Hengstschläger hielt Plädoyer gegen die Mitte
Ein Plädoyer für die Individualität hielt der Wiener Genetiker und Autor des Anfang des Jahres erschienenen Buchs "Die Durchschnitts-Falle", Markus Hengstschläger, Freitag Nachmittag bei einer Diskussion im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche. Die nächste Generation müsse das einfordern, was ihr gutes Recht sei: dass sie individuell behandelt werde. Innovation entstehe dadurch, dass jeder junge Mensch seine individuellen Leistungsvoraussetzungen entdecken könne, dass im Land Rahmenbedingungen existieren, die ihm ermöglichen, durch harte Arbeit und viel Üben "eine besondere Leistung, also Erfolg umsetzen zu können".
Seine Forderung verpackte Hengstschläger in ein Gleichnis über eine Klasse von 20 Kindern, die in einem Turnsaal vom Lehrer gesagt bekommen, dass bald ein Ball komme, allerdings nicht aus welcher Richtung. Der Lehrer fordert die Kinder auf, sich so hinzustellen, dass sie den Ball fangen können. "Das ist das klassische Problem der Innovation: die Fragen, die da kommen, kommen aus der Zukunft, niemand weiß, wann und woher sie kommen, wie sie lauten. Aber jeder verlangt von uns, uns so aufzustellen, dass wir sie auch beantworten können", so Hengstschläger.
Der Wissenschafter vermutet, dass in seinem Gleichnis die Politik auf die Idee kommen würde, diesen Kindern zu helfen und wahrscheinlich einmal eine Expertenkommission einberufen würde. Diese käme wahrscheinlich auf die Idee festzustellen, woher denn der Ball in einem Turnsaal so im Durchschnitt geflogen kommt. Dann würde man Meinungsumfragen machen, Statistiken erheben, in andere Länder wie Südkorea oder Finnland fliegen und fragen, woher denn dort der Ball so im Durchschnitt komme. Am Ende habe man dann unglaublich viele Daten, es gebe wahrscheinlich eine Pressekonferenz, in der es hieße: "Liebe Schüler, in der Geschichte ist der Ball bisher zehnmal von links oben und zehnmal von rechts unten gekommen, daher kommt in eurem Turnsaal der Ball im Durchschnitt aus der Mitte." Hengstschläger: "Da ist der Ball in der Geschichte noch nie hergekommen, dennoch kommt die Empfehlung: 'Liebe Kinder, stellt euch bitte alle 20 in der Mitte auf, denn von dort kommt er im Durchschnitt her.'"
Die Wahrscheinlichkeit strebe gegen Null, dass 20 Kinder an einem Punkt in der Mitte stehend den Ball fangen, von dem sie nicht wissen, woher er kommt, meinte Hengstschläger, den das aber als "gelernten Österreicher - nie ganz vorne, nie ganz hinten, da treffen einen die Kugeln, in der Mitte ist es nicht schlecht" - gar nicht ärgert. Was ihn aber stört, und da hat sich seiner Meinung etwas verändert in Österreich, ist die Fortsetzung der Geschichte.
Denn ein Schüler der Klasse komme am Nachmittag nach Hause und erzähle, dass er heute in der Mitte des Turnsaal gestanden sei, weil da ein Ball komme, von dem man nicht wisse wann und woher. Und die Mutter meine, alles klar, der Ball werde schon oft aus der Mitte gekommen sein. Dem müsse aber ihr Sohn widersprechen: Nein, man wisse sicher, von dort sei er noch nie gekommen. "Jetzt bekommt die Mutter Schweißperlen auf der Stirn, ruft die Nachhilfelehrer, die Schule usw. an und sagt, mein Bub hat versagt, er steht in der Mitte vom Turnsaal, obwohl von dort noch nie der Ball gekommen ist, wie kann das sein", so Hengstschläger. Doch das Kind sage dann zu seiner Mutter, was zur Zeit jeder im Land hören wolle: "Mama, mach dir keine Sorgen, die anderen sind auch in der Mitte gestanden. Dann sagt die Mutter: 'Ach so, na dann.'"
In Österreich sei es bis zu einem gewissen Grad so, dass es die Eltern beruhige, wenn die anderen auch in der Mitte gestanden seien. "Man kommt mit einem Vierer nach Hause, und die erste Frage, die man gestellt bekommt, ist: 'Was haben die anderen gehabt ?'. Waren viele Nicht Genügend, ist er ein Star, waren viele Sehr Gut, ist er ein Versager. Er hat aber die selbe Note. Ich glaube wir sind in diesem Land an dem Punkt angekommen, wo es einfacher ist, sich in der Mehrheit zu irren als alleine recht zu haben. Das müssen wir ändern", so Hengstschläger.