Start-up!
TV-Shows und Cover-Stories, Millionen-Deals, die aufhorchen lassen, ausgebuchte Festivals sowie enthusiastische Politiker und Unternehmer: Das Thema Start-ups scheint in Österreich einen Höhenflug sondergleichen hinzulegen. Glaubt man Experten, ist Euphorie aber alles andere als angebracht und das entsprechende Ökosystem gerade erst im Entstehen. Woran es fehlt und wie weit Österreich auf dem Weg zum "Start-up-Wunderland" ist, hat sich APA-Science im aktuellen Dossier angesehen.
Keine Frage, es hat sich viel getan. Das digitale Zeitalter erleichtert sowohl Innovationen als auch Unternehmensgründungen und ermöglicht es, im Konzert der Großen mitzuspielen. Um in einem Land aber ein fruchtbares Start-up-Ökosystem entstehen zu lassen, braucht es vor allem Risikokapital, unternehmerfreundliche Rahmenbedingungen, kooperationswillige Großbetriebe und Universitäten sowie erfolgreiche Gründungen als Leuchtturm-Projekte.
Die Baustellen im Überblick:
DIE FINANZIERUNG
Ein wichtiger Motor der Start-up-Szene ist klassisches Risikokapital – und da ist Österreich schlecht aufgestellt. Nur etwas mehr als 25 Mio. Euro Venture Capital haben private Geldgeber 2014 heimischen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Im Europavergleich belegte die Alpenrepublik damit Rang 19 von 40 untersuchten Ländern, zeigt eine Studie des Beratungskonzerns EY (früher Ernst & Young). In der Schweiz ist demzufolge vergangenes Jahr mehr als das Zwanzigfache ausgeschüttet worden. In den USA flossen allein in die Bay Area fast 25 Mrd. Dollar. Und auch wenn in den vergangenen Monaten etwas Bewegung in diesem Bereich bemerkbar ist, erreichte Österreich laut Innovation Union Scoreboard 2014 bezüglich Risikokapitalinvestitionen lediglich 48 Prozent des EU-Durchschnitts.
"Wir hatten zehn Mio. Euro über vier Jahre im ersten Fonds, jetzt haben wir 60 bis 80 Mio. für denselben Zeitraum. Das zeigt aber nur, dass man sich langsam der europäischen Normalität annähert", erklärte Oliver Holle, Gründer und Chef der heimischen Risikokapital-Firma Speedinvest, im Gespräch mit APA-Science. Er warnte aber gleichzeitig vor Euphorie. Eine Meinung, die Andreas Tschas, Mitgründer und Chef des Pioneers Festivals, teilt: "Das ist erst der Anfang und nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um international mitspielen zu können, braucht es mehr Risikokapital. Es ist beispielsweise sehr viel Geld in Stiftungen geparkt, das nicht arbeitet."
Historische Ausnahmeerscheinung
Trotzdem bewege man sich jetzt in einer anderen Dimension. In jeder anderen Stadt in einer ähnlichen Größenordnung wie Wien gebe es mindestens ein, zwei, drei solcher Fonds. "Das war in Österreich eher eine historische Ausnahmeerscheinung, dass da nichts los war – außer den staatlichen Geldern mit dem Gründerfonds (der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft aws; Anm.)", so Holle. Von den 60 bis 80 Mio. von Speedinvest sollen rund 40 Prozent in Österreich investiert werden, der Rest europaweit.
Was an heimischen Geldern für Start-ups sonst noch zur Verfügung steht, ist laut dem Experten leicht vorgerechnet: "Einige Millionen pro Jahr vom Gründerfonds, ein paar von den Business Angels, dann kann man noch Familienstiftungen und die tecnet (Risikokapitalfonds tecnet equity; Anm.) dazu nehmen. Wenn wir da im Jahr aus innerösterreichischen Kapitalmitteln auf zehn bis 15 Mio. Euro – exklusive Speedinvest – kommen, wäre das schon viel. Den Rest müssen internationale Investoren, die in österreichische Start-ups investieren, beisteuern." Im vergangenen Jahr flossen laut EVCA-Yearbook (European Private Equity & Venture Capital Association) 472 Mio. Euro aus dem Ausland nach Österreich. Umgekehrt waren es dieser Quelle zufolge 21 Mio. Euro.
