Naturwissenschaften stinken, Geisteswissenschaften blühen
Häufig stehen die Geisteswissenschaften im Schatten der Naturwissenschaften. Ganz anders stellte sich dies bei einer Diskussionsveranstaltung im Vorfeld der Alpbacher Technologiegespräche am 22. August dar: Die Naturwissenschaften hätten derzeit einen schlechten Ruf, übertroffen nur von den Wirtschaftswissenschaften, meinte der erste Generalsekretär des European Research Council (ERC), Ernst-Ludwig Winnacker, sie "haben einen gewissen Hautgout".
Winnacker führt dies auf Fächer wie Biologie, Physik oder Medizin zurück, die "in Diskussion geraten sind und kritisch gesehen werden". Grund dafür seien Themen wie Transplantationsmedizin, Gentechnik oder Stammzellenforschung.
Bei den Fördergeldern zeigt sich dagegen laut Winnacker ein völlig anderes Bild. So habe er in seiner Zeit als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) immer die Klagen der Geisteswissenschafter gehört, dass sie zu wenig bekämen. Deren Anteil am gesamten Förderkuchen sei immer bei 17 bis 18 Prozent gelegen. Als man dann auf europäischer Ebene den ERC gegründet hatte, völlig ohne Vorgaben über Anteile für Disziplinen, stellte sich in der ersten Förderrunde heraus, dass erneut 18 Prozent der Anträge von Geisteswissenschaftern kamen.
Viele interessierte Studenten
Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, verwies auf jüngste Uni-Reformen in Großbritannien, durch die Hochschulen Geld je nach Zustrom zu den Studienfächern bekommen sollten. Die Geisteswissenschafter hätten dadurch den Untergang des Abendlandes befürchtet, tatsächlich stellte sich heraus, dass dieses Wissenschaftsgebiet floriere, weil so viele Philosophie, Literaturwissenschaft etc. studieren. Daston ortet "eine komische Asymmetrie" in der Tatsache, dass "bedauernswerterweise" immer weniger Leute naturwissenschaftliche und technische Fächer studieren, während geisteswissenschaftliche Studiengänge florieren.
Auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (V), dessen Ressort gemeinsam mit dem Wissenschaftsfonds FWF Veranstalter der Diskussion war, konstatierte anhand des Andrangs an den Unis Probleme bei den Naturwissenschaften. Das sei möglicherweise so, weil naturwissenschaftliche Fächer als schwer gelten, allerdings sei etwa die überlaufene Architektur auch nicht leicht. Sonst sieht er die Naturwissenschaften nicht in der Defensive, "vielleicht hinken wir in Österreich aber wieder einmal nach".
Eine Frage der Bewertung
Der Altphilologe Töchterle hat vielmehr den Eindruck, dass man, wenn man von Wissenschaft redet, primär an Naturwissenschaften denkt. Auch in der Förderung dominieren nach Ansicht des Ministers die Naturwissenschaften. Wenn heute jemand zu Schwarzen Löchern oder Roten Riesen forschen möchte, habe er kein Problem Geld dafür zu bekommen. Wenn ein Neulateiner Texte des 17. Jahrhunderts übersetzen wolle, um die Ideengeschichte zu verstehen, "hat er höchsten Begründungsbedarf und kriegt doch nichts." Gleichzeitig stellte Töchterle die Frage in den Raum, ob es wirklich so schrecklich sei, wenn man sage, dass niemand sich mehr für Naturwissenschaften interessiere: "Würde man das gleiche über Altphilologie sagen? Da höre ich eine ganz implizite Präferenz für Naturwissenschaften heraus."
Beruhigen konnte ihn Winnacker: "Ich glaube nicht, dass Altphilologen aussterben - nicht zuletzt, weil sie auch Minister werden." In der Wissenschaft seien eben alle Fächer Moden unterworfen.