Ehemalige FWF-Präsidenten über "die Krone der Forschung"
Dem Wissenschaftsfonds FWF standen seit 1967 neun Präsidenten, eine Präsidentin sowie eine interimistische Präsidentin vor. APA-Science hat einige der ehemaligen Führungspersonen zu ihren Ansichten über den Status Quo und aktuelle Herausforderungen der Grundlagenforschung befragt.
FRAGE 1:
Wie schätzen Sie den Stellenwert der Grundlagenforschung in Österreich ein - hat sich seit Ihrer Präsidentschaft an diesem Stellenwert etwas verändert?
FRAGE 2:
Welche Bedrohungen bzw. Herausforderungen sehen Sie für die freie, ergebnisoffene Forschung hierzulande?
Pascale Ehrenfreund (FWF-Präsidentin von 2013 - 2015)
ad F1: Der Stellenwert der Grundlagenforschung in Österreich ist noch ausbaufähig und wird vor allem durch die ausgezeichnete Arbeit und den qualitätsgetriebenen Wettbewerb des FWF langfristig gestärkt. Das ambitionierte Regierungsprogramm, das auch die Grundlagenforschung als zentrales Element der F&E-Politik und -Strategie nennt, sowie die Budgeterhöhung für den FWF in den kommenden Jahren sind ein wichtiges Signal. Aber es bedarf langfristig einer weiteren Steigerung der Fördermittel für den FWF, um die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit Österreichs zu stärken. Zum runden Geburtstag organisiert der FWF dieses Jahr ein großes Open-Air-Wissenschaftsfestival mit dem Thema "Spitzenforschung 'made in Austria', funded by FWF". Die wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit ist - neben Fördermitteln - ein wichtiger Faktor, den Stellenwert der Grundlagenforschung und deren Bedeutung für die Gesellschaft zu erhöhen.
ad F2: Grundlagenforschung ist die Basis für radikale Innovationen und ein fundamentales Element der Innovationskette. Neue Impulse, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Technologien sichern unsere Zukunft und unseren Wohlstand. Forschung braucht Risiko und Freiheit. Es darf nicht an Dynamik im Bereich der Wissenschaft und Forschung fehlen. Österreich muss zu den "Innovation Leadern" aufschließen und sein Potenzial bestmöglich nutzen. Deshalb müssen dem FWF ausreichende Fördermittel für "Blue Sky"-Forschung zur Verfügung gestellt werden, um geeignete Instrumente zur Unterstützung der wissenschaftlichen Community ausbauen zu können.
Christoph Kratky (FWF-Präsident von 2005 - 2013)
ad F1: Naturwissenschaftliche Forschung ist ein Produkt der Aufklärung, welche sich bei uns nur zögerlich und bis heute nicht vollständig durchgesetzt hat. Solange es neben evidenzbasierten Forschungsergebnissen noch andere - mystische, religiöse, pseudowissenschaftliche - Erkenntnisquellen gibt, wird Forschung leicht als Bedrohung und nicht als Bereicherung wahrgenommen. Insofern ist der Stellenwert von Grundlagenforschung in unserer Gesellschaft nicht besonders hoch und nur sehr langsamen Änderungen unterworfen.
Grundlagenforschung beantwortet nicht nur fundamentale Fragen der Menschheit, sie ist auch die beste Möglichkeit, begabte junge Nachwuchsforscher und -forscherinnen auszubilden. Sie ist daher gewissermaßen die Krone der Forschung. So zumindest die Erzählung all ihrer Adepten. Außerhalb der Grundlagenforschungs-Community wird diese Haltung allerdings kaum geteilt, Grundlagenforscher werden vielmehr als nutzlose Bewohner von Elfenbeintürmen angesehen. Demgegenüber gilt die angewandte Forschung als nützlich und daher politisch gut argumentierbar. Insgesamt sind die Forschungsaufwendungen in Österreich in den letzten Jahren merkbar gestiegen, wovon aber in erster Linie die Anwendungsforschung profitiert hat.
