Die Alternative, Biokunststoff
Plastikabfall ist derzeit medial negativ besetzt omnipräsent. Als Alternativen werden häufig Biokunststoffe genannt. Ob und wann sie in Zukunft konventionelle Kunststoffe ersetzen, ist noch nicht ganz klar.
Prinzipiell sind Kunststoffe Materialien, die entweder auf fossilen (konventionelle), nachwachsenden Rohstoffen (biologische) oder einer Kombination daraus basieren. Sämtliche Typen sind grundsätzlich recyclebar und können biologisch abbaubar sein. Also ist nicht jeder Kunststoff aus nachwachsenden Ressourcen automatisch kompostierbar, umgekehrt können fossile Kunststoffe sehr wohl biologisch abbaubar sein. Bioplastik ist die Bezeichnung für sämtliche derartige Produkte, was es Konsumenten nicht einfacher macht, den Überblick zu bewahren.
Doch an Alternativen zu den derzeit eingesetzten Kunststoffen – besonders im Verpackungsbereich – führt kein Weg vorbei, darüber besteht weitgehend Einigkeit.
"Biokunststoffe sind eine gute Alternative zu konventionellen Kunststoffen", meint dazu zum Beispiel Andy Sweetman, Vorsitzender der britischen BBIA (Bio-based and Biodegradable Association). Durch die proaktive Einführung von Biokunststoffen bei passenden Anwendungen und die Gewährleistung eines effektiven Produktidentifikationssystems würde es laut Sweetman künftig zu einer Materialaufwertung in bestimmten Bereichen kommen: "Das könnte generell zu einem besseren Gesamtbild und mehr Akzeptanz der Kunststoffbranche führen."
Wachstum von niedrigem Niveau aus
Derzeit machen Biokunststoffe laut European Bioplastics erst etwa ein Prozent der jährlich produzierten rund 348 Millionen Tonnen Kunststoff (2017) aus. Aber die Nachfrage nach anspruchsvolleren Biopolymeren, Anwendungen und Produkten steigt. Der Markt wächst kontinuierlich. Gemäß Marktdaten des Verbands soll die Produktionskapazität für Biokunststoffe weltweit von etwa 2,05 Millionen Tonnen im Jahr 2017 auf rund 2,44 Millionen Tonnen im Jahr 2022 steigen.
Aus ökologischer Sicht haben biobasierte Kunststoffe gegenüber herkömmlichen Kunststoffen einige Vorteile. Sie brauchen – wie der Name schon sagt - zur Herstellung keine fossilen Rohstoffe, sondern nutzen nachwachsende Ressourcen. Mit diversen Verfahren können aus Basismaterialien wie Mais, Weizen, Kartoffeln, Zuckerrohr, Bambus oder Holz unterschiedliche Kunststoffarten produziert werden (Stärke-, PLA- oder zellulosebasierte Kunststoffprodukte).
Hier wird in der Diskussion die Konkurrenz Lebensmittelproduktion vs. Rohstoff für die Kunststoffproduktion zum Thema – ähnlich wie beim Disput um Biotreibstoffe. "Man muss sich dabei aber immer vor Augen halten, dass die Landnutzung für den Pflanzenbau in erster Linie die Grundlage für die menschliche Ernährung darstellt", schreibt etwa Michael Sauer von der Universität für Bodenkultur im Gastkommentar "Neue Rohstoffe für Kunststoffprodukte durch die industrielle Mikrobiologie". Er plädiert daher für die "Nutzung von Nebenströmen der Land- und Holzwirtschaft". Forschung in diese Richtung existiert längst, vieles ist zwar noch in der Entwicklung, hat aber Potenzial, hört man von verschiedenen Seiten.
So sieht das auch Harald Bleier vom Kunststoff-Cluster der Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich ecoplus. Es mache wenig Sinn, aus Lebensmittel Kunststoffe in breiter Masse zu produzieren. Da müsse genau abgewogen werden, wie biogenen Rohstoffe eingesetzt würden.
Christian Pladerer, Vorstand des österreichisches Ökologieinstituts, sieht nicht wirklich die Gefahr, dass die Nutzung von landwirtschaftlichen Rohstoffen für Kunststoffe das Nahrungsmittelproblem verschärft: "Ich glaube nicht, dass wir auf der Erde ein Problem haben, zu wenige Lebensmittel zu produzieren, angesichts der Mengen, die weggeworfen werden." In Österreich werden laut Pladerer 577.000 Tonnen Lebensmittel im Jahr weggeschmissen. Daher besteht für ihn keine wirkliche Konkurrenz von Anbauflächen für Nahrungsmittel und Rohstoffe für Biokunststoffe.