Einen "Flaschenhals im Start-up-Ökosystem" orten auch Experten des Instituts für Höhere Studien (IHS). Schwächen in der Entrepreneurship-Kultur und bei der Attraktivität für Venture Capital würden sich gegenseitig verstärken. Trotz wachsender Zahl an Business Angels in Österreich sei deren Anzahl gemessen an der Gesamtbevölkerung unter dem Niveau zahlreicher europäischer Länder.
Öffentliche Hand auf dem Vormarsch
Mittlerweile stelle in Österreich die Öffentliche Hand eine der bedeutendsten Quellen für Risikokapital dar. So kamen 2013 rund 40 Prozent aus öffentlichen Quellen, im Vorkrisenjahr 2007 waren es lediglich 14 Prozent, so das IHS. Vor allem in der Gründungsphase springt die Öffentliche Hand ein. Hauptakteur ist hier die aws als Förderbank des Bundes. In den vergangenen Jahren konnte sie rund zehn Prozent der heimischen Start-ups bzw. jungen Unternehmen erreichen, wobei mehr als 2.500 Vorhaben unterstützt wurden.
Holle sieht inzwischen aber eine Umkehr der Dynamik: "Das tatsächlich in Österreich stattgefundene Fundraising war ja bisher eigentlich der aws-Gründerfonds – ein Topf mit 20, 30 Mio. Euro. Sonst war nichts. Das erklärt den staatlichen Überhang beim institutionellen Frühphasenkapital. Beim neuen Speedinvest-Fonds, der aktuell bei 58 Mio. Euro hält, kommen nur mehr sieben Mio. vom aws." Allerdings müsste in Österreich jährlich eine Milliarde Euro von Business Angels investiert werden, um gemessen am BIP den gleichen Risikokapitalinput zu erzielen wie in den USA, heißt es in der Broschüre " Land der Gründer", die das Wissenschaftsministerium (BMWFW) herausgegeben hat.
Interessant ist auch, dass auf europäischer Ebene im Jahr 2013 Pensionsfonds (33,5 Prozent), Fonds in Fonds-Investitionen (10,6 Prozent) und Versicherungen (9,6 Prozent) die bedeutendsten Investorengruppen waren. In Österreich liegen diese Werte quasi bei null. Hervorgestrichen wird in dem BMWFW-Bericht auch, dass "Österreich trotz seines äußerst hohen Wohlstandsniveaus, renommierten Forschungseinrichtungen und breit diversifizierten, industriellen Mittelstands eines der Schlusslichter beim Thema Risikokapitalinvestitionen in Europa ist".
Crowdfunding ist noch zartes Pflänzchen
Abgesehen von Förderungen durch Risikokapitalfonds und der Öffentlichen Hand hat in jüngster Zeit auch die Szene der Schwarm-Finanzierer, die sich im Internet Geld besorgen, großen Zulauf. Laut einer Studie der Cambridge-Universität ist Europas Crowdfunding-Markt 2014 um 144 Prozent auf knapp 3 Mrd. Euro gewachsen.
In Österreich ist dieser Bereich aber noch ein mehr als zartes Pflänzchen. So wurden laut WKO im Jahr 2014 mittels Crowdfunding-Plattformen mit einem Volumen von gerade einmal etwas mehr als einer Mio. Euro rund 120 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Neue Anbieter im deutschsprachigen Raum wie Kickstarter und erste in kürzester Zeit finanzierte Projekte lassen jedoch massive Zuwächse erwarten (siehe auch "Kleines Geld, viel Wirkung").
