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Gastbeitrag / Robert Pichler / Freitag 18.12.20

Digitalisierung und Innovation im Ökosystem Wald

Österreich ist ein Waldland. Mit Wäldern assoziieren wir Natur, Ruhe und Kontinuität. Digitalisierung steht dagegen für Geschwindigkeit und einen allumfassenden und allgegenwärtigen Wandel. Prallen hier zwei unvereinbare Systeme und Dynamiken aufeinander?

Der Wald ist ein wahres Multitalent: Er bietet Tieren und Pflanzen einen einzigartigen Lebensraum und den Menschen saubere Luft sowie erneuerbare Ressourcen. Er schützt uns vor Naturgefahren, sichert zahlreiche Arbeitsplätze und ist eine wichtige Quelle der Erholung. Der Wald ist aber auch einer unserer wichtigsten Partner im Kampf gegen den Klimawandel, speichert CO2 und hilft damit, dem globalen Anstieg der Temperaturen entgegenwirken. Zusätzlich stellt er nachhaltig erneuerbare Energie zur Verfügung. In all diesen Bereichen haben digitale Innovationen Einzug gehalten.

Die Wertschöpfungskette Forst-Holz-Papier bietet rund 300.000 Menschen in mehr als 172.000 Betrieben in ganz Österreich Einkommen. Natürlich hat diese Branche Interesse, die Potentiale der Digitalisierung und technischer Innovationen bestmöglich zu nützen. Drohnen werden bereits für die forstliche Fernerkundung sowie zur Dokumentation beispielsweise von Schlägerungen eingesetzt. So können abgelegenste bzw. nach Schadereignissen wie Stürmen oder Schneebruch schwer zugängliche Gebiete erreicht und erkundet werden, ohne Menschen zu gefährden. Die rasche Verfügbarkeit und der Umfang der Daten erlauben schnellere und präzisere Planungs- und Entscheidungsprozesse und optimale Aufarbeitungskonzepte.

Auch die Waldarbeit selbst wird durch digitale Innovationen zunehmend verändert. Forsttechnikhersteller bieten immer umfangreichere smart services an. Sensoren in Vollerntern, Motorsägen oder Seilgeräten erfassen Parameter wie Laufzeiten, Holzeerntemengen und Drehzahlbereiche. Das ermöglicht effizientes und sicheres Arbeiten.

Dass es dabei keine one-size-fits-all Lösungen gibt, liegt auf der Hand. Derzeit prüft die Universität für Bodenkultur im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT), wie die Kosten- und Energieeffizienz sowie die möglichen Umweltauswirkungen von forstlichen Wertschöpfungsketten durch Digitalisierung im Maschinen- und Prozessbereich verbessert werden können. Die Fragestellungen sind unter anderem:
• Mit welchen Werkzeugen, Methoden und Modellen kann das Ausmaß von geschädigten Bäumen schnellstmöglich ermittelt werden?
• Wie können geschädigte Bäume sicher geerntet werden?
• Wie kann die Qualität des Holzes durch effiziente Lagerung und Konservierung erhalten werden?

Eine der größten Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung liegt darin, die auf einer Stufe gewonnen Daten mit der gesamten Wertschöpfungskette zu verknüpfen. Auch in der Holzwirtschaft wird der digitale Datenaustausch im Kontext globaler Märkte ein zunehmender Wettbewerbsvorteil. Dafür braucht es gemeinsame elektronische Datenstandards, den Aufbau einer effizienten und sicheren digitalen Datenkommunikation und die Umwandlung bislang statischer Kommunikationsmodelle in dynamische Prozessmodelle.  2018 haben in Berlin Mitglieder der deutschen Plattform „Forst & Holz“ und der österreichischen Plattform „Forst Holz Papier“ eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, um genau diese Zukunftsherausforderungen gemeinsam zu adressieren.

