Neue Arbeitswelt? Alte Arbeitsmarktpolitik!
Digitalisierung und Big Data transformieren die Arbeitswelt. Beschäftigte, die nicht anpassungsfähig genug sind, sind dadurch mit neuen Beschäftigungsrisiken konfrontiert. Jedoch vollzieht sich der Wandel nicht so radikal, dass sich die Arbeitsmarktpolitik ganz neu erfinden müsste. Sie muss sich jedoch auf anspruchsvollere Qualifizierungen und Zielgruppen einstellen, und Beschäftigte stärker dabei unterstützen, öfter den Arbeitgeber zu wechseln.
Industrieroboter, Personal Computer, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz – die Schlagworte wechseln, aber an den Befürchtungen, dass der Einzug neuartiger Arbeit sparender Technologien die Beschäftigung in der nahen Zukunft in eine schwere Krise führen wird, hat sich in den letzten 50 Jahren erstaunlich wenig verändert. Und so warten die Pessimisten immer noch darauf, dass uns die Arbeit ausgeht und ein Heer von durch Automatisierung freigesetzten Arbeitslosen verelendet. Stattdessen klettern die Erwerbstätigenquoten auch in Österreich auf neue Höchststände, und in immer mehr Berufen fehlen Arbeitskräfte.
Andererseits liegt das Schlaraffenland, in dem von allein lernende Maschinen und Algorithmen den Menschen durch ein sich immer weiter selbst verstärkendes Wachstum vom Joch der Arbeit befreit haben, sollte es denn überhaupt jemals erreichbar sein, noch in ganz weiter Ferne. Jedenfalls waren die Zuwächse an Arbeitsproduktivität infolge der Digitalisierung im Aggregat bislang viel kleiner, als es Optimisten angesichts neuer potenzieller digitalen Allzwecktechnologien erwartet haben.
Somit erscheint eine sozialpolitische Revolution durch ein bedingungsloses Grundeinkommen als Reaktion auf die laufende technologische Entwicklung auf absehbare Zeit weder notwendig noch aus einer technologiegetrieben zunehmenden Wertschöpfung heraus finanzierbar. Die Diskussion über einen solchen fundamentalen Systemwechsel kann leicht den Blick darauf verstellen, dass auch im digitalen und datengetriebenen Strukturwandel zur Beschäftigungssicherung klassische Ansätze der aktiven Arbeitsmarktpolitik zentral bleiben, auch wenn sie einer inhaltlichen Nachschärfung bedürfen.
Effektive Weiterbildung gefragt
Weil in der digitalisierten Wirtschaft die beruflichen Tätigkeitsprofile anspruchsvoller werden, ist neben einer zügigen Anpassung von Ausbildungsinhalten vor allem effektive Weiterbildung auf breiter Front gefragt. Es gilt, sehr viele Beschäftigte mit besseren und neuen Qualifikationen zu versorgen. Dabei geht es um mehr als technisches und Management-Fachwissen. Die Ausbreitung neuer digitaler Geschäfts- und Organisationsmodelle erfordert auch die – bei Erwachsenen nur noch mit erheblichem Aufwand zu schaffende – Entwicklung von Soft Skills wie Kreativität oder Offenheit. Um dabei die Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen, sollte sich die öffentliche Förderung von betrieblicher oder überbetrieblicher Weiterbildung weiterhin auf die Beschäftigten konzentrieren, die ansonsten von längerer Arbeitslosigkeit bedroht wären.
Eine Besonderheit der Digitalisierung ist, dass auch bei Gruppen von gut qualifizierten Beschäftigten, die früher wenig von Automatisierungsrisiken berührt waren, erhebliche Bedarfe an Weiterbildung entstehen. So hat das Internetbanking viel Schalterpersonal überflüssig gemacht, und leistungsfähige große Sprachmodelle wie ChatGPT dürften die Programmierarbeit oder den Journalismus massiv verändern. Zwar verfügen viele Betroffene über vergleichsweise große materielle und persönliche Ressourcen. Dennoch dürfte ein gewisser Teil die ungewohnten Veränderungen nicht aus eigener Kraft bewältigen. Der aktiven Arbeitsmarktpolitik und den Trägern der öffentlich geförderten Weiterbildung erwächst damit neue Klientel. Es gilt, für diese anspruchsvolle Zielgruppe verstärkt geeignete Zugangswege und Angebote zu entwickeln.
Förderung der Mobilität von Beschäftigten
Viel weniger beachtet als die Aus- und Weiterbildung, aber enorm wichtig sind Instrumente zur Förderung der Mobilität von Beschäftigten zwischen Unternehmen, selbst wenn es dabei zu keinem Berufs- oder Branchenwechsel kommt. Die Empirie spricht dafür, dass mit der Digitalisierung verbundene Produktivitätszuwächse in den Unternehmen überdurchschnittlich groß ausfallen, die auch sonst produktiver sind. Beschäftigte in weniger wettbewerbsfähigen Unternehmen könnten daher Beschäftigungsrisiken verringern und ein höheres Einkommen erzielen, wenn sie zu diesen besonders guten Arbeitgebern wechseln. Sie tun dies bisher aber zu selten.
Ein gängiges Instrument zur Förderung der Reallokation am Arbeitsmarkt sind Mobilitätshilfen bei einem beruflich bedingten Umzug. Diese könnten vor allem für Beschäftigte, die aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus den Arbeitgeber wechseln, noch großzügiger sein. Aktuelle Forschungsarbeiten weisen zudem darauf hin, dass sich Beschäftigte in wenig produktiven Unternehmen oft gar nicht bewusst sind, welche Vorteile sie bei einem wettbewerbsfähigeren Arbeitgeber für sich erzielen könnten. Deswegen ist auch die Vermittlung von Information über erreichbare und geeignete Alternativen zum bestehenden Job ein starker Hebel, um Effizienz steigernde und tendenziell auch die soziale Ungleichheit reduzierende Arbeitgeberwechsel anzuregen. Digitale und datenbasierte Technologien eröffnen der Arbeitsverwaltung neue Möglichkeiten, Beschäftigten dazu genaue, personalisierte Hinweise zu geben. Dies zeigt: Um Beschäftigungsrisiken durch die digitale Transformation mittels aktiver Arbeitsmarktpolitik zweckmäßig zu begegnen, muss sich auch der Arbeitsmarktservice digital transformieren.
Kurzportrait
Prof. Dr. Holger Bonin ist designierter IHS-Direktor und tritt seine Funktion am Institut für Höhere Studien mit 1. Juli 2023 an. Zuletzt war er Forschungsdirektor des IZA Institute of Labour Economics in Bonn, ein renommiertes wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut in Europa mit einem Schwerpunkt in Arbeitsökonomie. Bonin lehrt als Professor für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik an der Universität Kassel und engagiert sich seit langem in der wissenschaftlichen Politikberatung. Er ist in Deutschland Mitglied des Expertenbeirats zum Fachkräftemonitoring des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Kuratoriums des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung und des Rats für Migration. Er gehörte bis 2022 der von der Deutschen Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation sowie der unabhängigen Expertenkommission für den 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung an.