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Gastbeitrag / Philipp Brugner / Freitag 26.07.24

Kooperation mit China: Abwägungen zur Forschungssicherheit

Wissenschaftliche Exzellenz und technologische Durchbrüche leben von globaler Kooperation. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind frei zu entscheiden, mit wem sie zu welchem Thema eine Zusammenarbeit eingehen. Doch was, wenn die Politik Kooperationen unter bestimmten Umständen einschränkt? Im Falle der europäisch-chinesischen Wissenschaftsbeziehungen sind solche Überlegungen notwendig.
Credit: ZSI "Wissenschaft und Forschung laufen nicht im politischen Takt und plädieren auf eine offene, globale Zusammenarbeit"

Der Begriff der „Forschungssicherheit“ war vor einigen Jahren noch kaum geläufig. Das in Europa vorherrschende Forschungsparadigma war auf Offenheit in jeglicher Hinsicht ausgerichtet – versinnbildlich durch das von der Europäische Kommission von 2014-2020 finanzierte „Horizon 2020“, dessen drei Säulen „Open Science“, „Open Innovation“ und „Openness to the World“ ein Aufruf an die Welt waren, dass Europas Spitzenforschung und Hochtechnologie auf internationale Zusammenarbeit setzte, von der alle daran Beteiligten profitieren sollten.

Veränderte Tonalität in Sachen Forschungsfreiheit

2021 hat dann „Horizon Europe“ das erwähnte „Horizon 2020“ abgelöst und mit dem neuen Programm änderte sich allmählich auch die Tonalität in Sachen Forschungsfreiheit und globale Partnerschaften. Realpolitische Gegebenheiten, allen voran die Invasion der Ukraine durch Russland im Februar 2022, änderten für die EU nicht nur das politische und wirtschaftliche Spielfeld, sondern trafen zwangsläufig auch den Wissenschaftssektor. Das 2022 von der Europäischen Kommission (EK) veröffentlichte Handbuch zu Prävention von fremdstaatlicher Einmischung in Europas Forschung und Innovation war die logische Antwort darauf, dass zivile Forschung durch unlautere Praktiken verstärkt für anderweitige Zwecke zu missbrauchen versucht wurde.

Die tatsächlich erste Erwähnung von Forschungssicherheit („research security“) erfolgte im Zusammenhang mit dem EU-Paket für Wirtschaftssicherheit („economic security“) dann 2023. Insbesondere der darin gemachte Vorschlag, dass die EU-Mitgliedsstaaten zukünftig zuerst eine Risikoabwägung durchführen sollten, bevor Technologien mit potenziellem Dual-Use-Charakter in den Export gelangen, war auch für die Forschungssicherheit von direkter Relevanz. Die noch im selben Jahr definierten vier Technologiebereiche (Halbleiter, Künstliche Intelligenz, Quanten und Biotechnologie) wurden dann im Rahmen einer Empfehlung zur Stärkung der europäischen Forschungssicherheit im Mai 2024 von allen Mitgliedsstaaten angenommen – womit das Thema nun endgültig auf den Tischen der nationalen Regierungen liegt, um in Zusammenarbeit mit der EU nun auch in nationale Maßnahmen überführt zu werden.

Noch gibt es keine „Sammlung“ an öffentlich bekannten  und eindeutig dokumentierten Fällen von Forschungsmissbrauch an europäischen Institutionen, denn Vieles, was mit Wissenschaftsspionage zu hat, bleibt fernab jeder öffentlichen Wahrnehmung in den Geheimdiensten. Trotzdem sind Fälle von politischer Einflussnahme, finanzieller Anwerbung oder Dual-Use  über die vergangenen 5-6 Jahre quer über Europa bekannt geworden – darunter auch in Österreich, wo sich Quantenphysiker Anton Zeilinger, Nobelpreisträger von 2022, in weiterer Folge für das Risiko möglicher Verstrickungen mit dem chinesischen Militär hinsichtlich des dort herrschenden Interesses an abhörsicherer Quantenkommunikation rechtfertigen musste. Auch die Niederlande und Deutschland haben ihre Beispiele an risikoreichen Forschungskooperationen mit China, die durch die Medien eine breite Öffentlichkeit erhielten.

