der Zukunft abgestimmte Lebensumgebung, in der bei höherer Lebensqualität weniger Ressourcen verbraucht werden. Das wiederum setzt smarte Partizipationskonzepte voraus.
Ökologische Verbesserungen, ökonomischer Fortschritt, technologischer Erkenntnisgewinn und soziale Innovationen gehen im Idealfall Hand in Hand. Dass diese neuen Konzepte durchaus auch gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen oder zumindest beeinflussen, rückt erst in jüngerer Vergangenheit in den Fokus. So widmen sich die Technologiegespräche in Alpbach in einem Arbeitskreis den sozioökonomischen Aspekten der Smart City.
Stehen die Interessen der Industrie im Vordergrund? Eröffnet die eingesetzte Technologie mehr Freiheiten oder verringert sie die Entscheidungsmöglichkeiten? Welches Potenzial gibt es hier für Bürgerbeteiligung oder gilt auch hier das Primat der Politik? APA-Science hat Experten gefragt, inwieweit die Bevölkerung in die Entwicklung der Smart City eingebunden wird, wer den Weg zur Stadt der Zukunft vorgibt, welche Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden sollten und was die (Sozial-)Wissenschaften in diesem Prozess beitragen können.
"Stadt ist permanente Veränderung"
"Die Stadt der Zukunft ist nichts, was zentral dekretiert wird und was man anhand eines finalen Bildes plant und baut, wie beim Lego-Auto, das unter dem Christbaum liegt", erklärte Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, im Interview mit APA-Science. Stadt sei fundamental anders, sei Prozess und permanente Veränderung. Und in diesem Prozess würden verschiedene Kräfte Einfluss ausüben.
Eine wesentliche Kraft stelle die Stadtverwaltung bzw. Stadtpolitik dar, indem sie die Strategie etwa mittels eines Stadtentwicklungsplanes (STEP 2025) vorgibt. Zudem existiere erstmals eine übergreifende Rahmenstrategie für alle Bereiche der Stadt, die so genannte "Smart City Wien Rahmenstrategie", die die Schwerpunkte und Ziele bis ins Jahr 2050 definiert. Im Vergleich dazu zielt der Stadtentwicklungsplan nur auf die räumliche Entwicklung der kommenden zehn Jahre ab. Kern der Strategie sei, dass Wien eine internationale Vorreiterstadt der Ressourcenschonung, verbunden mit einem hohen Ausmaß an sozialer Intelligenz und Sensibilität, sein will.
"Das ist aber nichts, was die Stadtverwaltung durch das Umlegen eines Schalters erreicht. In diese Richtung bewegen wir uns entweder alle oder gar nicht", betonte Madreiter die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Beteiligten und die Partizipation der Bürger. Gerade auf der Ebene der Umsetzung müsse es vielfältige Aktivitäten aller Akteure geben: "Dieses Bild, wir lassen uns von der Politik oder der Verwaltung bespielen und hinterher kommentiert man das dann, ist untauglich. So funktioniert diese Welt einfach nicht."
Keine klassische Bürgerbeteiligung
Allerdings müsse man sich bei größeren Projekten - etwa der Entwicklung einer Gesamtstrategie oder neuer Stadtteile - vom Bild einer klassischen Bürgerbeteiligung bzw. einer direkten Mitbestimmung lösen. "Das ist nicht mit Verhandlungen über die Gestaltung eines lokalen Grätzels vergleichbar", so der Planungsdirektor: "Wir sind sehr offen, was Inputs und Ideen anlangt, aber am Ende bedarf es des Aspekts der Leadership einer Stadt, wenn festgelegt werden muss, was wirklich gemacht wird."
Klar sei aber auch, dass angemessene Lösungen für Bewohner nur mit diesen gemeinsam entwickelt werden könnten. "Es geht einfach nicht anders und ermöglicht ein angenehmeres und lustvolleres Planen im Dialog, auch wenn nicht immer alles funktioniert. Und dieser Dialog, der von manchen vielleicht als mühsam empfunden wird, bringt einfach die besseren Ergebnisse", ist Madreiter überzeugt. In den 50er-, 60er-, und 70er-Jahren sei Stadtentwicklung viel stärker als technischer Prozess verstanden worden. "Männer in weißen Arbeitsmänteln sind irgendwo gesessen und haben mit großen Computern ausgerechnet was optimal ist und das ist dann gebaut worden. Hinterher hat sich zuweilen herausgestellt, dass das gar nicht so optimal war", erklärte der Experte.
