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Gastbeitrag / Maximilian Weigert, Leopold Winkler / Donnerstag 14.04.22

Auf dem Weg zur CO2-neutralen Baustelle

Der Gebäudesektor konnte bereits starke Reduktionen bei den Treibhausgasemissionen (THG) erzielen. Trotzdem bestehen nach wie vor der Bedarf und das Potenzial für weitere Einsparungen. Um die Chancen und Hemmnisse einer klimaneutralen Baustellenführung zu identifizieren, haben Leopold Winkler und Maximilian Weigert vom Forschungsbereich Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik an der TU Wien gemeinsam mit der Ressourcen Management Agentur (RMA) am Projekt „CO2-neutrale Baustelle“ geforscht.

Die CO2-neutrale Baustelle stellt einen wichtigen Baustein im Lebenszyklus eines Bauwerks dar, der in der Vergangenheit noch nicht umfassend betrachtet wurde. Bis zur Herausgabe der Studie existierte noch kein Regelwerk, um alle direkten und indirekten CO2-Emissionen auf einer Baustelle zu identifizieren und notwendige Rahmenbedingungen sowie Technologien für deren Substituierung, Kompensation oder Adaption aufzuzeigen. Daher wurde am Beispiel von vier fiktiven urbanen Baustellen der jeweilige IST-Zustand der THG-Emissionen auf Basis festgelegter Systemgrenzen ermittelt. Die definierten Systeme für Neubau, Sanierung und Rückbau beinhalten sowohl Prozesse auf der Baustelle als auch Transportprozesse von und zur Baustelle. Bei den Baustellen handelt es sich um einen neuen Hochbau, eine thermische Sanierung eines Wohngebäudes, urbane Asphaltierungsarbeiten und einen Abriss eines Bürogebäudes.

Ergebnisse

Die vier Musterbaustellen wurden baubetrieblich rekonstruiert, um die CO2-Emissionen rechnerisch zu ermitteln. Die wesentlichen Energieträger am Bau und gleichzeitig verantwortlich für sämtliche CO2-Emissionen sind Diesel und elektrische Energie. Diesel wird in den Baugeräten sowie in den meisten Transportfahrzeugen zum Antrieb verwendet, Strom findet für den Betrieb des Baucontainers, Turmdrehkränen sowie in vielen Fällen zum Betrieb der Bauheizung Eingang in die Bilanz.

Um die Treibhausgasemissionen der in der Studie betrachteten Musterbaustellen zu reduzieren, wurden die Maßnahmen zur Reduktion innerhalb zweier Szenarien auf den rekonstruierten Bauablauf angewendet: ein kurzfristiges und ein langfristiges Szenario, das tatsächlich CO2-neutral ist. Hierdurch wurden die Emissionen in einem vierstufigen Verfahren verringert. Zunächst konnten durch organisatorische Vereinfachungen und die Optimierung der Wege und Abläufe Einsparungen erzielt werden. Beim Bauablauf kamen optimierte Maschinen und Geräte mit modernen und – wo möglich – alternativen Antrieben zum Einsatz. Die zum Bauablauf benötigte (elektrische) Energie wurde im Modell durch direkt auf der Baustelle nachhaltig erzeugte Energie und der Rest durch zugekauften „grünen Strom“ substituiert. Die überbleibenden Emissionen des kurzfristigen Szenarios müssen durch Kompensationszahlungen ausgeglichen werden.

Die effizientesten Maßnahmen variieren je nach Baustellentyp und müssen zudem auf jede einzelne Baustelle abgestimmt werden. Die Einsparpotenziale der Musterbaustellen lagen für das kurzfristige Szenario zwischen 20 und 50 Prozent CO2-Äquivalent. Die Elektrifizierung größerer Baumaschinen ist derzeit durch die technologische Verfügbarkeit von Energiespeichermöglichkeiten limitiert. Hier stoßen die Maschinenhersteller sowohl an technische als auch an wirtschaftliche Grenzen. Bei kleinen Geräten kann das Kosten/Nutzen-Verhältnis von Elektrifizierung durchaus positiv ausfallen, wie Ergebnisse der Studie zeigen. Grund sind die nur moderat höheren Anschaffungskosten (kleine Akkus) und gleichzeitig drastisch niedrigere Kosten im Betrieb (Strom ist günstiger als Diesel, geringere Instandhaltungskosten durch geringeren mechanischen Verschleiß bei Elektromotoren).

