Helga Nowotny: Ohne Grundlagenforschung keine Wertschöpfung
"Ohne Grundlagenforschung gibt es keine Wertschöpfung", meint die Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC), Helga Nowotny. Deshalb Druck auf die Grundlagenforschung auszuüben, um möglichst schnell Verwertbares hervorzubringen, sei aber weder eine kluge noch eine erfolgsversprechende Strategie, sagte die Ende des Jahres aus dem Amt als ERC-Chefin scheidende österreichische Wissenschaftsforscherin im APA-Gespräch. Von der nächsten österreichischen Bundesregierung wünscht sie sich, Forschung und Bildung zur Priorität zu machen.
APA: Sie leiten bei den Alpbacher Technologiegesprächen eine Diskussion zum Thema "Umsetzung von Forschung in die Wirtschaft". Es gibt auch eine neue ERC-Förderschiene, die Innovationen anregen soll. Geht der ursprünglich stark Grundlagenforschung-orientierte ERC zunehmend in Richtung angewandter Forschung?
Helga Nowotny: Ganz im Gegenteil. Gerade weil der ERC die Grundlagenforschung in Europa ohne jegliche Prioritätensetzung oder andere Vorgaben fördert – unser einziges Förderkriterium ist wissenschaftliche Exzellenz –, können wir den Preisträgern anbieten, interessante Ideen aus ihren Projekten weiterzuverfolgen. Viele Beispiele zeigen, dass die Trennung zwischen Grundlagenforschung und Anwendung fließend sein kann und beide Seiten gefordert sind aufeinander zuzugehen, wenn wir robuste Lösungen finden wollen.
APA: Die Technologiegespräche beschäftigen sich heuer auch mit dem Thema "Wertschöpfungskette". Sehen Sie die Grundlagenforschung als Teil dieser Kette oder führt eine solche Betrachtung nicht zu einem Druck auf die Grundlagenforschung, Verwertbares hervorzubringen?
Nowotny: Ohne Grundlagenforschung, d. h. ohne die Produktion neuen Wissens, gibt es keine Wertschöpfung. Das Problem besteht darin, dass niemand sagen kann, wann aus der Grundlagenforschung welche völlig neuen Produkte hervorgehen werden oder welche neue, in der Natur nicht vorkommende Phänomene entdeckt werden können, aus denen sich neue Anwendungsgebiete erschließen. Wenn wir unsere heutigen Technologien ansehen, so müssen wir doch eingestehen, dass wir von einer Grundlagenforschung profitieren, die absolut nichts mit diesen Anwendungen zu tun hatte.
Druck auf die Grundlagenforschung, Verwertbares möglichst schnell hervorzubringen, ist daher weder eine kluge noch eine erfolgsversprechende Strategie. Natürlich gibt es Bereiche, die bereits so weit gediehen sind, dass sich spezifische und genau zu definierende Probleme gezielt angehen lassen. Die Wertschöpfung ist dann bereits in Reichweite, doch das darf nicht auf Kosten der Grundlagenforschung gehen, von deren späteren Früchten noch niemand etwas ahnt.
APA: Was ist denn Ihrer Meinung nach wichtig für die Umsetzung von Forschungsergebnissen in der Wirtschaft?
Nowotny: Gegenseitiger Respekt und aufeinander Zugehen. Insgeheim wünscht sich jeder Forscher, jede Forscherin, dass ihre Ideen aufgegriffen werden und nützlich sein könnten. Umgekehrt muss die Wirtschaft zur Kenntnis nehmen, dass Innovation heute ohne Einbezug der neuesten Forschungsergebnisse schwer denkbar ist.
APA: Man hat oft den Eindruck, andere Länder schaffen diese Umsetzung besser als Europa - wo sind hier die Hemmnisse?
Nowotny: Hier gibt es sowohl kulturelle Unterschiede wie auch Unterschiede in der Bereitstellung von Risikokapital, was in Europa weitaus weniger der Fall ist. Jedenfalls hat die Globalisierung den Wettbewerb intensiviert. Europa und die USA sehen sich heute mit neuen Konkurrenten in Asien, aber auch etwa Brasilien umgeben und die Karten werden neu gemischt.
APA: So wie es jetzt aussieht, gibt es nicht mehr als 70 Mrd. Euro für das neue EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon 2020". Was bedeutet diese gegenüber den ursprünglichen Plänen von 80 Mrd. Euro deutlich niedrigere Summe?
Nowotny: Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise war das wahrscheinlich das beste zu erzielende Ergebnis. Für den ERC können wir insofern zufrieden sein, als sich das Budget von 7,1 Mrd. Euro auf 13,4 Mrd. Euro erhöhen wird.
APA: Ende des Jahres endet Ihre Amtszeit als Präsidentin des ERC, den sie von Anfang an mit aufgebaut haben. Worauf sind Sie stolz, was ist noch nicht gelungen? Was würden Sie sich für die Zukunft des ERC wünschen?
Nowotny: Wenn ich auf meine Amtszeit zurückblicke, so kann ich ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass der ERC zu der Erfolgsgeschichte der EU-Forschungsförderung wurde. Wir konnten beweisen, dass es absolut richtig war, die Strategieentscheidungen ausschließlich dem ERC Scientific Council zu überlassen, also den Wissenschaftern selbst. Diese Entscheidungen waren und sind vom Vertrauen getragen, das wir in die wissenschaftliche Urteilskraft unser fast 3.000 Gutachter haben, die wissenschaftlich besten Projekte auszuwählen.
Wir sehen, was allerdings nicht überraschend kommt, eine starke Konzentration der ERC-PreisträgerInnen. Exzellenz zieht eben Exzellenz an. Das bedeutet, dass etwa 50 Prozent der ERC-Fördernehmer in 50 Institutionen zu finden sind, während die andere Hälfte über mehr als 500 Institutionen verteilt ist. Hier wünsche ich mir, dass der Wettbewerb auf der Ebene der Universitäten und Forschungsinstitutionen in Zukunft dazu führt, dass noch mehr Anstrengungen in diesen Institutionen unternommen werden, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einwerbung zu schaffen. Denn talentierte Forscher gibt es überall in Europa – allerdings fehlen an manchen Orten die institutionellen Voraussetzungen, um sie entsprechend zu fördern. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass der ERC zum Inbegriff der weltweiten Attraktivität Europas in der Forschung wird.
APA: In Österreich stehen Nationalratswahlen an - was würden Sie sich denn von einer neuen Regierung im Bereich Wissenschaft wünschen?
Nowotny: Klare und wirkungsvolle Strategien, um Wissenschaft, Forschung und Bildung zu jenen Prioritäten zu machen, die sie für ein Land wie Österreich sein müssen, wenn wir unsere Zukunft selbst gestalten wollen. Das beginnt mit einem höheren Budget für die eindeutig unterfinanzierten Universitäten des Landes. Doch es geht niemals nur ums Geld allein – es bedarf einer Änderung der Einstellung zur Forschung und ihrem Stellenwert für unser aller Zukunft.
(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)