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Gastbeitrag / Klemens Schadauer / Freitag 18.12.20

Die Waldinventur – mehr als nur Bäume zählen!

Menschen haben sehr unterschiedliche Zugänge zum Wald: Vielen dient er als Erholungsraum oder sie sehen ihn als grüne Lunge, für andere ist er Arbeitsplatz und Einkommensgrundlage. Politik und Wissenschaft umreißen den „Tausendsassa Wald“ gerne mit dem Begriff der Multifunktionalität. Er soll also sehr viele, zum Teil im Widerstreit stehende „Funktionen“ erfüllen. Wenn wir wissen wollen, ob der Wald das alles auch kann, müssen wir ihn mit viel Liebe fürs Detail beobachten und erforschen.
Moderne Technologien machen es möglich, den gesamten Wald in Österreich digital zu erfassen. Damit können zum Beispiel die Höhen von beliebig vielen Bäumen gleichzeitig und vollautomatisch gemessen werden, ohne dabei den Wald betreten zu müssen. Copyright: BFW

Am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) verwenden wir zwei Arten, den Wald zu beobachten: Fernerkundung und Feldarbeit. Letztere führen wir in guter, alter, wissenschaftlicher Tradition durch. Wir messen Höhen von Bäumen und Durchmesser von Stämmen oder zählen zum Beispiel, an wie vielen jungen Bäumen der „Leckerbissen Wipfeltrieb“ durch Wild- oder Weidetiere abgebissen wurde. Wir finden jedoch mit „Zählen und Messen“ in einem so komplexen Ökosystem wie dem Wald oft nicht das Auslangen, sondern brauchen zusätzliches Fachwissen, um unsere Beobachtungen zu klassifizieren: Wir bestimmen Baum- und andere Pflanzenarten in botanischer Manier, erfassen Totholz und seine Zersetzungsgrade und graben Löcher in den Waldboden, um seine Qualität beschreiben zu können. Oder wir versuchen, uns ein Bild davon zu machen, welche Maßnahmen der Waldbewirtschaftung in nächster Zeit sinnvoll wären, wie etwa die Einleitung einer Naturverjüngung. In Summe erheben wir rund 200 verschiedene Parameter.

Wir führen alle diese Erhebungen im Wald natürlich „nur“ auf einer Stichprobe durch. Diese wird nach allen Regeln der Statistik zufällig gezogen und umfasst 22.000 Probeflächen, wovon in Österreich rund die Hälfte in den Wald fällt. Das Personal muss für die Erhebungen intensiv geschult werden und hat zum Teil ein abgeschlossenes Studium der Forstwirtschaft. Insgesamt benötigen wir dazu rund 20 Personen, die jedes Jahr in Dreiergruppen vom Frühjahr bis zum Herbst in ganz Österreich unterwegs sind. Wir schaffen das auch nicht in einem Jahr, sondern arbeiten derzeit in einem Zyklus von sechs Jahren. Danach beginnen wir wieder von vorne.

Nach Abschluss eines Erhebungszyklus werden die Daten zu Inventurergebnissen verarbeitet. Wir können uns das wie eine Hochrechnung am Wahlsonntag vorstellen. Dabei müssen wir von einer Stichprobe, die in unserem Falle nur 0,008 Prozent des Waldes umfasst, auf den gesamten Wald in Österreich rückschließen. Dieses Kunststück gelingt der Waldinventur recht gut: Wir können zum Beispiel sagen, dass der Holzvorrat im Wald 1,2 Milliarden m3 beträgt, wobei  die Schwankungsbreite bei lediglich einem Prozent liegt. Daher können wir auch sehr genau Veränderungen im Wald erfassen. Wir wissen, dass jede Sekunde ein Kubikmeter Holz zuwächst und 0,85 m3 genutzt werden. Die Differenz verbleibt im Wald, der daher laufend Holzvorrat aufbaut.

Die Waldinventur kann aber auch viele andere Fragen beantworten: Wie viel Kohlenstoff wird gespeichert, wie steht es um die Biodiversität im Wald oder wie wird er genau bewirtschaftet? Darüber hinaus sind natürlich aktuell auch die Schäden infolge des Klimawandels interessant. Diese Fragestellung führt uns zur zweiten Methode, mit der wir den Wald beobachten – der Fernerkundung.