Im Rahmen einer begleitenden Expertenumfrage wurden Hemmnisse zur Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen erhoben. Wenig überraschend waren wirtschaftliche Überlegungen der entscheidende Faktor. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen jedoch deutlich, dass der Wille, in der Branche etwas zu verändern, bei den meisten Umfrageteilnehmern gegeben war. Die derzeit stattfindende digitale Transformation in den Bauunternehmen lässt zudem hoffen, dass Einsparungen durch Digitalisierungsmaßnahmen und die Einführung von agilen Projektmanagementmethoden in Zukunft Realität werden können – selbst wenn Bauunternehmen ökonomische Aspekte vor ökologische Maßnahmen stellen.

Umsetzung

Die Erkenntnisse der Studie, die im Rahmen des Forschungsprogramms „Stadt der Zukunft“ entstand, sollen alsbald in der Praxis getestet werden. Das vorläufige Ziel ist es nicht, ganze Baustellen CO2-neutral abzuwickeln, sondern einzelne Maßnahmen in Demonstrationsprojekten zu überprüfen und die Aussagen der Studien durch weitere Messdaten gewerkspezifisch hinsichtlich der Schwankungsbreiten zu validieren. Der Maßnahmenkatalog umfasst dabei sieben Aspekte, die von der Schaffung eines Klimaverträglichkeitsbeauftragten auf der Baustelle, der Implementierung von vergaberechtlichen und bauvertraglichen Aspekten, der Konstruktion eines energieautarken Baustellencontainers bis hin zum Einsatz neuartiger Baumaschinen und Bauverfahren, alternativer Logistikkonzepte für Baustellentransporte, der Erzeugung erneuerbarer Energie auf Baustellen und der vollständigen Verwendung grünen Stroms reichen.

Hierfür befinden sich derzeit mehrere Baustellen als „Reality Check“ in Vorbereitung. Diese Baustellen werden von der Vergabe an begleitet, um die zu testenden Maßnahmen in die Bauverträge einfließen zu lassen. Gemäß Einschätzung der Autoren sollte derzeit ca. 20 Prozent THG-Einsparpotenzial vor Kompensationsmaßnahmen möglich sein – abhängig vom Baustellentyp etwas mehr oder weniger. In weiteren Projekten sollen die Studienergebnisse in die Praxis überführt werden. Ein großer Fokus liegt auf der Implementierung der Bauphase in ganzheitliche Systeme, um die Lücke zum CO2-neutralen Lebenszyklus von Gebäuden zu schließen.

Kurzportrait

Maximilian Weigert ist Bauingenieur und seit 2020 Mitarbeiter am Forschungsbereich für Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik am Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien. Er publiziert zu den Themen Digitalisierung, baubetriebliche Modellierung und ökoeffizienter Bauablauf. Er war an der Erstellung der Studie „CO2 neutrale Baustelle – ein Beitrag zum Klimaschutz der österreichischen Bauwirtschaft“ beteiligt und ist Mitglied bei Arbeitsgruppen der Österreichischen Bautechnik Vereinigung (ÖBV) sowie der IG Lebenszyklus Bau.

Kurzportrait

Leopold Winkler studierte Bauingenieurwesen an der TU Wien sowie an der Politécnica de Madrid und arbeitete für unterschiedliche Bauunternehmen, bevor er am Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement promovierte. In seiner Forschung als Post-Doc an der TU Wien beschäftigte er sich mit digitalem Baudatenmanagement und der nachhaltigen Bauausführung. Für Unternehmen und Start-ups betreute er die Evaluierung von Digitalisierungspotenzialen und die Implementierung von digitalen Baustellentools. Seit Beginn 2022 bringt er in konkreten Projekten seine Erfahrung bei der digitalen Unternehmensentwicklung des Bauunternehmens Swietelsky ein.

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