Unentschieden bei "Bio vs. Konventionell"
Noch wäre es verfrüht, zu entscheiden, ob biobasierte konventionellen Kunststoffen vorzuziehen sind. Das deutsche Umweltbundesamt etwa ist in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass Bioplastik in der Gesamtökobilanz nicht besser ist als herkömmlicher Kunststoff. Die Klimabilanz ist laut dem Amt durch die CO2-Einsparungen zwar etwas besser, die Umweltbelastungen aufgrund des Rohstoffanbaus aber mindestens genauso hoch.
Noch sind Recycler, Verwerter und Entsorger skeptisch gegenüber Biokunststoffen, geht aus dem Papier aus dem Jahr 2017 weiter hervor. Demnach sehen Kunststoffrecycling-Unternehmen in derartigen Produkten Störstoffe, "die die Recyclingprozesse stören und die Qualität der Rezyklate beeinträchtigen". Die Duale System GmbH wiederum bemängelt, "dass es für Biokunststoffe noch wenige umfassende Ökobilanzen gibt, und dass deren Kompostierbarkeit und die Verarbeitung in großtechnischen Kompostieranlagen nicht gewährleistet ist."
Ähnlich sieht man das bei Altstoff Recycling Austria (ARA). "Aus unserer Sicht ist der wesentliche Aspekt beim Einsatz von Verpackungen auf biologischer Basis die Verwendung nachwachsender Rohstoffe in der Produktion. Entsprechende ökobilanzielle Vergleiche liegen auch in Österreich nur eingeschränkt vor", hieß es gegenüber APA-Science.
In Österreich stehe die Leichtverpackungssammlung auch als Sammelsystem für Packstoffe auf biologischer Basis zur Verfügung, so die ARA weiter: "Eine alternative Erfassung solcher Verpackungen über die Biotonne ist aufgrund der Verwechslungsgefahr mit Kunststoffverpackungen und damit vorprogrammierten Fehlwürfen und Qualitätsproblemen derzeit nicht sinnvoll – verantwortliche Vertreter von Landesregierungen, Abfallwirtschaftsexperten und Betreiber von Kompostierungsanlagen haben starke Bedenken gegenüber einer möglichen Miterfassung über die Biotonne geäußert." Die Sammlung von Packstoffen auf biologischer Basis erfolge daher je nach Sammelregion über die Gelbe Tonne, den Gelben Sack oder gemeinsam mit der kommunalen Restmüllerfassung. Die erfassten biogenen Verpackungen werden dabei laut ARA "überwiegend einer CO2-neutralen thermischen bzw. energetischen Verwertung" zugeführt.
Beim Hersteller von Kunststoffen aus nachwachsenden Ressourcen NaKu sieht man das etwas anders. "Die nicht eindeutige Definition von Biokunststoff befeuert das Problem, das stimmt. Hier bedarf es klarer Begrifflichkeiten, Aufklärung und Kennzeichnung", erklärte NaKu-Geschäftsführer Johann Zimmerman in einem Statement gegenüber APA-Science.
Entsorgungsbetriebe würden sich gegen eine neue Kunststofffamilie aussprechen, weil es mehr Aufwand bedeute. "Wie jeder andere Kunststoff auch muss Biokunststoff getrennt werden, um sortenrein recycliert zu werden. Wir konnten in einem EU-geförderten Projekt mit einem Maschinenproduzent nachweisen, dass ein fünf- bis sechsmaliges Recycling unserer Milchsäureflaschen zu keiner Verschlechterung der Materialeigenschaften führt", so Zimmermann. Entsorger würden für die Sortierung mit Verpackungslizenzgebühren bezahlt. Das sollte auch für Biokunststoffe gelten: "Dann sollen sie dieser Aufgabe auch nachkommen", fordert der NaKu-Vertreter.
In die Kaskade
Noch ist das Thema Ökobilanzen also zu wenig geklärt. Aber immerhin ist biobasierter Kunststoff bei der energetischen Verwertung aber etwas klimafreundlicher als herkömmliches Plastik. Schließlich wird dabei nur so viel CO2 freigesetzt, wie das pflanzliche Ausgangsmaterial während seiner Lebensspanne gespeichert hatte – weniger, als bei erdölbasierten Materialien.