Dialog mit den Stakeholdern
Das habe sich natürlich dramatisch verändert. Bei der Entwicklung der Smart City-Rahmenstrategie vor drei, vier Jahren sei beispielsweise ganz am Beginn ein Stakeholder-Prozess gestanden. "Nicht die Stadt hat gesagt, das wollen wir machen und jetzt verkaufen wir es den Leuten. Sondern es war ein gemeinsamer Prozess mit Vertretern der Zivilgesellschaft, des Forschungsbereiches, der Wirtschaft und eben der Stadtverwaltung, aber auch umgebender Gebietskörperschaften, wo darüber nachgedacht wurde, wie so eine ressourcenschonende Stadt aussehen könnte", erläuterte Madreiter. Seither gebe es jedes Jahr mehrere Stakeholder-Foren, um mit den Kernakteuren in Kontakt zu bleiben.
Das funktioniere naturgemäß anders als eine klassische Bürgerbeteiligung. "Die Akteure sind hier zivilgesellschaftliche Interessensvertretungen und Initiativen etwa aus dem Energie- oder Gebäudebereich, die von uns einbezogen werden. Das funktioniert relativ gut, weil das so etwas wie ein gemeinsamer Lernprozess ist. Diese Gruppen haben einfach was einzubringen", sagte der Planungsdirektor.
Genauso entscheidend seien aber die Bereiche Wirtschaft und Forschung. Letztendlich wurde im Gemeinderat beschlossen, was sich die Stadtpolitik vorgenommen hat - "aber auf Basis sehr vielfältiger Inputs und umfangreicher Gespräche".
Vom Kommentieren zum Agieren
Der Aspekt der Partizipation sei generell dabei, einen gewissen Bedeutungswandel durchzumachen. Es gebe nicht mehr nur Bürger, die entweder für oder gegen einen Vorschlag der Öffentlichen Hand sind. "Jetzt geht es viel stärker um das selbst aktiv werden: Baugruppen errichten Gebäude, Bürgerbeteiligungskraftwerke entstehen und es werden neue Modelle der Nahversorgung organisiert. Da wird künftig der Kern zivilgesellschaftlichen Engagements liegen", prognostizierte Madreiter.
Auch beim Großprojekt Aspern Seestadt seien von Beginn an die Bürger miteinbezogen worden. Noch vor dem Start der städtebaulichen Verfahren habe es Treffen mit den Anwohnern gegeben. "Deren Positionen wurden abgefragt und sind schließlich in die Konzeption eingeflossen. Das ist sogar so weit gegangen, dass wir in unsere Planungsprozesse und auch in die städtebaulichen Wettbewerbe durchgehend Bürgervertreter eingebunden haben. Die sind dort gleichberechtigt drinnen gesessen", erklärte der Experte.
Städte aus dem Baukasten
Bei von der Industrie angebotenen so genannten Smart City-Lösungen mangle es hingegen oft an einer entsprechenden Einbindung. "In halbdemokratischen, um nicht zu sagen autoritären politischen Strukturen, glaubt man, sich bei Technologiekonzernen und renommierten Architekturbüros aus dem Westen Städte oder Stadtteile kaufen zu können, die wie eine Maschine funktionieren. Das ist völliger Unfug", so Madreiter.
Die Wiener Lösungen würden hingegen sozial intelligente Ressourcenschonung in den Vordergrund stellen und hätten sich deshalb zum internationalen Exportgut entwickelt. "Wir stoßen da auf größtes Interesse und werden laufend aus China, dem Nahen Osten, Süd- und Nordamerika besucht", sagte Madreiter. Im Endeffekt gehe es in einer smarten Stadt nicht darum, maximale technische Systeme einzubauen - Sensoren, Kameras, etc. - sondern um Wirkungen: "Und da sind wir gut."
Technik ist nicht automatisch smart
Derzeit verlaufe der technische Umbruch so rasch, dass auch die Frage nach "Sicherheitsgurten" eine absolut berechtigte sei. "Wozu führt das fiktive Smart Home tatsächlich? Schalten mir Hacker die Heizung ab? Wissen sie, wann ich schlafen gegangen bin? Hier sind derzeit viel mehr Fragen offen als es Antworten gibt", konstatierte der Planungsdirektor. Deshalb sei auch mit der Aspern Smart City Research (siehe Hintergrund-Meldung; Link) ein Joint Venture gegründet worden, das im Sinne einer sozial sensiblen Vorgehensweise vorher testet, forscht und Modelle entwickelt.
