Ruinen und Regeneration: Die Rolle der Kreislaufwirtschaft bei Katastrophen
Das Department für Baukonstruktion am Institut für Architektur der Angewandten lehrt "Circular Strategies" und veranstaltet Symposien mit wechselnden Schwerpunkten in diesem Themenbereich. Diesen Herbst fand das Symposium zum Thema „Aftermath - Reconstruction of Environments" statt, um auf die globalen Katastrophen zu reagieren, mit denen wir täglich konfrontiert sind.
Aftermath – ursprünglich ein landwirtschaftlicher Begriff, war historisch gesehen die Ernte, die nach der Haupternte, der ersten Ernte der Saison vom selben Boden, geschnitten, abgeweidet oder untergepflügt wurde. Unter Aftermath versteht man heute die Zeitspanne nach einem zerstörerischen Ereignis oder einer negativen Folge oder einem Ergebnis.
Angesichts der Kriege in den Nachbarländern, der weltweiten Migrationskrisen, des massiven Verlusts der biologischen Vielfalt in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und des Klimawandels müssen Architekt:innen und Designer:innen ihre Rolle und ihre Aufgaben neu bewerten. Das 1,5-tägige Symposium sollte vielfältige und multidisziplinäre Perspektiven auf den Wiederaufbau in verschiedenen Maßstäben bieten, verschiedene Szenarien aufzeigen und Diskussionen anregen. Das Symposium gliederte sich entlang der Zeitachse von der unmittelbaren Notfallhilfe über den vorübergehenden und dauerhaften Wiederaufbau bis hin zur groß angelegten Planung sowie der Material- und Strategieforschung. Im Folgenden sind die Learnings aus den Vorträgen und Diskussionen kurz zusammengefasst.
Nachhaltigkeit steht nicht an erster Stelle
Wiederaufbau nach katastrophalen Ereignissen ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Nachhaltigkeit steht dabei nicht an erster Stelle, die Lebensrettung von Personen und schnelle Erste-Hilfe-Maßnahmen stehen im Vordergrund. Am Beginn steht die Sicherung der Situation, um der extremen Gefahr für Retter und Wiederaufbaupersonal zu begegnen. Die Zerstörung von Lebensraum und Infrastruktur bringt große Probleme hinsichtlich Kommunikation, Erreichbarkeit und damit Versorgung mit sich.
Durch die großflächige Zerstörung fallen große Mengen Material an, die in kürzester Zeit verbracht und verarbeitet werden müssen. Toxische Stoffe sind allgegenwärtig – Betriebs- und Treibstoffe verseuchen Material, Gebäude, Erdreich und ganze Ökosysteme. Der Aufbau von temporärer Infrastruktur und die Einbringung von schwerem Gerät und Maschinen von weither ist oft notwendig. Lieferketten sind unterbrochen und konventionelle Lösungen nicht durchführbar. Dazu kommt, dass in der betroffenen Bevölkerung viele Personen verletzt, traumatisiert und nicht arbeitsfähig sind. In die einzelnen Phasen von Wiederaufbau Vorbereitung – Katastrophenhilfe – Wiederaufbau – Prävention werden Prinzipien des zirkulären Bauens eingebettet: z.B. Optimierung von Materialien und Strukturen, Erhaltung und Wiederverwendung von Materialien, effiziente Lieferketten, Schutz von Marken und Produkten.
Für erfolgreichen Wiederaufbau mit dem Ziel der Schaffung einer verbesserten und resilienteren Umgebung gibt es kein allgemeingültiges Rezept, gute Lösungen und Strategien sind im jeweiligen Kontext des Natur- und Kulturraums zu entwickeln. Aus zahlreichen Erfahrungen und Fallbeispielen lassen sich Hauptfaktoren für den Erfolg nennen. Für die Notfallhilfe hat sich die schnelle Unterstützung mit lokal angefertigten Selbstaufbau-Kits bewährt. Wiederaufbaumaßnahmen sollten mit langfristiger Perspektive durchgeführt werden, um teure und kurzfristige Zwischenlösungen zu vermeiden. Lokale Bauweise sollte angewandt werden, die in großem Maßstab repliziert werden kann und mit möglichst wenig importierten und wenn dann recyclingfähigen Materialien auskommt. Die Materialien der zerstörten Gebäude und Infrastruktur sollten möglichst weitgehend verarbeitet und wiederverwendet werden.
Neue Technologien zum Mapping räumlicher Daten
Respektvoller Umgang mit der betroffenen Bevölkerung und deren Einbindung in die Planung und die Wiederaufbautätigkeit selbst sind Schlüssel zum Erfolg. „Community based approaches to disaster recovery“ inkludieren Bewusstseinsbildung für Nachhaltigkeit und Resilienz, Schulung der Bevölkerung in resilienter Bauweise und Mitarbeit und Mitgestaltung der Umgebung, inklusive Unterstützung der lokalen Administration und Regierungsstellen. Neue Technologien zum Mapping räumlicher Daten und deren Zugänglichkeit als Grundlage für Planungen sind eminent wichtig und ein neues großes Forschungsgebiet im zirkulären Planen und Bauen.
Die menschlichen Kosten von Katastrophen hängen von zahlreichen Faktoren ab, von der Art der Gefahr, ihrem Ort, ihrer Dauer und der Größe und Anfälligkeit der gefährdeten Bevölkerung. Überschwemmungen und Stürme verursachen fast die Hälfte aller Katastrophenereignisse weltweit und die meisten Todesopfer. Die Reorganisation von Lebensraum wird in vielen Teilen der Welt notwendig sein und großmaßstäbliche Migrationsbewegungen hervorrufen. Land und der Umgang mit Besitz und Landnutzung sind kritische Faktoren für die Gefährdung und Resilienz zugleich, Strategien zu einer besseren Verteilung sind dringend erforderlich.
Der Fokus für die Zukunft sollte in der nachhaltigen Planung der Natur- und Lebensräume und nicht zuletzt dem Schutz von Biodiversität bestehen. Architekt:innen können in vielfältiger Weise daran mitarbeiten – von der Bewertung der Sicherheit von Schäden an der bebauten Umwelt, über Arbeiten zum Wiederaufbau von Gebäuden, zu Etablierung der Normen, die die Sicherheit von Gebäuden gewährleisten, Forschung und Weiterentwicklung von Materialien und Bauweisen zu langfristiger strategischer Planung.
Informationen zu den Symposien und Videos aus den vergangenen Jahren werden auf der Website der Abteilung für Baukonstruktion Institut für Architektur der Universität für Angewandte Kunst Wien veröffentlicht.
Weiterführende Links:
International Institute for Applied Systems Analysis IIASA, Systemic Risk and
Resilience Group SYRR and Advanced Systems Analysis Program ASA
The Royal Danish Academy – Institute of Architecture and Technology
Quellen:
UNDRR The human cost of disasters: an overview of the last 20 years (2000-2019) 2021
Kurzportrait
Petra Gruber ist Forscherin und Unterrichtende in Architektur und Biodesign. Sie ist Universitätsprofessorin und Leiterin der Abteilung für Baukonstruktion an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Sie hat über „Bionik in der Architektur“ an der Technischen Universität Wien promoviert, und arbeitet international auf drei Kontinenten an inter-und transdisziplinärem Design, Forschung und Lehre an der Schnittstelle von Biologie, Architektur und Kunst. Ihre Arbeit ist weit publiziert in Büchern, wissenschaftlichen Zeitschriften, Ausstellungen und Dokumentationen. Sie hält weltweit Vorträge und Workshops, und ist Gutachterin für wissenschaftliche Zeitschriften und Förderorganisationen.