Neben der Nutzfunktion hat der Wald auch eine Schutz-, Erholungs- und Wohlfahrtsfunktion, die auch den Einfluss des Waldes auf die Umwelt umfasst. Dazu zählen der Ausgleich des Klimas und des Wasserhaushalts, die Reinigung und Erneuerung von Luft und Wasser sowie die Lärmreduzierung. Die gute Nachricht wurde einleitend erwähnt: Österreichs Wald wächst.  Die schlechte Nachricht: Trockenheit und fehlende Niederschläge fordern auch unsere Wälder. Durch Klimastress bedingte Beeinträchtigungen der Stabilität und Vitalität des Waldes drohen die multifunktionalen Waldwirkungen zu gefährden. Folglich ist eine genaue Beobachtung und Inventarisierung des Waldes essenziell. Dafür liefern die Sentinel-Satelliten des Copernicus-Programms der Europäischen Weltraumorganisation eine Fülle an relevanten Daten, die etwa die Baumartenvielfalt in unseren Wäldern erfassen und Veränderungen aufzeigen.

Von der Erdbeobachtung ist es gedanklich nicht weit zur Forschung und Entwicklung. Diese braucht es, um die Leistungen und Funktionen der Wälder auch in Zukunft zu erhalten. Mit 1. Jänner 2021 startet Horizon Europe, das 9. Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Innovation. Hier werden im Kontext der globalen Herausforderungen sowohl das Ökosystem Wald als auch das nachhaltige Wirtschaftssystem Wald und Digitalisierung mit all seinen Facetten adressiert.

Bei den Ressortforschungsaktivitäten legt auch das BMLRT mit dem aktuellen Programm für Forschung und Entwicklungen einen speziellen Fokus auf Digitalisierung. Das heuer beschlossene Waldfondsgesetz beinhaltet den Forschungsschwerpunkt „Klimafitte Wälder“, dazu kommt eine „Forschungsanlage für zur Herstellung von Holzgas und Biotreibstoffen“. 2019 waren rund 62 Prozent der gesamten österreichischen Holzernte Schadholz, es macht daher Sinn diese Rohstoffpotenziale zu nutzen. Dabei spielt neben der stofflichen, die energetische Verwertung eine wichtige Rolle. Mit der Errichtung einer Forschungsanlage zur Erzeugung von Holzgas und Treibstoffen aus Holz sollen diese Potentiale erhoben werden, um durch die energetische Nutzung von Schadholz, kostspielige Importe von Erdgas und Erdöl zu verringern und die Land- und Forstwirtschaft als ersten Sektor klimaneutral zu machen.

Digitale Innovationen im Forst- und Holzbereich sind also multifunktional, genauso wie die Forschung und der Wald selbst.

Kurzportrait

Mag. Robert Pichler ist als Leiter der Abteilung für Forschung & Entwicklung und Unternehmensservice im BMLRT für die Steuerung und Koordination der Ressortforschung zuständig. Diese reicht – entsprechend der Kompetenzen des Ministeriums – von der Forstwirtschaft über Landwirtschaft und Wasserwirtschaft bis zum Tourismus.  An der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft liefert die Ressortforschung neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die direkt in die Praxis transferiert werden bzw. als Grundlage für politische und fachliche Entscheidungen dienen. Neben der Beauftragung von Forschungsprojekten über das Programm für Forschung und Entwicklung des BMLRT erfolgt dies durch die forschungsaktiven Dienststellen und die Mitarbeit in nationalen und europäischen Forschungsprogrammen. Mag. Pichler ist Mitglied in nationalen Gremien wie dem Österreichischen Nationalkomitee für das Programm Man and Biosphere und im Austrian IIASA Committee sowie im Aufsichtsrat der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Auf europäischer Ebene vertritt er Österreich im Standing Committee on Agricultural Research, das in den letzten Jahren zahlreiche transnationale Forschungsprojekte u.a. im Kontext der Digitalisierung initiiert hat.

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