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Gastbeitrag / Michaela Smertnig / Montag 11.11.24

Warum die Bedeutung nachwachsender Materialien steigt

Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen spielen in der Transformation des Bausektors eine zentrale Rolle – denn es gilt zu dekarbonisieren und Kreislaufführung umzusetzen, um die Klimaziele zu erreichen. Dieser Artikel zeigt auf, welche Rolle regenerative Materialien in der Bauwirtschaft spielen, wo Potenziale liegen, wo man auf Hürden stößt, und er geht auf aktuelle Projekte ein.
Credit: Daniel Hinterramskogler Michaela Smertnig ist Clustermanagerin des ecoplus Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich

Die Bioökonomiestrategie der Bundesregierung zielt auf den schrittweisen Umstieg von fossilen auf nachwachsende Rohstoffe ab. Dies soll helfen, Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, regionale Wertschöpfung zu fördern, sichere Arbeitsplätze zu schaffen und die Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren. Daher werden Produkte aus biobasierten Materialien im Bausektor an Bedeutung gewinnen und deren Bedarf wird steigen.

Österreich hat eine lange Tradition in der Verwendung von regional verfügbaren Baumaterialien wie Holz, Holzfaserwerkstoffe, Hanf, Stroh, Lehm, Kalk, Schafwolle usw. Diese Materialien sind regenerativ, rezyklierbar und mehr oder weniger resilient. Trotzdem bestehen Hemmnisse in der Verwendung der Baustoffe bei Bauherren, Baubehörden, Planenden und Verarbeitenden. Diese Hemmnisse sind auf Informationsdefizite, fehlendes Fachwissen über Anschlüsse, Details, Kombinationsmöglichkeiten sowie Unsicherheiten bei Langlebigkeit und Kosten zurückzuführen. Eine breite, industrielle Anwendung scheint noch weit entfernt.

Potenziale und Herausforderungen

Die Verwendung nachwachsender Materialien bietet zahlreiche Vorteile. In der Regel sind sie schadstofffrei, einfach rezyklierbar und regional verfügbar, was Transportwege verkürzt und die lokale Wirtschaft stärkt. Oft haben diese Materialien die Fähigkeit Feuchtigkeit zu regulieren und somit ein angenehmes Raumklima zu schaffen, wie z.B. Lehm.

Fehlende Standardisierungen und Zertifizierungen von regenerativen Baustoffen erschweren jedoch ihre breite Anwendung. Zudem sind viele Planende und Verarbeitende nicht ausreichend mit den spezifischen Eigenschaften und Verarbeitungstechniken dieser Materialien vertraut. Um CO2-reduziertes Bauen zu fördern, muss das Vertrauen in ökologische Bauweisen und deren Langlebigkeit gestärkt werden. Dies erfordert wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Kompetenzen im Bauen mit Naturbaustoffen sind verstreut und größere Baustoffhersteller noch wenig involviert.

Das Innovations-Netzwerk „natuREbuilt“

Hier setzt beispielsweise das Innovations-Netzwerk „natuREbuilt“ an – mit dem Ziel, diese Hemmnisse sukzessive abzubauen und den Einsatz ökologischer Bauweisen im mehrgeschossigen Neubau und in der Sanierung zu etablieren.

Im Projekt „natuREbuilt“ kooperieren Unternehmen und Institutionen interdisziplinär. Basierend auf vorhandenen Daten und Erfahrungen wurden bisher Aufbauten und Detailanschlüsse erstellt, fehlende bauphysikalische Daten untersucht und ein Planungstool geschaffen. Zudem stehen Planenden auch digitale, BIM-kompatible Dateien zu den Baukonstruktionen zur Verfügung. Die Initiative ging vom ecoplus Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich aus, der wissenschaftliche Lead liegt bei der TU Wien, Forschungsbereich Ökologische Bautechnologien.