ZSI-Umfrage zu „Forschungssicherheit mit China“

Selbst wenn es im forschungspolitischen Umfeld kaum jemand wagt, eine dezidierte China-Strategie vorzulegen (zu viel Irritation und Entrüsten könnte damit direkt ausgelöst werden), besteht breiter Konsens darüber, dass die fremde Einflussnahme auf Forscher und Forscherinnen in Europa im Jahr 2024 mit China zum allergrößten Teil auf ein Land zurückzuführen ist. Vor diesem Hintergrund führte das ZSI – Zentrum für Soziale Innovation im Rahmen des EU-Projektes „ReConnect China“ im Juni 2024 eine Umfrage unter Forscher und Forscherinnen an österreichischen Universitäten und Fachhochschulen zum Thema „Forschungssicherheit mit China“ durch. Die Umfrage wollte wissen, ob österreichische Forscher und Forscherinnen laufende Kooperationen mit chinesischen Partnern in einer der vier kritischen Technologien haben, und welche Bedarfe aus ihrer Sicht bestünden, um die persönliche, institutionelle und nationale Sicherheit in der Forschungskooperation mit China zu gewährleisten.

Detaillierte Ergebnisse aus dieser Umfrage werden noch im Juli u. a. auf der Projektwebsite in einem Policy Brief veröffentlicht. Kurz zusammen gefasst ergibt sich folgendes Bild: Die österreichisch-chinesische Forschungskooperation findet überwiegend in hochtechnologischen Bereichen statt (automatisiertes Fahren, Wasserstofftechnik, Bautechnik, Photovoltaik etc.) und inkludiert auch einzelne der kritischen Technologiebereiche (Biotechnologie, Halbleitertechnik etc.). Breite Anerkennung findet nicht nur der hohe Innovations- und Technologisierungsgrad des chinesischen Forschungssektors, sondern auch Chinas wissenschaftliches Leistungsvermögen in der globalen Zusammenarbeit. Ein Kooperationsstopp für einzelne Bereiche in denen Europa bereits heute zurückliegt (z.B. automatisiertes Fahren) wäre daher nicht sinnvoll und würde auch die vertrauensbildende Rolle der Wissenschaft konterkarieren. Andererseits ist das Thema der Forschungssicherheit mittlerweile überall angekommen und Diskussionen zu Kooperationsverboten mit Chinas technisch-militärischen Universitäten („Seven Sons“), zu einem erweiterten Screening von gemeinsam abgeschlossenen Forschungsverträgen oder zur Ausweitung der China-Expertise innerhalb der nationalen Behörden und Universitäten in den EU-Ländern werden mit großem Interesse verfolgt.

Selbst wenn Wissenschaftsspionage in Kombination mit Forschungssicherheit in relativ kurzer Zeit zu einem der Top-Themen der europäischen Forschungspolitik geworden ist, lässt sich eines mit Gewissheit sagen: Wissenschaft und Forschung laufen nicht im politischen Takt und plädieren auf eine offene, globale Zusammenarbeit. Während Maßnahmen zur Stärkung der individuellen, institutionellen und nationalen Sicherheitsebene in der Forschungskooperation mit China jedenfalls zu begrüßen sind, sind jegliche Einschränkungen der Zusammenarbeit im Sinne der gemeinsamen wissenschaftlichen Exzellenz und des technologischen Fortschritts sorgfältig abzuwägen.

Kurzportrait

Philipp Brugner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am ZSI – Zentrum für Soziale Innovation in Wien. Zusammen mit seinem Kollegen Gábor Szüdi analysiert er im Horizon Europe-Projekt „ReConnect China“ die Zusammenarbeit der EU mit China in Wissenschaft und Technologie. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen in der Europäischen Forschungs- und Innovationspolitik, der EU-Nachbarschaftspolitik und dem Europäischen Kulturerbe sowie auf kollaborativen Methoden zur Generierung, Wirkung und Verwertung von Forschungsresultaten. Seit dem akademischen Jahr 2022/23 ist er Gastlektor im Joint Master in EU Trade & Climate Diplomacy am Hochschulinstitut CIFE.

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