Wichtig sei auch, "den Modehype um die Smart City zu erkennen und in seiner Entwicklungsgeschichte darzustellen", erklärte Oliver Frey vom Fachbereich für Soziologie der Technischen Universität (TU) Wien gegenüber APA-Science. Am Beginn seiner wissenschaftlichen Arbeit war der Begriff der "Sozialen Stadt" gerade aktuell. Dabei ging es in den 1990er Jahren vor allem um Fragen zur Polarisierung in den Städten, etwa zwischen Arm und Reich. Es handelte sich schon damals um eine Art Fortsetzungsdebatte zum Konzept der "Nachhaltigen Stadt", in der versucht wurde Ökologie, Soziales und ökonomische Aspekte gemeinsam in die Überlegungen einfließen zu lassen.
Weniger Geld für "kreatives Stadtkonzept"
Im wissenschaftlichen Leben des Soziologen, Stadt- und Regionalplaners spielte in den vergangenen Jahren im Rahmen seiner Forschungen im Arbeitsbereich Urbanistik an der TU Wien die Konzeption einer "Kreativen Stadt" eine große Rolle. In dem Zusammenhang ging es darum, die Politik auf das Entstehen besonders kreativer Milieus in der Stadt aufmerksam zu machen und die Wichtigkeit des kreativökonomischen Bereichs nicht nur als Standortfaktor, sondern auch zunehmend für ökonomisches Wachstum und soziale Innovationen der Zivilgesellschaft zu identifizieren. Für Forschung zu diesem "kreativen Stadtkonzept" wurde von Unternehmen allerdings niemals so viel Geld bereitgestellt, wie für die Smart City, hält der Stadtforscher fest.
Frey: "Das heißt, in der Wissenschaft gibt es immer solche Modewellen und jetzt sind wir gerade bei der Smart City." Als Forscher - mit dem Ziel, der Stadtentwicklung nicht immer nur hinterherzulaufen - sei nun vor allem die Frage interessant, ob es Kontinuität in diesen Modezyklen gibt. Auch bei der Smart City zeige sich, dass ökonomische und soziale Innovationen, sowie ökologische Aspekte wieder zusammengeführt werden sollen. Trotz dieses umfassenden Ansatzes sieht der Soziologe Produktinteressen von Unternehmen im Vordergrund und begreift die "Forcierung" dieses Modebegriffs vor allem aus diesem Gesichtspunkt.
Historische Perspektive miteinbeziehen
Interessant sei, dass von den Sozialwissenschaften in dem Zusammenhang bisher wenig Grundlagenforschung unter Einbeziehung der historischen Perspektive betrieben wurde. In der Stadtentwicklung habe das Einbauen technischer Neuerungen immer verunsichert und sowohl positive, als auch negative Folgen mit sich gebracht.
Wolle man also mit Entwicklungsmaßnahmen tatsächlich Fortschritte in der Stadtgesellschaft anstoßen, dann müsse man auch verstehen, was bisher die Ziele und Triebkräfte hinter solchen Entwicklungen waren. Auch die Smart City-Idee könnte aus einer systematische Analyse der Vergangenheit vermutlich einiges mitnehmen, ist der Experte überzeugt.
Eine primäre Aufgabe der Geistes- und Sozialwissenschaften sei eben die Förderung der Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft und bei den Eliten, in dem sie frühere Fehlentwicklungen aufzeigen, um daraus zu lernen. Ob das insgesamt und bezogen auf die Smart City gelingt, bezweifelt der Wissenschafter aber. Im Hinblick auf den rasanten technologischen Fortschritt fehle für Einordnungen, Analysen und Überlegungen zu möglichen Auswirkungen schlicht und einfach auch die Zeit.
Grenzen zwischen "oben" und "unten" aufgeweicht
Ob ein Konzept einer Smart City für alle Beteiligten positiv realisiert werden kann, wird sich vermutlich anhand der Frage klären, ob sich dadurch mehr Freiheiten ergeben, ist Frey überzeugt. Gerade digitale Techniken können viele Freiräume eröffnen. Soziale Medien führen etwa zu neuen Wegen, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Die Grenzen zwischen denjenigen, die gesellschaftlich "oben" und "unten" sind, können dadurch aufgeweicht werden, so der Soziologe. Gleichzeitig bringe ein Mehr an Technologie, die potenziell tief in Prozesse des Alltags des Stadtbewohners reichen kann, auch eine gewisse Gefahr, zu Instrumenten einer totalitären Beherrschung zu werden.
