„Everything we teach should be different from the machines!“
Die Vorteile der Digitalisierung sind seit Jahren omnipräsent. Damit verbundene Herausforderungen werden hingegen erst seit kurzem umfassender diskutiert. Ein neuer digitaler Humanismus oder – noch besser – eine humanistische Digitalisierung, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt rückt, kann zu mehr Vielfalt, Durchlässigkeit und Inklusion beitragen und vor allem mehr Frauen für technologische Entwicklungen begeistern.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt!
„Daten sind das neue Gold!“ lautet eine Parole unseres digitalen Zeitalters. Quoten und Likes scheinen einen öffentlichen Diskurs über Qualität zu ersetzen. Algorithmen beeinflussen längst Konsumverhalten und Entscheidungsprozesse. Dabei werden bekannte Muster wiederholt und gängige Verhaltensweisen bestätigt. So entstehen jene Filterblasen, die auch dort zu Vereinheitlichung und Vereinfachung führen, wo Vielfalt, (Meinungs)pluralismus und eine neue Komplexität notwendig wären. Dass Fake-News, Hassposts und andere demokratiegefährdende Entwicklungen zum gesellschaftlichen Problem geworden sind, ist demnach wenig verwunderlich. Trotzdem wird für einen erfolgreichen digitalen Wandel noch immer die Notwendigkeit technischer Kompetenzen betont. Folglich werden Aus- und Weiterbildungsangebote seit vielen Jahren vor allem im Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) bzw. STEM (Science, Technology, Engineering, Mathematics) ausgebaut.
Von STEM zu STEAM mit Kreativität und transdiziplären Konzepten
Die Bedeutung von Digital Skills ist unumstritten. Diverse Studien über Schlüsselkompetenzen für den Arbeitsmarkt der Zukunft ergänzen aber schon seit mehreren Jahren vor allem Kreativität und Lernfähigkeit, kritisches Hinterfragen und Bewerten von Inhalten, Prozessen, Methoden und Trends, Fähigkeiten zur Lösung komplexer, Disziplinen übergreifender Herausforderungen eigenverantwortliches Handeln sowie hohe soziale Kompetenzen. Längst wird ein Übergang von STEM zu STEAM (Science, Technology, Engineering, Arts, Mathematics) propagiert. Dennoch sind transdisziplinäre Konzepte, die digitale Technologie und Kreativität, Wissenschaft und Kunst, Geist und Körper, analytisches Denken und emotionale Intelligenz, theoretische Reflexion und anwendungsbezogenes, problem- und projektbasiertes Lernen integrieren, noch deutlich in der Minderheit.
Dabei wird doch immer offensichtlicher, dass Daten sicher nicht das neue Gold und technologiebasierte Innovationen kein Allheilmittel sind. Daten sind eben nicht gleich Information, Information ist nicht Wissen, Wissen nicht Erfahrung, Erfahrung nicht Kompetenz und Kompetenz noch keine praktische Umsetzung! Und sind es nicht vor allem Emotionen und Träume, Inspiration und Leidenschaft, Kunst und Kultur, die Menschen von Maschinen unterscheiden und unser Leben lebenswert machen? Gerade weil sich diese Basis der Menschlichkeit der Digitalisierung weitgehend entzieht, sollte sie viel stärker im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen: „Everything we teach should be different from the machine. If the machine can do better, we have to think about it!“, sagte Jack Ma, der Gründer des chinesischen Internetgiganten Alibaba, 2018 beim World Economic Forum in Davos. Er unterstrich die Bedeutung von Werten, Überzeugungen, Teamarbeit etc. und schlug vor, dass Sport, Musik und bildende Künste einen höheren Stellenwert bekommen sollten. Dass wir in Europa derartige Ratschläge aus China benötigen, sollte uns doch zu denken geben.
Coding is female!?