Aber, "die höchste Wertschöpfung kann nur durch kaskadische Nutzung von biogenen Rohstoffen erzielt werden. So lange sich Kunststoff recyceln lässt, sollte dies gemacht werden. Erst wenn es technisch nicht mehr möglich ist, das Produkt wiederzuverwerten, sollte es für die Energiegewinnung genutzt werden", meinte Hubert Culik, Obmann des Fachverbandes der Chemischen Industrie (FCIO), Ende 2017 bei einer Veranstaltung zum Thema Biokunststoffe.
Pladerer vom Ökologieinstitut stimmt dem zu, meint jedoch gleichzeitig, dass das Recycling von Biokunststoffen dahingehend schwierig sei, da sie aus ganz anderen Bestandteilen bestehen als konventionelle Kunststoffe. "Prinzipiell werden Hohlkörper oder auch große Verpackungen recycliert, Plastiksackerl dagegen gehen mit großer Wahrscheinlichkeit in die Thermik. Beim Verheizen ist es dann egal ob fossil oder bio – bis auf die CO2-Bilanz eben."
"Recycling von Kunststoffabfällen sehen wir als unumgänglich an, wobei in der Abfall-Hierarchie zuerst die Vermeidung unnötigen Werkstoffverbrauchs, danach Wiederverwendung von Produkten z.B. durch Mehrweggebinde und erst dann das stoffliche Recycling kommt. Die Technologien dafür sind verfügbar. Daran schließt sich das energetische Recycling im Sinne der Wiedergewinnung der im Kunststoff gespeicherten Energie an und erst zuletzt darf an das Deponieren gedacht werden. Das wilde Deponieren (Littering) in der Landschaft muss unbedingt vermieden werden", erläuterte die Montanuniversität Leoben Kunststofftechnik gegenüber APA-Science.
Höhere Produktwertigkeit muss her
Pladerer wiederum moniert, dass derzeit zu viele Biokunststoffe für klassische Einwegprodukte (Sackerl, Becher, Geschirr usw.) verwendet werden. Dafür gebe es schon sehr gute Mehrwegsysteme, die langlebig seien und ökologisch mehr Sinn machen würden. Er wünscht sich ein Umdenken in Richtung: "Schafft es der Biokunststoff, ein langlebiges Produkt zu generieren?"
So ist es laut Pladerer noch immer nicht möglich, Kunststoffflaschen aus biogenen Rohstoffen mit kohlensäurehaltigen Getränken zu befüllen. Das ist der derzeit noch kaum bewältigbare Spagat für Biokunststoffe. Auf der einen Seite sollen sie biologisch in einer recht kurzen Zeit komplett abbaubar sein, auf der anderen wird von hochwertigen Kunststoffen Langlebigkeit eingefordert. Das sollte für ihn verstärkt in den Fokus der Forschung genommen werden: "Wenn man schon von Verpackungen spricht, sollte man nicht über Wegwerfprodukte reden, sondern über im Kreislauf geführte Mehrwegsysteme."
Bio kein voller Ersatz für klassische Kunststoffe
"Biobasierte, abbaubare Kunststoffe sind in den vergangenen 20 Jahren mit der Hoffnung entwickelt worden, die Abfallsituation mit all ihren Problemen (Ozeanvermüllung, Littering usw.) zu lösen", erklärt wiederum Clustermanager Bleier. Für ihn ist das der falsche Ansatz. Biokunststoffe an sich würden sehr wohl einen Markt haben, aber nicht den, der derzeit noch von konventionellen Kunststoffen besetzt werde. Bedingt sei das durch die spezifischen Eigenschaften, die derartige Biokunststoffe haben. "Sie werden niemals die vorhandenen Kunststoffe in voller Breite ersetzen können. Sie verfügen aber über Eigenschaften, die man sehr positiv einsetzen kann", so Bleier. Auch wenn der Anteil der Biokunststoffproduktion an der Gesamtkunststoffproduktion einmal bei 20 Prozent - worauf derzeit noch einiges fehlt - liegen sollte, wären "sie erst in einem Segment sichtbar".