DIE RAHMENBEDINGUNGEN
In dem Blog-Beitrag "Hotspots to watch" auf der Webseite des Forbes Magazine wird Österreich als einer von sieben internationalen Start-up-Hotspots genannt. Allerdings gibt es Kritik an der Bürokratie, die trotz einiger politischen Initiativen nach wie vor viele abschreckt.
Dass die Rahmenbedingungen für Jungunternehmer und Start-ups derzeit nicht besonders attraktiv sind, zeigt auch eine Studie von "New Venture Scouting", die von der Jungen Wirtschaft (JW) in Auftrag gegeben wurde. Demnach sind mehr als 230 Unternehmen in den vergangenen sieben Jahren ins Ausland ausgewandert und haben dort mehr als 1.000 Arbeitsplätze geschaffen.
Ein wesentlicher Abwanderungsgrund sind die fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten, so Studienautor Werner Wutscher. Aber auch rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen wurden genannt. Die Hälfte der identifizierten Unternehmen wandert in Länder innerhalb Europas ab, 25 Prozent zieht es nach Asien und 13 Prozent geben als Zielregion Nordamerika an.
Als durchaus positiv werden in der Szene die verstärkten Aktivitäten der heimischen Politik gesehen, etwa die von Wirtschaftsstaatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) kürzlich vorgestellte " Gründerland-Strategie". In dem vom Wirtschaftsministerium unter Einbindung von 250 Akteuren und Institutionen erstellten Bericht werden 40 Maßnahmen aufgelistet, die den Unternehmergeist in Österreich fördern und Standortvorteile bringen sollen.
Allerdings dürfte der Weg zur Umsetzung noch ein langer sein. Beispielsweise werden steuerliche Anreize für private Investitionen in die Realwirtschaft von vielen Seiten schon seit langem gefordert. Das scheint aber auf dem politischen Parkett derzeit kaum mehrheitsfähig. Es sei eben leichter, eine nach außen sichtbare Initiative zu starten, als an der Struktur etwas zu ändern, ist von Experten zu vernehmen.
Städte kämpfen um die besten Start-ups
Wenn es aber gelingen würde, einen großen Teil der Maßnahmen umzusetzen, "sind wir auf einem guten Weg zum Innovation Leader", so Tschas. Er ist jedenfalls überzeugt davon, dass das Thema in der Politik angekommen ist. "Trotzdem müssen wir in der Kommunikation nach außen noch besser werden, denn der Wettbewerb der Länder und Städte ist hart. Wo es früher den Kampf um die besten Talente gegeben hat, geht es jetzt um die besten Start-ups", sagte der Chef des Pioneers Festivals.
Als einen der Wettbewerbsvorteile hierzulande sieht Holle die Förderlandschaft: "Eine aws, eine FFG oder auch die Stadt Wien machen einen guten Job." Dadurch könne man Technologieprojekte weit bringen, ohne als Gründer Anteile abzugeben. Was Eigenkapital betreffe, seien die Anreize in Österreich aber wesentlich geringer als in anderen Ländern, wo es beispielsweise Steuervorteile für Business Angels gebe.
"In den USA werden zudem mehr als 90 Prozent des gesamten Venture Capitals von Pensionskassen finanziert, weil die einen langen Anlagehorizont haben und das als Renditebeimischung aus eigenem Interesse tun. In Österreich ist das noch immer eine völlig geschlossene Tür. Dazu gibt es keinen politischen Konsens", so Holle, der darauf verweist, dass man hier mit relativ geringen Steuerverlusten für den Staat relativ viel bewegen könnte.
KOOPERATION MIT DER "OLD ECONOMY"
Zu einem massiven Treiber für die Start-up-Szene entwickelt sich das zunehmende Interesse der etablierten Firmen an einer Zusammenarbeit mit den Jungunternehmen. Konkret wollen die Großbetriebe mit ihren starren Strukturen und langen Entscheidungswegen mithilfe von Start-ups ihre Innovationsprozesse neu gestalten und verkürzen.
