Eine vernachlässigte Kulturtechnik wird zum Zeitgeist
Am Beginn dieses Gastkommentars soll mit dem Palais Springer-Rothschild ein Beispiel aus dem Portfolio der Bundesimmobiliengesellschaft stehen. Wir adaptieren das Jahrhundertwendepalais in der Wiener Metternichgasse gerade für den Complexity Science Hub. Das "Hôtel particulier" im Botschaftsviertel wurde 1891 im französischen Stil erbaut, wurde von mehreren Familien bewohnt, jeder Besitzerwechsel war mit größeren Umbauten, Aufstockungen und zahlreichen Adaptierungen verbunden.
Schon zu Beginn war das Palais mit Re-Use-Waren aus aller Welt eingerichtet, die an das Haus angepasst worden waren: ein Kaminaufsatz samt Spiegel aus dem Spätbarock oder Glasmalereien aus dem 17. Jahrhundert für die Bibliothek. Ab den 1950er Jahren wurde das Gebäude von Instituten der (heutigen) mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst genutzt, für die selbstverständlich ganz andere Voraussetzungen im Vordergrund standen: Zimmerfluchten wurden abgetrennt, Räume verkleinert und akustisch gedämmt. Diese Umbauten haben wir nun rückgebaut, das Haus wurde barrierefrei erschlossen und die frühere Gasheizung verbannt. Bei den Adaptierungen haben wir historische Ziegelsteine, Steinplatten oder „Wiener Würfel“, also Granit-Pflastersteine, gereinigt und vor Ort an anderer Stelle wieder eingebaut. Mit einer Funktionssanierung haben wir das Gebäude zu einem modernen Standort für Spitzenforschung gemacht, die letzten Arbeiten sind gerade im Gang und der Complexity Science Hub kann demnächst einziehen.
Kreislaufwirtschaft wird zu einem Muss
Gebäude zu erhalten und für aktuellen Raumbedarf zu adaptieren, ist das klimafreundlichste und gleichzeitig intuitivste, was wir machen können. Alte Möbel restaurieren, vielleicht upgraden und wiederverwenden, Kleidung umnähen, wenn sich die Mode ändert, Häuser umbauen, bei Bedarf vergrößern oder verkleinern, sind alte Kulturtechniken des Menschen, die in den letzten Jahrzehnten leider in den Hintergrund getreten sind. Umso zuversichtlicher stimmt es, wenn wir aktuell einen Hype um Vintage-Möbel und Lilienporzellan beobachten, Second-Hand-Geschäfte in besten Lagen aufsperren und Kreislaufwirtschaft in der Bauwirtschaft zu einem Muss wird. Eine vernachlässigte Kulturtechnik kommt wieder im Zeitgeist an.
Das hat selbstverständlich mit einem wachsenden Bewusstsein für Klimaschutz zu tun und gerade in der Bauwirtschaft auch mit ganz handfesten Gründen wie Ressourcenknappheit und hohen Kosten für Baustoffe und andere Materialien. So ist das Thema Kreislaufwirtschaft im Bausektor schon bei vielen angekommen, an verschiedenen bundesweiten und EU-weiten Regulierungen und Richtlinien merken wir, dass Bewegung in die Sache kommt. Die Medien befassen sich mit dem Thema. Gleich mehrere Universitäten und Forschungsinstitute arbeiten an Theorie und Praxis des kreislauffähigen Planen und Bauens, vielfach auch mit Unterstützung der Bundesimmobiliengesellschaft, in dem wir etwa Objekte aus unserem Portfolio für Lehrveranstaltungen zur Verfügung stellen.
Aus Sicht der Bundesimmobiliengesellschaft als Bauherr beginnt die Kaskade des kreislauffähigen und klimafreundlichen Planen und Bauens mit der bestmöglichen Eruierung des aktuellen Platzbedarfs und einer Prognose, wie sich der Platzbedarf in Zukunft entwickeln wird. Das gelingt mit einem geschickt durchdachten Raum- und Funktionsprogramm und – wie wir an Beispielen aus dem Schulbau erfolgreich demonstrieren können – Partizipationsprozessen mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern, also konkret mit jenen Menschen, die in dem Gebäude künftig ein- und ausgehen werden.
