Sicherheit in der Unsicherheit – Zuverlässige KI in einer komplexen Welt
Die Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 und in Folge auch vieler anderer großer KI-Modelle hat die allgemeine Wahrnehmung und unser Verständnis darüber, was KI leisten kann, grundlegend verändert. Viele der präsentierten Ergebnisse beeindruckten selbst gestandene KI-Forschende und haben quasi über Nacht ermöglicht, Aufgaben in vielen Bereichen schneller zu erledigen.
Information zu unterschiedlichsten Themen kann abgefragt werden, Texte werden auf Basis von Stichworten geschrieben und für ein Zielpublikum optimiert, Copyright-freie Bilder und sogar Programmiercode werden automatisch generiert. Eine Garantie, dass die gelieferten Ergebnisse korrekt sind, besteht allerdings für diese Systeme nicht. Es gibt aber erste Schritte in die Richtung, zum Beispiel bei der Aufbereitung von Informationen zu einem angefragten Thema für den Menschen nachvollziehbare (und korrekte!) Quellenangaben oder Erklärungen mitzuliefern.
Das kommende Europäische Gesetz über Künstliche Intelligenz (AI Act) sieht besonders strenge Regeln für KI in kritischen Bereichen vor, wie etwa der Medizin. Eine erst kürzlich im renommierten Journal Nature formulierte Vision eines KI-Modells, das als Generalist und mit minimalen Anpassungsmaßnahmen medizinische und diagnostische Fragestellungen aller Art löst, ist allerdings noch Zukunftsmusik. Gerade in der Medizin ist die Variabiliät der Daten sehr hoch und Fragestellungen sind komplex:
• Objektvariabilität: Kein Mensch gleicht dem anderen. Der Mensch beziehungsweise biologische Systeme sind als Untersuchungsobjekte hoch individuell und liefern damit unterschiedliche Daten.
• Variabilität und fehlende Standards in der Datenerhebung: Viele bildgebende Verfahren, wie beispielsweise MR oder Ultraschall, sind nicht standardisiert. Ohne fixe Aufnahmesequenz werden die Aufnahmen zwar unter sehr ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Konditionen gemacht – was zu einer hohen Datenvariabilität führt.
• Komplexität in der Fragestellung: Abgesehen von Standardfällen sind etwa Diagnosen oder die Planung operativer Eingriffe auf den Patienten und dessen Krankengeschichte abgestimmt. Auch wenn es Leitlinien für medizinische Diagnosen und Behandlungen gibt, können diese zum Beispiel von Land zu Land sehr unterschiedlich sein.
In der Medizin dominieren so bis heute hauptsächlich KI-Lösungen, die in geschlossenen Systemen und mit spezifischen Datensätzen im Kontext konkreter Fragen agieren und sehr gute Ergebnisse liefern. Solche Insellösungen sind allerdings nicht geeignet, um in einer offeneren Umgebung zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Die sind hier nur garantiert, wenn die Anfrage an die KI exakt der Fragestellung und dem Datenbereich, in dem trainiert wurde, entspricht. Die Situation ändert sich also, sobald man einen variablen Datenraum betritt. Möchte man eine generelle KI für die Medizin entwickeln, ist man mit einem echten offenen System konfrontiert – was die Entwicklung einer stabilen KI umso schwieriger macht. Wie geht man mit dieser Herausforderung um?
Aktuelle F&E-Projekte arbeiten schon heute auf eine KI hin, die Sicherheit in der Unsicherheit zeigt und damit sinnvoll umgehen kann. Die KI muss ihre eigenen Grenzen erkennen und kompetent entscheiden, ab wann sie nicht mehr entscheiden kann.
Eine weitere, grundlegende Voraussetzung für eine robuste KI ist der Zugang zu großen, qualitativ hochwertigen Datenmengen, die die zu erwartende Variabilität möglichst gut abdecken. Das ist aber in der Medizin so gut wie unmöglich. Daher arbeitet die Forschung an Lösungen, die kontinuierlich lernen beziehungsweise generelle, zugrundliegende Konzepte lernen sowie auf Basis weniger neuer Daten auch vorher unbekannte Fragestellungen lösen können.
Trotz aller Fortschritte und der Möglichkeit, künstlich Trainingsdaten für KI zu erzeugen, ist die mangelnde Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Daten immer noch eines der größten Hemmnisse für KI-getriebene Innovation im Medizinbereich. Starke Patientenrechte und das EU-weite Recht über die eigenen Daten zu bestimmen sind wichtige Errungenschaften, an denen nicht gerüttelt werden soll. Gleichzeitig muss innerhalb dieses Rechtsrahmens auch die Möglichkeit geschaffen werden, Daten zu teilen und der Allgemeinheit für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen – außerhalb der Datensilos der Kliniken.
Wie so etwas gehen kann, lebt Großbritannien vor. Hier gibt es bereits eine landesweite Datenstrategie der NHS unter dem Titel „Daten retten Leben“, die die Datenspender – also die Patienten – mit ins Boot holt. Auch die EU unterstützt mit Förderprogrammen die Erstellung großer Datensammlungen, beispielsweise für die Krebsforschung. Österreich, als kleineres und agiles Land, könnte hier ebenfalls Zeichen setzen und die KI-Innovation auf nationaler Ebene vorantreiben.
Kurzportrait
Dr. Katja Bühler ist wissenschaftliche Leiterin des COMET-Zentrums VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung. Am VRVis leitet sie auch die Gruppe Biomedical Image Informatics. Sie entwickelt und erforscht seit über 20 Jahren mit ihrem mehr als 15-köpfigen Team Bildverarbeitungs- und KI-Lösungen für Medizin und Life Science.
Sie studierte am Karlsruher Institut für Technologie und absolvierte Forschungsaufenthalte in Venezuela und an der TU Wien. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen und arbeitet auch als Gutachterin für die EU. Für ihre Forschungsleistungen wurde sie zuletzt mit dem renommierten TU Frauenpreis 2020 ausgezeichnet.