Das wäre laut Frey eine wichtige Frage, der sich die Techniksoziologie gerade im Zusammenhang mit Stadtgestaltung und -entwicklung stellen sollte. Ob Smart City-Konzepte tatsächlich Fortschritte in der Entfaltungsmöglichkeit der Bewohner mit sich bringen oder "die Lebenswelten durch diese Technik beherrscht werden", gelte es zu klären.
Technik bringt neue Abhängigkeiten
Der Stadtforscher vermutet allerdings, dass "diese digitale Stadt und dieses Smart City-Konzept stark in Richtung Freiheitsentzug und in Richtung Technologisierung der Lebenswelten auf der individuellen und politischen Ebene zusteuern". Der mit Technik gespickte Lebensraum sollte jedenfalls nicht zu einem "Behälter" oder gar zum "Gefängnis" werden, das dem Individuum zwar vieles erleichtert und abnimmt, "aber Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten verringert". Man müsse aufpassen, dass der Nutzen eines solchen Systems auf individueller Ebene nicht in neue Abhängigkeiten führt.
Zudem stelle sich die Frage, ob nicht die öffentliche Hand durch das Umarmen der Smart City-Idee "immer stärker gezwungen wird, eine bestimmte Richtung der Entscheidung einzuschlagen". Die Dynamik in dem Themenbereich und die sprudelnden Forschungsfördergelder lösen auch einen gewissen Druck aus, hier aufzuspringen. Trotzdem sei etwa die Formulierung der "Rahmenstrategie 2050 - Smart City Wien" natürlich auch eine bewusste und freie Entscheidung der Stadtpolitik, allerdings vor dem Hintergrund des drohenden Verlusts des Anschlusses an diese oft von Unternehmen mit klaren ökonomischen Interessen vorangetriebenen Trends.
Druck auf die Verwaltung wächst
Gleichzeitig schicken sich diese Unternehmen auch an, den Städten maßgeschneiderte Lösungen für diverse Problemfelder der Gegenwart und Zukunft zu verkaufen. Die Städte wiederum seien dann sozusagen mehr oder weniger sanft gezwungen, ganz bestimmte Technologien auch zu kaufen und zu vermarkten, um am Ball zu bleiben, so Frey. Um dieser drohenden Dynamik entgegenzuwirken, brauche es ein Innehalten und erneutes Nachdenken darüber, für welche Probleme man tatsächlich Lösungen braucht und welche Konsequenzen diese potenziell nach sich ziehen.
"Außerdem soll man im Auge behalten, dass Städte und ihre Bewohner Wissen, Fähigkeiten und kreatives Potenzial besitzen, das leider oftmals nicht genügend als lokale endogene Ressource erkannt und auch gefördert wird, um somit bestimmte Lösungsansätze für ihre Probleme aus sich selbst heraus entwickeln zu können", so der Experte.
Hier könnte sich die (Sozial-)Wissenschaft wahrscheinlich stärker engagieren und ihre bisherige Rolle in dem Prozess hinterfragen. Smart City-Projekte jedenfalls "nur" sozialwissenschaftlich zu begleiten sei aus Forschersicht über kurz oder lang nur bedingt befriedigend, meint Frey.
Heimische Forschung weltweit an der Spitze
"Wichtig ist mir auch zu betonen, dass schon jetzt Wiener Forscher und Unternehmen in diesen Feldern weltweit in einer herausragenden Position sind", so Planungsdirektor Madreiter: "Und wenn durch die Smart City-Aktivitäten diese Position gefestigt wird, dann ist das ein Vorteil für Wien. Das stärkt die Position sowohl dieser Forschungseinheiten als auch der Unternehmen und sichert damit Wiener Arbeitsplätze. Das klingt für manche banal, ist es aber absolut nicht."
Der gesamte Aspekt der Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft stelle die Basis für all die geschilderten Entwicklungen dar. Vor 20 Jahren sei in Wien noch des Öfteren von einer latenten Forscherfeindlichkeit bzw. Universitätsfeindlichkeit zu hören gewesen. Das habe ganz stark abgenommen.
"Man ist sich stärker dessen bewusst, was der Forschungs-, Innovations- und Bildungssektor für unsere Gesellschaft bedeutet. Uns geht es langfristig nur dann gut, wenn wir Forschung und Innovation einen ganz, ganz hohen Stellenwert einräumen. Zu meinen, man könnte im Ressourcenbereich die letzten Innovationen rauskitzeln, und das noch schneller als andere, wenn man den Innovationsbereich nicht adäquat stützt, ist natürlich ein kompletter Irrtum."
Von Nikolaus Täuber und Stefan Thaler / APA-Science