Mit modernen Technologien wie Satellitenbildern und Laserscannern schauen wir von oben auf den Wald. Das Satellitenduo „Sentinel2“, das alle fünf Tage über Österreich fliegt, hilft uns zum Beispiel bei der Erkennung der Borkenkäferschäden. Die Bilder werden am BFW laufend heruntergeladen. Mit ihnen erstellen wir Zeitreihen, die Aussagen zum Zustand von Bäumen und des Waldes erlauben. Wir sehen in diesen Bildern, wann die Bäume im Frühjahr ihre Blätter oder Nadeln austreiben und wann sie diese wieder abwerfen. Besonders deutlich können wir erkennen, wenn Bäume abgestorben sind oder im Wald umgeschnitten wurden. Die Verteilung von Absterben und Nutzungen im Raum und Zeit gibt meist Aufschluss darüber, ob es sich um eine ganz normale Nutzung handelt, oder ob ein Schadereignis wie zum Beispiel durch den Borkenkäfer vorgelegen ist.

Digitale Luftbilder aus Befliegungen werden bei der Waldinventur ebenfalls intensiv eingesetzt. Aus ihnen extrahieren wir die sogenannte 3D Punktwolke. Das bedeutet, dass wir alle 20 Zentimeter in Österreich einen Datenpunkt ableiten, der eine X-, Y- und Z-Koordinate besitzt, also im 3D-Raum eindeutig definiert ist. Das sind für ganz Österreich 5,4 Billiarden Punkte (eine Zahl mit 12 Nullen). Damit geben wir uns aber nicht zufrieden, sondern wir versehen all diese Punkte noch mit Farbinformationen, sowohl im sichtbaren Licht- als auch im Infrarotbereich. Dieser ist für die Beschreibung der Vegetation hochinteressant, weil er das für die Photosynthese notwendige Chlorophyll in den Pflanzen besonders gut anzeigt. Die Photosynthese ist bekanntlich jener chemische Prozess, in dem Bäume aus CO2 und Sonnenenergie zunächst Zucker und letztlich Holz produzieren. Wenn wir diesen Prozess rein energetisch betrachten, ist der Wald eine riesige Solaranlage. Im Holz steckt viel Schönes, aber auch viel Energie. Letztlich messen wir also mittels Infrarot die Photosyntheseleistung des Waldes.

Wir können mit Fernerkundungstechnologien aber auch viele andere Messungen durchführen. Mit der Lasertechnologie ist für ganz Österreich die Erdoberfläche genau vermessen. Mit der 3D Punktewolke der Waldinventur erfassen wir die Geometrie der Oberfläche der Vegetation und damit auch des Waldes. Wenn wir nun von dieser Vegetationsoberflächengeometrie die Geometrie der Erdoberfläche, also zum Beispiel des Waldbodens, abziehen, können wir letztlich Baumhöhen (siehe Bild – oder Bildtext) berechnen. Die Genauigkeit ist dabei genauso groß, wie wenn wir die Höhe der Bäume direkt vor Ort im Wald messen.

Für alle, die es wirklich wissen wollen: Im österreichischen Wald stehen 3,4 Milliarden Bäume. Als Baum zählt, was in 1,3 Meter Höhe des Stammes einen Durchmesser von mehr als fünf Zentimetern hat. Da sind wir sehr genau.

Kurzportrait

Klemens Schadauer leitet das Institut für Waldinventur am Bundesforschungszentrum für Wald – BFW. Er studierte Forstwissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Planung, Durchführung  und Präsentation der Österreichischen Waldinventur und er leitete zahlreiche nationale wie internationale Projekte. Als anerkannter Experte ist er für das Netzwerk der nationalen Waldinventuren Europas (www.ENFIN.info) mit 29 Mitgliedsländern verantwortlich. Ein wichtiger Teil seiner Arbeit ist die Aufbereitung von Ergebnissen der Waldinventuren für die Wald-, Umwelt- und Klimapolitik in Österreich und Europa. In aktuellen Projekten bearbeitet sein Institut zum Beispiel die Frage nach der Klimaneutralität von Holz, spürt Biodiversitätshotspots im Wald auf oder entwickelt Methoden, die Borkenkäferschäden möglichst zeitnahe zu erfassen.

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