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Gastbeitrag / Barbara Prainsack / Donnerstag 01.02.24

Intelligenz braucht mehr als Algorithmen

Künstliche Intelligenz (KI) – als Sammelbegriff für Technologien, die versuchen, menschliche Fähigkeiten wie Logik, Vernunft, oder auch Kreativität auf Computer zu übertragen – wird im Gesundheitswesen schon sehr lange genutzt. Als Teil von Kommunikations- und Informationstechnologien, oder in der medizinischen Bildgebung, unterstützt sie schon seit vielen Jahren unterschiedlichste Bereiche der medizinischen Versorgung.
Credit: Johanna Schwaiger Laut Prainsack braucht es nicht nur High Tech, sondern auch High Touch

Was viele Menschen meinen, wenn sie von „KI-Revolution in der Medizin“ sprechen, ist der Einsatz KI-basierter Technologien bei Tätigkeiten, die bisher Menschen vorbehalten waren. Möglich gemacht wurde das nicht nur durch die Verbesserung der Rechenleistung, sondern auch durch das Vorhandensein immer größerer Datenmengen zum „Training“ der KI. So kann KI heute etwa eine Hautveränderung in Sekundenschnelle mit einer großen Anzahl an Datensätzen abgleichen und in unterschiedliche Kategorien einordnen. Auch in der Entwicklung neuer Medikamente ist die Fähigkeit von KI, riesige Datenmengen nach Mustern zu durchforsten, äußerst nützlich. Sogar in der Betreuung von Patientinnen und Patienten wird KI immer häufiger eingesetzt, wie etwa zur Überwachung des Blutzuckers oder der Bewegungsmuster von Menschen, um Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen oder sogar zu vermeiden.

Viele Menschen stehen dem Einsatz von KI „nah am Menschen“ skeptisch gegenüber, weil sie besorgt sind, KI könnte in diesem sensiblen Bereich menschliche Expertise und sozialen Kontakt vollkommen ersetzen. Der weitgehende oder sogar vollständige Ersatz menschlicher Expertise und menschlichen Kontakts durch KI ist tatsächlich überall dort nicht ratsam, wo die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel steht. KI ist exzellent darin, große Datenmengen zu durchforsten und Muster zu erkennen – und sie wird auch immer besser darin, Texte und andere Inhalte zu generieren. Dafür fehlen ihr kritisches Denken oder die Fähigkeit, Dinge im relevanten Kontext zu sehen. Sie versteht nicht, wie Daten mit der Welt verbunden sind.

Auch wenn manche Menschen meinen, dass man menschliche Erfahrung und Expertise durch KI ersetzen und damit Kosten sparen oder Fehler vermeiden kann: Diese Annahme ist falsch. Wie die Psychologin Lisanne Bainbridge bereits in den 1980er Jahren argumentierte, liegt das an zwei Missverständnissen, die bis heute nicht vollkommen ausgeräumt werden konnten: Das erste ist die Annahme, dass Menschen mehr Fehler machen als Maschinen. Dies trifft auch deshalb nicht zu, weil Maschinen immer nur so gut sind, wie die Menschen, die sie bauen, und die Daten, mit denen man sie „füttert“. Umso mehr man automatisiert, umso mehr benötigt man am Ende wieder Menschen, um die Fehler der Maschine zu korrigieren.

Das zweite Missverständnis besteht in der Annahme, dass komplexe Prozesse vollständig automatisiert werden können. Zur Automatisierung eigenen sich insbesondere routinemäßige, vorhersagbare Tätigkeiten, die immer nach demselben Muster ablaufen. Während man das Übertragen von Personendaten von einer Datei in eine andere, oder das Durchsuchen von Bilddateien nach bestimmten Auffälligkeiten gut automatisieren kann (obwohl auch diese am Ende einen kritischen menschlichen Blick benötigen), sind komplexe Aufgaben wie der Anamneseprozess oder die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten nicht vollständig automatisierbar. Wenn man es dennoch versucht, dann sind am Ende wieder menschliche Intelligenz und Erfahrung erforderlich, um die „Arbeit“ von Maschinen zu überwachen und zu korrigieren. Meist werden mit dem Versuch, Prozesse zu automatisieren, die menschliche Fähigkeiten wie kritisches Denken oder Empathie verlangen, mehr Probleme geschaffen als gelöst.

Wenn Politikerinnen und Politiker in manchen Ländern – wie etwa im Vereinigten Königreich – also ankündigen, das Rekrutierungsproblem im Gesundheitsbereich mit KI lösen zu wollen, sollten die Alarmglocken schrillen. Gesellschaftliche Probleme können niemals mit technischen Mitteln gelöst werden – sie brauchen immer auch soziale und wirtschaftliche Maßnahmen. Oft handelt es sich bei solchen Ansagen um politische Manöver, um den fehlenden politischen Willen zur Problemlösung zu kaschieren – oder Kürzungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung zu rechtfertigen. Wenn Maschinen die Arbeit erledigen, warum in Menschen investieren?

Letzteres ist ein potenziell folgenreicher Fehlschluss. Gute Gesundheitsversorgung braucht nicht nur High Tech, sondern auch High Touch – Empathie, Zeit und Zuwendung. Viele im Gesundheitsbereich tätige Menschen würden letzteren Aspekten gerne mehr Aufmerksamkeit schenken, stehen aber unter immer größerem zeitlichen Druck. Hier kann KI tatsächlich helfen, wenn wir sie richtig einsetzen: Der Einsatz von KI im Gesundheitsbereich ist dort sinnvoll und nützlich, wo er menschliche Arbeit unterstützt und ergänzt – und damit mehr Zeit für Menschen schafft, sich anderen, sinnvollen und wichtigen Aufgaben zuzuwenden. Dazu gehören der Kontakt mit Patientinnen und Patienten, die Weiterbildung, aber auch die Erholung, um die Arbeit erholt und konzentriert tun zu können.

In der Summe ist festzuhalten: Handeln im Gesundheitswesen muss auf Wissen basieren, nicht nur auf Daten. Maschinen verarbeiten Daten und erkennen Muster – Menschen haben Wissen und verstehen Kontexte und Zusammenhänge. Es braucht beides. Der Einsatz von KI ist insbesondere dort zu begrüßen, wo er Menschen repetitive oder ermüdende Tätigkeiten abnehmen kann und damit Zeit für genuin menschliche Tätigkeiten frei macht. Intelligenz erschöpft sich nicht in Algorithmen, sondern entsteht durch Vielfalt – aus dem Zusammenspiel von Expertise und Erfahrung aus unterschiedlichen Disziplinen und Lebensbereichen.

Kurzportrait

Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse an der Universität Wien, wo sie die Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien sowie die interdisziplinäre Forschungsplattform Governance of Digital Practices leitet. Neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit ist Barbara Prainsack in zahlreichen Beratungsgremien tätig: Sie ist Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission und Vorsitzende der Europäischen Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien, welche die Europäische Kommission berät. Ihr neuestes Buch: Wofür wir arbeiten erschien im 2023 im Brandstätter-Verlag. Im akademischen Jahr 2023/24 ist Barbara Prainsack Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

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