Lediglich rund fünf Prozent der Erdölproduktion gehen in die Herstellung von Kunststoffen, die restlichen 95 Prozent gehen in die Energiegewinnung und Treibstoffe. In diesen Bereichen bestehe daher auch ein weit höheres Einsparungspotenzial, argumentiert der Clustermanager. Zu glauben, man könne mit einem auf landwirtschaftlichen Ressourcen basierenden Produkt wirtschaftlich mit der Erdölindustrie konkurrieren, wird seiner Meinung nach nicht funktionieren. "So lange wir in einer offenen Marktwirtschaft und einem globalen Wettbewerb agieren, wird der Preis kombiniert mit der Qualität das bestimmende Moment sein", sagt Bleier. Biobasierte Kunststoffe mit ihren spezifischen Eigenschaften haben durchaus auch Vorteile gegenüber fossilen Produkten. Es gebe sehr wohl Potenzial, "da sie zum Beispiel für die Textilindustrie Spezifika mitbringen, die Kunststoffe aus Erdöl nicht aufweisen." Dann könne auch ein adäquater Preis erzielt werden, der sich den Kosten, die der biologische Rohstoff über seinen Lebenszyklus hinweg verursacht, gegenüberstellen lässt. Das gelte auch für Biokunststoffe aus zweiten Generation (hauptsächlich aus Lebensmittelabfall), da auch Abfall seinen Preis hat, umso mehr, wenn steigender Bedarf danach besteht.
Es kommt mehr Vielfalt
"Biokunststoffe stecken noch in ihren Kinderschuhen. Sie werden in zehn Jahren anders und vielfältiger aussehen als jetzt", weiß wiederum NaKu-Vertreter Zimmermann. "Alles wartet zum Beispiel auf die Marktreife von biobasiertem Polyethylenfuranoat (PEF), einem zu 100 Prozent nicht kompostierbarem Flaschenwerkstoff mit höheren Barriereeigenschaften als PET. Auch andere Rohstoffquellen für Biokunststoff aus Algen oder Abfallströmen seien ein starkes Thema, würden aber noch brauchen. Dementsprechend könnten sich mit neuen Werkstoffen weitere Anwendungsgebiete ergeben, so Zimmermann.
"In allen Bereichen - ob im täglichen Leben oder in der Industrie - ist man schon lange übereingekommen, dass nachwachsende Varianten anzustreben sind. Nur beim Kunststoff ist die Machbarkeit für die Allgemeinheit irgendwie schwerer greifbar, um es als einen ersten Schritt in weltgerechtere Richtung zu sehen", wünscht sich Zimmermann ein allgemein stärkeres Commitment für biobasiertes Plastik.
Der Konsument und das Zertifikat
Bleibt noch die Frage, wie weiß der Kunde, welchen Kunststoff er gerade in Händen hält? Eine Lösung sind Zertifikate, die anzeigen, woraus das Produkt besteht und wie damit umzugehen ist. In diesem Bereich engagiert sich TÜV AUSTRIA. Das Unternehmen bietet unterschiedliche OK compost-Zertifizierungslogos an. "Damit wissen Konsumenten auf den ersten Blick, wie nachhaltig das Verpackungsmaterial ist. Die Zertifizierung ist auf verschiedene Produktgruppen, wie etwa Plastikbeutel, Folien und diverse Verpackungen – beispielsweise für Lebensmittel – ausgelegt", erklärt Rob Bekkers, Executive Business Director Life, Training & Certification bei TÜV AUSTRIA.
Damit ein Produkt zertifiziert werden kann, ist in einem ersten Schritt eine klare und detaillierte Beschreibung des Produkts nötig. Danach wird es vier unterschiedlichen Tests unterzogen: Überprüft wird die biologische Abbaubarkeit, der Zerfall, die Ökotoxizität, und der Schwermetallgehalt. Jedes Produkt muss zudem zwei Anforderungen erfüllen, um die Zertifizierung zu erlangen: Der gesamte organische Kohlenstoffgehalt des Produkts beträgt mindestens 30 Prozent und der Kohlenstoffgehalt eines nachwachsenden Rohstoffs beträgt mindestens 20 Prozent.
International gibt es bereits eine Vielzahl an OK compost-Kunden. "Dem Phänomen vom landläufig bekannten "Obstsackerl", das häufig gemeinsam mit dem Biomüll entsorgt wird, wirken heimische Supermärkte bereits entgegen. Sie setzen auf biologisch abbaubare Verpackungsmaterialien, die von TÜV AUSTRIA auf ihre Nachhaltigkeit geprüft und mit dem OK compost-Logo versehen werden, um mehr Transparenz für die Kunden zu schaffen", so Dekkers zu Tätigkeiten am österreichischen Markt.
Von Hermann Mörwald / APA-Science