Vielfalt des Lebens gerät zunehmend unter Druck
Der Klimawandel ist nach Ansicht des Generaldirektors der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt, Volker Josef Mosbrugger, ein wichtiges Thema, daneben gebe es aber ein weiteres "ganz ernsthaftes Problem: die Biodiversität", also die biologische Vielfalt und damit letztlich das Leben. Über dessen Zukunft wisse man derzeit noch sehr wenig. "Es erwartet uns eine evolutionäre Welt, die sich permanent in kleinen Schritten verändert, aber keine globale Katastrophe", sagte Mosbrugger am 23. August bei den Alpbacher Technologiegesprächen.
Man könne und müsse aber dennoch schon jetzt eine ganze Menge tun, wobei es "keine Optimumlösung, keinen Masterplan gibt. Wir müssen wie in der Evolution mit vielen Ansätzen und mit Trial und Error arbeiten."
Wenn es um die Zukunft des Lebens gehe, wüssten wir derzeit nicht, was uns erwartet, ist Mosbrugger überzeugt. So kenne man den wahren Verlust an Biodiversität gar nicht, nach Schätzungen sei er aber "massiv". Derzeit kennt man 1,5 bis 1,8 Mio. Arten, davon sind eine Mio. Arten Insekten. Plausible neueste Schätzungen gehen davon aus, dass es zehn Mio. Arten auf der Erde gibt, rund 10.000 neue Arten werden pro Jahr entdeckt . "Das heißt, wir kennen zehn bis 20 Prozent der Arten, das ist verdammt wenig", sagte der Experte.
Lange "Rote Listen"
Und was wir heute kennen, sei vielfach bedroht. Den "Roten Listen" zufolge sind 39 Prozent aller untersuchten Arten, das sind laut Mosbrugger mehrere 10.000, vom Aussterben bedroht. "Aussterben gibt es immer, das gehört dazu", sagte der Experte, mittels statistischer Methoden könne man aber zeigen, dass die Aussterberate 100 bis 1.000 mal höher liege als das normales Hintergrundaussterben.
Als wichtigsten Grund für das Aussterben von Arten nannte Mosbrugger "ohne Zweifel die Landnutzung, die Veränderung der biologischen Oberfläche", etwa die Abholzung vor allem der tropischen Wälder. Der zweite wichtige Faktor sei der Klimawandel, wodurch Schätzungen zufolge "zwischen 15 und 37 Prozent der Arten bei uns verschwinden". Dabei dürfe man aber nicht nur auf die geringere Artenzahl achten, noch viel höher sei der Verlust der genetischen Vielfalt, "das reine Schauen auf derzeit bedrohte Arten ergibt kein Bild dessen, was tatsächlich auf der Welt passiert".
Vegetationszonen wandern
Auch die Migration von Arten, die mit sich verändernden Klimazonen mitwandern, spiele eine Rolle. Dabei dürfe man nicht nur die Ansprüche einer Art berücksichtigen, sondern auch ihre Wanderungsmöglichkeiten. Erste solche Vegetationsmodelle würden derzeit angewendet. So wurde etwa damit untersucht, was in Afrika passiert, wenn der CO2-Gehalt und damit die Temperatur den Prognosen entsprechend bis 2100 ansteigt: "Es zeigt sich, dass sich dann die gesamten Ökosysteme in Afrika völlig verändern würden, man bekommt einen völligen Switch der Vegetation", so Mosbrugger. Dadurch würde sich in relativ kurzer Zeit die Lebensgrundlage für die Leute dort dramatisch ändern.
Man wisse aber nicht nur wenig über den wahren Biodiversitätsverlust, auch das Systemverhalten sei unbekannt. "Es geht nicht nur um einzelne Arten, sondern um Ökosysteme, und es geht nicht nur um Ökosysteme, sondern um das System Erde. Und da sind wir erst am Anfang, dieses System zu verstehen. Und wir verstehen die Konsequenzen nicht."
Die Menschen müssten sich darauf einstellen, dass sich die Erde verändert. "Global Change gibt es immer, das ist per se nichts Schlechtes", so Mosbrugger. Die Menschen hätten heute die Erde komplett umgestaltet, "an vielen Stellen ohne Sinn und Verstand". Die Aufgabe sei es nun, das fortzuführen, "nun aber mit Sinn und Verstand. Wir müssen ein Nachhaltigkeitskonzept entwickeln, das auch Veränderungen beinhaltet."