Kunst und Wissenschaft, eine vielversprechende Allianz
Kunst und Wissenschaft sind Zwillinge, höchstwahrscheinlich sogar eineiige Zwillinge, die wir aber in unserer Epoche gleich nach der Geburt trennen und sorgfältig voneinander fernhalten.
Zumindest bis vor nicht allzu langer Zeit, denn das tiefe Eindringen der sich rasant entwickelnden technischen Anwendungen in unsere Kultur, in unser Privatleben ebenso wie in die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Sphären unserer Welt hat zu Herausforderungen, Verwerfungen und Dissonanzen geführt, deren Überwindung weit über das hinausgeht, was wir mit den altbekannten Problemlösungsstrategien in den Griff bekommen können.
Es braucht nicht nur Dolmetscher zwischen den Systemen oder Brückenbauer, es braucht ein grundlegend neues Denken über die Beziehung von „Mensch und Maschine“. Ein Denken, das von Anfang an in die Entwicklung von technischen Systemen integriert werden muss und so die an den menschlichen Bedürfnissen orientierten Prioritäten und Werte bereits in die Konzeption und Realisierung der technischen Systeme mit einbezieht. Die langsam dämmernde Erkenntnis, wie wichtig dafür ein holistisches Denken bzw. auch ein Denken in Alternativen ist, hat uns wieder die Wirkungsmacht der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft in Erinnerung gerufen. Was zaghaft damit begann, sich gegenseitig anzunähern und mit Knowhow auszuhelfen, wurde langsam zum Spaß, sich gegenseitig auch herauszufordern, und immer mehr zu einem Wiederentdecken, dass man ja eigentlich zwei Seiten der gleichen Medaille ist.
Digitaler Humanismus, ein Begriff, der lange Zeit nur bei so ungewöhnlichen Festivals wie der Ars Electronica in Linz auftauchte, hat sich mittlerweile dafür etabliert und wird inzwischen auch von Techniker*innen und Wissenschaftler*innen (z.B. an der TU Wien oder der FH St.Pölten) kultiviert und mit Leben erfüllt. Der Begriff findet sich auch in Dossiers des Europarates, in den Förderprogrammen der EU, in der Digitalisierungsstrategie der Stadt Wien, in der Cultural Diplomacy des österreichischen Außenministeriums.
Digitaler Humanismus steht für die Ansage, eine digitale Welt mit menschlichem Antlitz einzufordern, der aktuellen Dominanz der rücksichtslos nur an Profit orientierten Datenmonopolisten die Stirn zu bieten, und auch für das Ziel, eine spezifisch europäische Position auf der globalen Bühne der Digitalisierung zu definieren. Und immer wird dabei die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft als wichtiges Instrument für Neuorientierung und Innovationsfähigkeit gesehen.
Die Erfolgsgeschichte der Kunst-und-Wissenschafts-Allianz ist freilich eine lange, wir finden sie in den Überlieferungen der Antike oder im goldenen Zeitalter des Islam, in dem schon im Bagdad des 9.Jh Künstler und Wissenschaftler die erste programmierbare Maschine in Form eines von Wasserkraft getriebenen, Flöte spielenden Musikautomaten gebaut hatten. (1) Nahezu sprichwörtlich ist der Vergleich mit der europäischen Renaissance und auch an der Wende vom 19. ins 20. Jh finden sich viele Beispiele. In der Aufbruchszeit vor dem ersten der beiden Weltkriege, in denen die kombinierte Anwendung der technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, Entdeckungen und Erfindungen zur bis dahin grausamsten Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie wurde. Von den Schützengräben des 1. Weltkriegs über die Vernichtungslager des Holocaust bis zu den Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Diese Atrozitäten haben zu einer tiefen und langanhaltenden Skepsis (nicht nur) der Kunstwelt gegenüber der Wissenschaft geführt.