Leuchtturmprojekt: Haus des Lernens

Ein herausragend gebautes Beispiel für den Einsatz nachwachsender Materialien ist das „Haus des Lernens“ in St. Pölten. Die GESA NÖ (Gemeinnützige Sanierungs- und Beschäftigungs-GmbH) wollte mit ihrem Betriebsgebäude einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Realisiert wurde dies mit regionalen Baustoffen, regionalen Betrieben und viel Erfahrung seitens der AkteurInnen.

In der Planungsphase wurde die Bauweise in mehreren Schritten optimiert. Die Primärkonstruktion in Holzbauweise (450 m³ Holz) ersetzt ca. 1.200 to Stahlbeton und bildet gemeinsam mit den Dämmstoffen Stroh und Holzweichfaserplatten, sowie 80 to Lehmputz und Vollholzböden aus der Region eine CO₂-Senke über mindestens 40 Jahre. Schüttungen in den Deckenaufbauten als Alternative zu Estrichen sparen CO₂ und graue Energie und ermöglichen den leichten Rückbau und die Wiedernutzung der tragenden Holzbauteile. Große Spannweiten erlauben spätere Teilbarkeit und somit eine flexible Nutzung des Raumes im Lebenszyklus. Die Errichtung im städtischen Kontext zeigt das Potenzial der verwendeten Baustoffe und Konstruktionen.

Neue Werkstoffe, Verfahren und Wertschöpfungsketten

Aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft und Forschung fokussieren auf neue vollökologische Komposit-Werkstoffe wie Stroh-Kalk-Platten oder Hanf-Kalk-Baukomponenten. Eine Forschungsgruppe an der Boku entwickelt 3D-druckbare Wandbauteile aus Abfall- und Sekundärprodukten der Holzindustrie. Zudem wird an alternativen Rohstoffen wie myzelbasierte Baustoffe/Dämmstoffe als „Abfallprodukt“ der Pilzzucht geforscht. Für eine breite Anwendung regenerativer Materialien im Bauwesen sind vor allem industrielle, skalierbare Prozesse und die Verfügbarkeit von Rohstoffen entscheidend.

Aushublehm ist beispielsweise ein traditioneller und vielseitig einsetzbarer Werkstoff, der nahezu überall in Österreich in verschiedenen Qualitäten oder Zusammensetzungen vorkommt. Er kann beliebig wiederverwendet und unbedenklich in den Naturkreislauf zurückgeführt werden, was ihn zu einem hervorragenden Material für nachhaltiges Bauen macht. Obwohl er in großen Mengen bei Erdaushüben (mit)entnommen wird, wird er meist nicht als Wertstoff verwendet. Einmal deponiert, steht er nicht mehr als Rohstoff zur Verfügung. Derzeit fehlen skalierbare wirtschaftliche Wertschöpfungsketten und Analysemethoden zur Beurteilung seiner Zusammensetzung und Verwendbarkeit – auch daran wird geforscht.

Fazit

Nachwachsende Materialien und Baustoffe sind wichtig für die Dekarbonisierung des Bausektors und das zirkuläre Bauen. Sie reduzieren CO₂-Emissionen und stärken regionale Wertschöpfungsketten. Trotz Herausforderungen gibt es vielversprechende Projekte wie „natuREbuilt“ oder das „Haus des Lernens“, die zeigen, wie diese Materialien effektiv genutzt werden können.

Kurzportrait

Michaela Smertnig ist Clustermanagerin des ecoplus Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich, der über das Projekt „NÖ Innovationsökosystem“, das von ecoplus umgesetzt wird, von der Europäischen Union kofinanziert wird. Mit ihrem Team initiiert und koordiniert Smertnig Aktivitäten und Projekte, die darauf abzielen, die Innovationskraft der einheimischen Baubranche zu stärken, und fördert die Vernetzung zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Bereich nachhaltiges Bauen. Als ausgebildete Bauingenieurin engagiert sie sich für ressourcenschonende und klimafreundliche Bauweisen.

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