ad F2: Ich denke nicht, dass sich das Szenario von Bedrohungen und Herausforderungen für die Grundlagenforschung in den letzten Jahren wesentlich verändert hat. Natürlich: wir haben mit "Fake News" weltweit eine Infragestellung wesentlicher Forschungserkenntnisse (siehe Klimawandel-Debatte), es gibt in vielen Ländern einen zunehmenden Rechtfertigungsdruck auf Grundlagenforscher ("Impact-Assessment"). All das wird auch auf Österreich durchschlagen, aber nichts davon ist wirklich neu. Auch in Zukunft werden wir vollmundige Bekenntnisse zur Grundlagenforschung seitens wichtiger Entscheidungsträger hören, auch in Zukunft werden die dazugehörigen Versprechen nicht oder nur teilweise eingehalten werden. Grund zum Jammern, aber nicht zum Verzweifeln, alles wie gehabt.
Georg Wick (FWF-Präsident von 2003 - 2005)
ad F1: Österreich wird von Politikern und anderen Entscheidungsträgern immer als Kulturnation bezeichnet. Das beruht allerdings auf der irrtümlichen Annahme, dass der Begriff der Kultur mit jenem der Kunst gleichzusetzen ist. Im weitesten Sinne ist ja Kultur all das, was nicht Natur ist, in engerem Sinn besteht Kultur aber jedenfalls zumindest aus Kunst und Wissenschaft.
Hier besteht in Österreich offensichtlich ein krasses Missverhältnis: Wir schmücken uns mit den unbestreitbaren künstlerischen Leistungen unseres Landes, vernachlässigen aber die Anerkennung und Förderung der Wissenschaft - insbesondere der Grundlagenforschung - sträflich. An dieser Situation hat sich in den letzten Jahren unbegreiflicherweise leider nur wenig geändert. Trotz dieser im Vergleich zu unseren Nachbarländern wie der Schweiz oder Deutschland misslichen Situation ist es erstaunlich, dass österreichische Wissenschafter und Wissenschafterinnen auf vielen Gebieten internationale Spitzenleistungen erbringen und sich durch die suboptimalen äußeren Zustände nicht beirren lassen. Das ist in erster Linie dem Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) zu verdanken, der mit geringsten Mitteln, hoch professionell und unbestechlich die Grundlagenforscher in unserem Land auf allen Gebieten fördert. Aufgrund der viel zu geringen finanziellen Dotation des FWF können viele hervorragende Projekte junger Wissenschafter aber leider nicht gefördert werden, und Österreich verliert so viel von seinem intellektuellen Potenzial.
ad F2: Die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung sind in Österreich im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten der EU gar nicht schlecht. Das ist allerdings in erster Linie in der Förderung der angewandten Forschung durch den Staat und durch forschungsintensive Unternehmen bedingt. Für die Grundlagenforschung, die ja ausschließlich dem Wissenserwerb dient, aber anwendungsoffen ist, besteht bei den Entscheidungsträgern in Österreich nur wenig Verständnis.
Um dies zu ändern, müssten auch die Wissenschafter selbst mehr dazu beitragen, bei der Bevölkerung Interesse an ihrer Forschung zu wecken. Mein eigener Beitrag zur Lösung dieses Problems besteht seit über zwei Jahren in der Gestaltung einer wöchentlichen Serie "Grundlagenforschung für den wissenschaftsfernen Leser" in der Kronenzeitung, der am meisten verbreiteten österreichischen Tageszeitung.