Doch wie so oft sollte man auch hier mit so großen Begriffen wie Kunst und Wissenschaft vorsichtig sein. Von welcher Kunst sprechen wir und von welcher Wissenschaft? Vieles an dieser Vorstellung ist romantisch verklärt und wir denken lieber an musengeküsste Genies und geniale Geistesblitze und weniger an jahrelange harte Arbeit und auch nicht an die oft mühevolle Kommunikationsarbeit zwischen den beiden Welten.
Ein Programm der Europäischen Kommission, das sich dieser Arbeit verschrieben hat, ist STARTS (2), eine mittlerweile auf viele Aktivitäten angewachsene Plattform für die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technologie und Kunst. Das Rückgrat des Projekts ist der seit 2016 von der Ars Electronica organisierte, internationale STARTS Prize (3), der jährlich zwei mal 20.000 Euro vergibt für innovative künstlerische Explorationen und innovative neue Modelle der Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft.
Die Bandbreite der ausgezeichneten Projekte ist weit gespannt, vom Entdecken neuer Perspektiven und Denkweisen zur Entwicklung von Arbeitsmethoden und alternativen Lösungsansätzen und weiter zu Verbesserungen der Schnittstellen zwischen den technischen Systemen und den Menschen, die diese nutzen. Aber auch Prototypen für neue Produkte oder Engagement für soziale Innovationen finden sich unter den Preisträger*innenarbeiten.
Kunst und Wissenschaft sind beide Avantgarden unserer kulturellen Entwicklung, unserer Zivilisation. Sie müssen uns über unsere Schrebergartenzäune katapultieren, uns zu Neuem inspirieren, sie müssen uns aber auch an die gefährlichen Abgründe führen, die durch achtloses Umgehen mit den machtvollen neuen Werkzeugen unserer technischen Welt entstehen.
Der Gesellschaft helfen mit den Dingen, die durch Wissenschaft und Technologie neu in unser Leben kommen, besser umzugehen, indem Kunst das tut, was sie immer schon so gut konnte, Bilder Symbole und Geschichten zu finden und zu erfinden, die uns in unserer Welt und Zeit verorten und orientieren. Die uns Mut machen und uns mutig machen, selbstbewusst und selbstbestimmt, nicht verblendet von Marketing und Werbung und nicht verführt von Scharlatanen und Verschwörungstheorien zu agieren.
- (1) Allahs-Automata https://zkm.de/de/publikation/allahs-automata
- (2) STARTS – Innovation at the Nexus of Science, Technology, and the ARTS.
https://www.starts.eu/ - (3) Grand prize of the European Commission honoring Innovation in Technology, Industry and Society stimulated by the Arts. https://starts-prize.aec.at/de/
- (4) https://starts-prize.aec.at/de/im-humanity/
- (5) https://starts-prize.aec.at/de/amsterdams-3d-printed-steel-bridge/
- (6) https://starts-prize.aec.at/de/project-alias/
- (7) https://starts-prize.aec.at/de/remix-el-barrio/
- (8) https://starts-prize.aec.at/de/oceans-in-transformation/
Einen Überblick über die Ars Electronica 2021 finden Sie im Beitrag „Elektronische Kunst und Digitale Gesellschaft„
Kurzportrait
Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Leiter und Geschäftsführer von Ars Electronica. Mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen entwickelte er 1995/96 die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, dem Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung erfolgte ab 2004 der Aufbau des Programms für internationale Ars Electronica Ausstellungen, ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das 2009 baulich erweiterte Ars Electronica Center, ab 2015 die Expansion des Ars Electronica Festival und im Jahr 2019 die großangelegte thematische und innenarchitektonische Neugestaltung des Ars Electronica Center. Stocker berät zahlreiche Unternehmen und Institutionen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement, ist Gastredner auf internationalen Konferenzen und Universitäten. 2019 erhielt er ein Ehrendoktorat der Aalto University, Finnland.