Halbwissen und Unsolidarität Ursachen für Suchtgefährdung
Suchterkrankungen verzeichnen seit Jahren in vielen Bereichen hohe Zuwachsraten. Das liegt nicht nur an der Verfügbarkeit der Suchtmittel, sondern auch an unserer zunehmend unsolidarischen Gesellschaft, in der nicht Leistung, sondern Erfolg zählt, ist Michael Musalek, Leiter des Wiener Anton Proksch Instituts, einer der größten Suchtkliniken Europas, überzeugt. Als weiteren Schlüsselfaktor für Suchterkrankungen sieht er das gefährliche Halbwissen der Bevölkerung. Am 21. August präsentiert er seine Thesen beim Alpbacher Fachhochschulforum, das sich heuer dem Thema "Black Out: Möglichkeiten und Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft" widmet.
"Eine Suchterkrankung lässt sich nicht nur als Entwicklung aufgrund einer genetischen Disposition im luftleeren Raum begreifen. Sucht hat wichtige gesellschaftliche Aspekte", erklärte Musalek im Gespräch mit der APA. Er plädiert daher nicht für Verbote und Stigmatisierung von Suchtmitteln, sondern für einen kompetenten Umgang der Gesellschaft mit Sucht, mehr Information und die Entkoppelung von Leistung und Erfolg.
Lückenhaftes Wissen
"Ich fürchte, es ist ein Wunschtraum, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben", so der Suchtforscher. Vielmehr sei es eine Gesellschaft des gefährlichen Halbwissens - das vom Halbwissen bei Bergwanderungen bis zu jenem beim Pilzesammeln reiche. Oder eben bei der Sucht, wo die vorhandenen Wissenslücken mit Vorurteilen aufgefüllt würden. "Und so wird dann auch mit Suchtmitteln umgegangen." Als besonders schwierig beschreibt Musalek diese Situation vor allem deshalb, weil die Menschen sich ihres lückenhaften Wissens kaum bewusst seien.
Als zweite Ursache für die gestiegenen Suchterkrankungsraten sieht Musalek die Erfolgsgesellschaft. "Heute wird gerne behauptet, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Aber nicht Leistung wird honoriert, sondern Erfolg." Dadurch würden viele Menschen in eine stetige Leistungsüberforderung hineingedrängt. Den Ausweg bieten Suchtmittel, die sowohl als Dopingmittel, aber auch zur Entspannung und zur Bewältigung von Ängsten oder Sorgen eingesetzt werden - in Österreich an erster Stelle der Alkohol. Ganz besonders gefährdet seien daher Menschen, die dauernd Erfolg vorweisen müssten: Künstler, Politiker, aber auch Personen im Gesundheitswesen oder in der Medienbranche.
Zusammenhang mit Depressionen
Aber nicht nur stoffgebundene, auch stoffungebundene Süchte wie etwa Spielsucht, Online-Sucht oder Kaufsucht nehmen zu. "Bei der Spielsucht gibt es klare Zusammenhänge mit Depressionen", schilderte der Suchtforscher, "und zwar nicht nur als Folge, sondern auch als Auslöser." Oft würden Betroffene versuchen, Depressionen durch Spielsucht zu kompensieren. Auch etwa bei der Kaufsucht erkennt Musalek klare Zusammenhänge zum Druck der Erfolgsgesellschaft, die eine ständige Konkurrenz zu anderen vermittle.
"Natürlich müssen wir uns therapeutisch verbessern oder Sucht früher erkennen. Wir müssen uns aber auch überlegen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die uns stark suchtgefährdet", meinte Musalek. Auswege sieht er in der Rückkehr zu einer solidarischen Leistungsgesellschaft und neuen Informationsstrategien. Sowohl von Seite der Medien, als auch von jener der Konsumenten "müssen neue Wege gefunden werden, nicht nur Informationsschlaglichter zu vermitteln und aufzunehmen, sondern wirklich grundlegend zu informieren und dieses Wissen dann auch praktisch umzusetzen."