Ein zu enger Fokus auf MINT lässt auch ein weiteres Problem weitgehend unberücksichtigt: Viele Menschen und insbesondere Frauen fühlen sich davon nicht angesprochen und empfinden große Hürden. Daraus resultiert eine stark unterschiedliche Verteilung der Geschlechter und ein genereller Mangel an Diversität in technischen Berufsfeldern. Es gehen dringend benötigte Talente und wichtige Perspektiven verloren, die für einen digitalen Wandel notwendig wären, der Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt. Die Österreichische Computer Gesellschaft nennt neben erzieherischen Einflüssen und fehlenden weiblichen Role Models nicht mehr zeitgemäße Vorstellungen von der IT-Branche als wesentliche Gründe für die unterschiedliche Geschlechterverteilung. Das Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE) weist darauf hin, dass Informatikstudien einen deutlich höheren Frauenanteil haben, wenn sie Kreativität und Transdisziplinarität integrieren und einen hohen Anwendungs- und Praxisbezug aufweisen.
Good Practices mit Vorbildwirkung
Selbstverständlich gibt es auch in Österreich zahlreiche Initiativen mit Vorbildwirkung. Beispielsweise hat die FH St. Pölten bereits vor 25 Jahren mit Medientechnik den Grundstein für eine erfolgreiche Verbindung von Technologie und Kreativität gelegt. Bereits 2011 wurde das Institut für Creative\Media/Technologies gegründet, um angewandte Forschung an den Schnittstellen von digitalen Technologien und kreativen Inhalten zu betreiben. Mittlerweile arbeiten vier habilitierte Professoren und zahlreiche wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in einschlägigen Forschungsprojekten. Um jugendlichen Frauen einen niederschwelligen Einstieg in digitale Technologien zu ermöglichen, wurde gemeinsam mit externen Gender-Expert*innen die Creative Coding School initiiert. Dabei stehen praxisnahe Inhalte und die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen mithilfe von digitalen Technologien im Fokus. Ähnliche Ziele verfolgt auch der Lehrgang Smart World der Science Academy des Landes Niederösterreich.
Die Erfahrungen fließen beim der Entwicklung neuer Studienprogramme, wie dem Bachelorstudium Creative Computing, genauso ein, wie in den Digital Makers Hub, die Austrian Platform for Art and Tech Thinking, das 2019 mit dem Ars Docendi ausgezeichnete iLAB und in diverse Aktivitäten der European University E³UDRES². Darüber hinaus unterstützt die FH St. Pölten mit diversen Aktivitäten, die auf der Webseite „Coding is female“ zusammenfassend dargestellt werden. Der Erfolg lässt sich u.a. daran messen, dass der Frauenanteil bei Medientechnik und Creative Computing in einigen Jahrgängen bereits 50% beträgt. Die Zahl an wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen ist vergleichsweise hoch, und es haben wiederholt Frauen die Leitung von technischen Studiengängen übernommen, die sich im internen Laufbahnmodell kontinuierlich weiterentwickeln konnten.
Kurzportrait
Hannes Raffaseder studierte Nachrichtentechnik und Computermusik in Wien. Seit 2010 ist er in verschiedenen Funktionen des Hochschulmanagements an der Fachhochschule St. Pölten tätig. Seit September 2019 ist er als Chief Research & Innovation Officer Mitglied der Geschäftsführung. Außerdem ist Hannes Raffaseder leitender Koordinator der European University E³UDRES² und des Digital Makers Hub sowie wissenschaftlicher Vorstand des Vereins N’Cyan – Innovation für Menschen.
In seiner langjährigen Lehr- und Forschungstätigkeit beschäftigt sich Hannes Raffaseder mit vielfältigen Herausforderungen des digitalen Wandels. Er gründete u.a. das IC\M/T – Institut für Creative\Media/Technologies, leitete den Masterstudiengang Digitale Medientechnologien und zahlreiche Forschungsprojekte. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und das im Hanser Verlag erschienen Fachbuch Audiodesign verfasste er zur Wirkung und Bedeutung von Klang und Musik. Hannes Raffaseder engagiert sich auch für Aufbau und Weiterentwicklung regionaler Ökosysteme für Innovation. Beispielsweise war er maßgeblich an Konzeption und Aufbau des Creative Pre-Incubator® und der Initiative SMARTUP St. Pölten beteiligt. Da ihm ein intensiver Austausch zwischen Forschung und Gesellschaft besonders wichtig ist, war er mehrfach für den österreichischen Beitrag zur European Researchers‘ Night verantwortlich. Neben seinen Tätigkeiten in Forschung, Innovation und Hochschulmanagement ist er auch als Komponist und Medienkünstler international aktiv.