Arnold Schmidt (FWF-Präsident von 1994 - 2003)
ad F1: Das 1945 wieder erstandene Österreich zeigte Tatkraft und Dynamik, die gewaltigen anstehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme in den Griff zu bekommen. Bereiche des wissenschaftlichen Lebens und der Forschungspolitik waren davon so gut wie nicht betroffen. Zwar fand 1948 in Wien eine vielbeachtete Enquete statt, unterstützt von hervorragenden, im Ausland tätigen österreichischen Wissenschaftern, die eine zeitgemäße Wissenschafts- und Forschungspolitik diskutierten. Bedauerlicherweise fand diese Initiative keine Resonanz. Zur Gründung des FWF kam es erst ein Jahrzehnt später. Die Mittel waren vorerst sehr bescheiden. Von Anfang an aber orientierte man sich an Nachbarn mit vergleichsweise gut entwickelten Finanzierungs- und Förderungssystemen. Regelmäßige Treffen mit den Spitzen der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und des SNF (Schweizerischer Nationalfonds) führten mit der Zeit dazu, dass sowohl Stipendienvergaben, die Forschungsanträge einzelner Wissenschafter, sowie die Neueinrichtung bzw. Verlängerungen von Forschungsschwerpunkten ausnahmslos der Beurteilung ausländischer Fachkollegen vorgelegt wurden. Als die Europäische Union 2007 den ERC (European Research Council) ins Leben rief, war die österreichische Wissenschaftslandschaft wohl gerüstet, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen. Die Erfolge der österreichischen Antragsteller sprechen eine klare Sprache.
ad F2: Öffentliche Forschungsförderung schließt Forschungsvorhaben mit ein, die vor allem die Vertiefungen wissenschaftlicher Einsichten zum Ziel haben. Freie, ergebnisoffene Grundlagenforschung ist in erster Linie von intellektuellem Wert. Gelegentlich aber geht ihre Bedeutung darüber hinaus. Die sich den 20er und 30er-Jahren entwickelnde Quantenphysik ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel, wie eine monumentale, völlig neue Wissenschaft aus sehr spezifischen Arbeiten einiger weniger in kurzer Zeit heran- und zusammenwächst. Die zunächst sehr esoterisch wirkenden Einsichten haben dazu geführt, dass in den letzten Jahrzehnten völlig neuartige Industrien entstanden sind, die sich über den ganzen Globus ausbreiteten - mit zahlreichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Konsequenzen.
Wissenschaftliche Ausbildung auf der Höhe der Zeit setzt die Arbeit in entsprechend qualifizierten Forschungsgruppen an Universitäten oder anderen wissenschaftlichen Einrichtungen voraus. Nur ein kleiner Prozentsatz der erfolgreichen Absolventen wird eine akademische Karriere durchlaufen. Sie sind aber ausgezeichnete Kandidaten für wichtige Positionen in der modernen Industrie, sowie im Wissenschafts- und Forschungsmanagement. Ich würde meinen, sie sind dort unersetzbar. Die in letzter Zeit deutlich gewordene Tendenz, Grundlagenforschung gegenüber der angewandten Forschung zu benachteiligen, ist auch aus diesem Grunde abzulehnen.
Helmut Rauch (FWF-Präsident von 1991 - 1994)
ad F1: Meine Präsidentschaft betraf die Jahre 1991-1994. In dieser Zeit haben wir die "Spezialforschungsbereiche" (SFB) eingeführt. Damit wurde erstmalig in Österreich für Grundlagenforschungsprojekte ein Planungshorizont von zehn Jahren geschaffen und die Kooperation verschiedener Forschungsgruppen in Österreich auf eine neue Stufe gestellt. Viele der später erarbeiteten Forschungsergebnisse beruhen auf der Förderung im Rahmen von SFBs. Leider hat sich die logische Weiterentwicklung zur Schaffung von Exzellenzzentren bisher nicht realisieren lassen.
Der Stellenwert der Grundlagenforschung erschien damals wie auch heute positiv besetzt zu sein, obgleich die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu wünschen lässt. Sehr positiv zu vermerken ist, dass der politische Einfluss auf die Forschungsförderung im Bereich der Grundlagenforschung verschwindend klein ist.
ad F2: Im Großen und Ganzen sehe ich die Entwicklung positiv, zumal Forschung und Entwicklung in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Eine gewisse Kritik sehe ich bei der zögerlichen Beteiligung Österreichs an internationalen Großforschungsinitiativen und bei fehlenden Initiativen, solche Großforschungszentren in Österreich anzusiedeln. Häufig erfolgt der Beitritt verspätet, wodurch die interessantesten Experimente meist von anderen Forschern durchgeführt werden.