"In Österreich versuchen beispielsweise viele Unternehmen, Digitalisierungsprojekte auf andere Art umzusetzen. Da gibt es viele Ansatzpunkte von Coworking-Spaces über Accelerator-Programme (Beschleunigungsprogramme für Startups; Anm.) bis zur Gründung eines gemeinsamen Start-ups. Das machen wir derzeit mit den ÖBB", erklärte Holle (siehe "Frische Ideen für etablierte Unternehmen").
Die Bedeutung einer Symbiose zwischen Old und New Economy strich auch Tschas hervor. "Bei ein paar Firmen funktioniert das schon. Die meisten Unternehmen haben aber ein großes Kulturproblem. Da gilt es, zwei Welten zusammenzubringen", sagte der Experte. Mit dem neuen Veranstaltungs-Format "True Economy Forum", das im Rahmen des Pioneers Festivals stattfindet, soll die Kooperation von Unternehmen und Start-ups nun weiter vorangetrieben werden.
Speedinvest-Chef Holle bremst die Euphorie hingegen ein wenig: "Ich persönlich bin überzeugt, dass sehr viele Programme, die jetzt halbherzig, mit wenig Budget und wenig Unterstützung durch den Vorstand umgesetzt werden, auch wieder sehr bald in der Versenkung verschwinden werden – und das ist auch in Ordnung so. Diese Welle kommt und geht."
Nachholbedarf bei Unis und FHS
Viel Potenzial – und Nachholbedarf – gebe es auch bei Universitäten und Fachhochschulen. "Da existieren noch viel zu wenige Anknüpfungspunkte mit der Start-up-Welt. Wenn man das mit der Universität Stanford, ein Magnet und Angelpunkt dieses Ökosystems in den USA, vergleicht, sind das bei uns noch sehr getrennte Welten", kritisierte Holle.
Die Unis würden hierzulande viel eher mit den großen Unternehmen kooperieren, statt mit schnell agierenden, kleinen Teams, die Projekte rasch umsetzen können. "Es geht nicht nur darum, möglichst viele Papers zu produzieren. Eine Variable muss auch sein, wie viele Start-ups aus den Unis gegründet werden", ergänzte Tschas. Dass es durchaus entsprechende Aktivitäten in diesem Bereich gibt, zeigt das Entrepreneurship Center Network (siehe "Wir sind Mutmacher").
LEUCHTTÜRME LOCKEN KAPITAL UND TALENT
Erfolgreiche Unternehmensgründer haben maßgeblich zum Erstarken der Start-up-Szene in den vergangenen Jahren beigetragen. Sie stellen Know-how und Verbindungen zur Verfügung und mobilisieren durch ihre Vorbild-Funktion auch neue Gründer. Von einer wahren "Entrepreneur-Renaissance", die hauptsächlich durch die Rückkehr dieser Gründer nach Österreich ausgelöst wurde, ist denn auch auf der Webseite des Forbes Magazine zu lesen.
Der nächste Schritt sei nun das Erwachsenwerden der Szene. "Man wird in den kommenden Jahren sehen, dass wir auch in Österreich Firmen hervorbringen, die einige hundert Millionen oder sogar eine Milliarde Euro wert sein können", ist Holle überzeugt. Das werde mehr bewegen als die staatlichen oder sonstigen Instrumente oder auch die Medien bewirken könnten.
"Es geht hier um wirkliche Leuchttürme, die Kapital und Talent anziehen und um sich herum eine neue Infrastruktur bauen, woraus sich neue Start-ups entwickeln können. Ich bin überzeugt, dass das jetzt kommen wird. Was beispielsweise die Firma Runtastic heute ist, muss in vier, fünf Jahren eigentlich der Normalfall sein. Und aus Runtastic selbst muss eine Firma werden, die noch einmal eine Nullstelle mehr an Wert hintendran hat. Das hat in anderen europäischen Städten funktioniert und wird auch hier stattfinden", so der Speedinvest-Chef.
Von Stefan Thaler / APA-Science