Adaptieren und gleichzeitig klimafit machen
Dann sehen wir uns an, wo wir den ermittelten Platzbedarf am besten unterbringen können. Im Idealfall gibt es ein bestehendes Gebäude, das von der Struktur schon sehr gut passt, das wir vergleichsweise leicht für die Nutzung adaptieren und gleichzeitig klimafit machen können. Die zweitbeste Variante ist es, ein bestehendes Gebäude aufzustocken, vielleicht zu verdichten. Die Eingriffe sollen dabei jedenfalls so vorbereitet sein, dass sie kreislauffähig wieder rückgebaut werden können. In manchen Fällen sind auch Abbruch und Neubau notwendig, wobei der Abbruch eigentlich ein durchdachter Rückbau mit Re-Use-Konzept sein sollte, und der Neubau so geplant werden muss, dass er möglichst lang genutzt, leicht adaptiert, vergrößert oder verkleinert werden kann und nach einem idealerweise sehr langen Lebenszyklus wieder so rückgebaut werden kann, dass wir möglichst viele Materialien und Baustoffe wiederverwenden können.
Re-Use von Möbeln, Einrichtungsgegenständen und Ausstattungen funktioniert einfach, wird schon vielfach praktiziert und ergibt oft sehr nette und anschauliche Beispiele. So übersiedelte etwa in Graz die Küche aus einer ehemaligen Uni-Kantine in eine Schule, in Wien wurden getäfelte Türlaibungen in einem schicken Restaurant als Wandvertäfelung eingebaut. Schwieriger und nicht so anschaulich wird es, wenn es etwa um das Recycling von qualitativ minderwertigem Beton oder um Baustoffe in unauflösbaren Verbundkonstruktionen geht und wenn Schadstoffe verbaut sind. In diesem Bereich passiert inzwischen schon viel Forschung, die in die richtige Richtung geht.
Das Thema Kreislaufwirtschaft im Bau- und Immobiliensektor kommt in den richtigen Köpfen an und in unserer Branche haben wir auch den größten Hebel. Als Bundesimmobiliengesellschaft waren wir mit dem Kreislaufwirtschaftsprojekt, das wir vor der Errichtung des MedUni Campus Mariannengasse initiiert haben, Vorreiter in der Branche – diese Rolle sehen wir auch als unsere Verantwortung und sie entspricht unserem Selbstverständnis. Inzwischen hat sich das Thema mehr und mehr demokratisiert. Was die Umsetzung betrifft, bleibt allerdings viel Luft nach oben. Aktuell verzögert kreislauffähiges Planen und Bauen oft eher noch den Fortschritt eines Projekts und wirtschaftlich ist es im besten Fall ein Nullsummenspiel. Wo wir als Bundesimmobiliengesellschaft können, stehen wir als Partner für Lehrveranstaltungen, Forschungsprojekte und Kreislaufwirtschaftsbetriebe zur Verfügung.
Kurzportrait
Gerald Beck ist seit Mai 2024 Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft und der ARE Austrian Real Estate. Zuvor war er Geschäftsführer der UBM Development Österreich GmbH (2017-2024) und der Raiffeisen evolution project development GmbH (2003-2017). Seine Karriere begann er bei ILBAU GmbH/STRABAG AG, wo er von 1992 bis 2003 in verschiedenen Führungspositionen tätig war.
Beck studierte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Wien und schloss 1991 ab. Er ist Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI), Vorstandsmitglied der Österreichischen Bautechnik Vereinigung (ÖBV) und Präsidiumsmitglied der Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE). Er setzt sich besonders für die Förderung von ESG-Kriterien und nachhaltiges Bauen ein.