Ökologe: Aus für EU-Renaturierung wäre "Begräbnis von Green Deal"
Der Rückschlag am Freitag für das EU-Renaturierungsgesetz wirft aus Sicht des Ökologen Franz Essl von der Universität Wien ein großes Fragezeichen auf: Komme diese wichtige umweltpolitische Initiative nicht zustande, wäre das "ein Begräbnis erster Klasse für den 'Green Deal'", so das Mitglied des Österreichischen Biodiversitätsrates im Gespräch mit der APA. Österreich müsse sich die Frage gefallen lassen, ob es einer der aktiven Mit-Ausheber dieses Grabes sein möchte.
Damit spielt der Biodiversitätsforscher auf die Enthaltung Österreichs wegen eines Beschlusses der Bundesländer an. Die Position sei aber alles andere als "unverrückbar". Die Frage sei, ob man hier zentrale Elemente des europäischen Gedankens - der Naturschutz habe immerhin in der Bevölkerung laut vielen Umfragen einen hohen Stellenwert - aufgrund von "Partikularinteressen" opfern möchte.
Die nunmehr entstehende "Pause" für das Renaturierungsgesetz werde hoffentlich genutzt, "um ein positives Ergebnis zustande zu bekommen". Falle das Renaturierungsgesetz endgültig, dann sei die Chance sehr groß, dass zentrale umweltpolitische Zielsetzungen für die EU, "die ganz eindeutig zum Wohle der Bevölkerung in der EU sind" - Stichwort "Green Deal" - mit fallen. Essl: "Da wird der Rückwärtsgang eingelegt und das ist schon sehr problematisch und bedauerlich."
Die Verschiebung vor der für Montag geplanten finalen Abstimmung seitens der EU-Umweltminister passe in ein Bild, sich ändernder politischer Prioritäten. So haben sich große Teile der Europäischen Volkspartei (EVP) in einigen umweltpolitischen Punkten neu orientiert. Einen Beitrag dazu hätten höchstwahrscheinlich auch die Bauernproteste der vergangenen Monate geleistet, die ein deutlich größere Echo ausgelöst hätten als andere Protestbewegungen, die größere Bevölkerungsteile repräsentieren würden, meinte Essl.
Das Umschwenken mancher Länder äußerte sich zuletzt auch darin, dass Vorstöße zu Brache-Flächen, zur Pestizidreduktion oder die Lieferkettenverordnung gekippt sind. "Das ist ein Novum, und das sieht man leider jetzt auch in dem konkreten Fall", so der Wissenschafter.
Europa sollte "mit einigermaßen gutem Beispiel vorangehen
Renaturierungsbestrebungen zum Schutz des Naturraumes und der Artenvielfalt seien, vor allem vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt, eine sehr kritische und "mehr als überfällige Angelegenheit", sagte Harald Pauli vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Leiter des GLORIA-Netzwerkes (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) gegenüber der APA. Hier gebe es auch weltweit, auf Ebene der Vereinten Nationen etwa, entsprechende Bestrebungen und "Europa sollte hier schon mit einigermaßen gutem Beispiel vorangehen", appellierte der Experte.
Der Klimawandel fördere die Verluste biologischer Vielfalt, auch in den Gebirgsregionen, "weil er flächig wirkt". "Intakte Großlebensräume" könnten hingegen große Beiträge liefern für die Bindung von CO2 aus der Atmosphäre. Die industrielle Landwirtschaft trage aber mit ihren Interessen essenziell zu einer "Monotonisierung der Arten" bei. Für zentral erachtet Pauli daher auch einen breit angelegten Dialog, auch in Österreich, um hier entsprechende Grundlagen für ein Fortkommen beim Thema Renaturierung zu schaffen. Hier sei nicht nur die Politik, sondern auch die Forschung gefordert, nämlich mit transdisziplinären Ansätzen: "Man muss gemeinsam mit der Land- und Forstwirtschaft, mit der Ökologie und Biologie im weitesten Sinne wie auch mit anderen gesellschaftlich wichtigen Bereichen aktiv werden." Auch eine entsprechende Gesetzeslage spiele hier herein, genauso wie eine entsprechende Anreize setzende Förderungslandschaft auf nationaler und internationaler Ebene: "Hier müssten viele Rädchen im Spiel sein", so Pauli, "tragisch ist, dass dies auch hier durch starken Lobbyismus in den Sand gesetzt" würde.
Das geplante EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) hätte am Freitagnachmittag erst den Ausschuss der EU-Botschafter passieren müssen, bevor es am Montag von den EU-Umweltministerinnen und -minister abgesegnet hätte werden könnten. Nachdem die geplante Abstimmung zu EU-Renaturierungsgesetz nun aber kurzfristig wieder abgesagt wurde, ist es unklar, wann es nun zu einer Entscheidung kommen könnte.