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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 17.05.2023, 13:53

Kostengünstiger zusätzlicher Schutz für europäische Kunst

Neue Materialien und Sensoren werden selbst kleinen Museen helfen, irreversible Schäden an Objekten zu verhindern.

APA/AFP/Sergei GAPON
Das neu entwickelte Produkt soll bald für Museen und Galerien auf den Markt kommen (im Bild: Munch Museum in Oslo)

Das ehemalige Wohnhaus der amerikanischen Kunstsammlerin Peggy Guggenheim mit Blick auf den Canal Grande in Venedig beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen von Werken des 20. Jahrhunderts in Italien. Bis vor kurzem waren viele dieser Werke durch einen unsichtbaren Angreifer gefährdet: Essigsäure, abgegeben von den alternden Holzbilderrahmen.

Chemiker aus Florenz, einer weiteren berühmten Stadt in Italien, haben ein neues Material entwickelt, das die Kunstwerke 50 bis 100 Jahre lang vor Essigsäure, Formaldehyd und anderen schädlichen flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) schützen soll.

Raffiniert und preiswert

„Wir haben den ersten Absorber für Essigsäure und Formaldehyd mit einer sehr raffinierten und preiswerten Methode synthetisiert“, erklärte Piero Baglioni, Professor für physikalische Chemie am Center for Colloid and Surface Science (CSGI) der Universität Florenz. Das Material ist flexibel und biologisch abbaubar und kann das Doppelte seines Gewichts an Schadstoffen aufnehmen. Es wird hauptsächlich aus Rizinusöl hergestellt.

Die Kuratoren der Peggy Guggenheim Collection haben die Rückseiten von Gemälden und eine Wand in einem Raum mit einem Gemälde von Wassily Kandinsky aus dem Jahr 1929 und einer Skulptur von Umberto Boccioni aus dem Jahr 1915 mit diesem auf Blättern aufgetragenen Material beklebt. Die Essigsäurekonzentration in dem Raum ist seitdem von zwei Teilen pro Million (ppm), die hoch genug sind, um Kunstwerke zu beschädigen, auf sichere Werte von 0,5 ppm gesunken, so Baglioni.

Das Material, Nanorestore VOCs, kann in jeder Form, Größe und Farbe hergestellt werden, sagt Baglioni, der ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt namens APACHE koordinierte, welches eine Reihe von Produkten zum Schutz wertvoller Kunstwerke entwickelt hat.

Die Entdeckung wird wahrscheinlich einen großen Einfluss auf den zukünftigen Zustand von Kunstwerken haben, einschließlich derer, die sich in der Aufbewahrung befinden. Das liegt daran, dass viele Galerien und Museen ihre Sammlungen in Holzcontainern aufbewahren, die VOC freisetzen.

Das Centre Pompidou in Paris, das Europas größte Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst beherbergt, testet das Material für seine Lagerbehälter. Das Museum bewahrt die meisten seiner 120.000 Stücke in Holzkisten auf, darunter Werke von Pablo Picasso, Amedeo Modigliani und Georges Braque.

Test an Zeichnungen von Edvard Munch

Baglioni testet das Material auch in dem Museum in Oslo, Norwegen, das Edvard Munch gewidmet ist und eines der berühmtesten Gemälde des Künstlers zeigt: Der Schrei. Hunderte von Munchs Drucken und Zeichnungen werden in Holzschubladen aufbewahrt, deren Austausch gegen ein neues Material laut Baglioni ein kleines Vermögen kosten würde.

Im Februar, nach der Beendigung des APACHE-Projekts im letzten Jahr, legte sein Team Blätter des Materials – die jeweils etwa fünf Euro kosten – in die Lagerschubladen, um dann im Juni die VOC-Werte zu überprüfen. „Wenn es funktioniert, wird das Museum eine Menge Geld sparen“, erklärt Baglioni.

Das Produkt wird bald für Museen und Galerien auf den Markt kommen. Es wird auch als Mittel zur Luftreinigung in Wohnungen, Krankenhäusern und Büros vermarktet. VOC machen 80 Prozent der Schadstoffe in der Innenraumluft aus und können die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen.

Baglioni arbeitet mit Forschern der schwedischen Chalmers Universität zusammen, um das hoffentlich weltweit effektivste und umweltfreundlichste Material zur Absorption von VOCs herzustellen.

Im Rahmen des APACHE-Projekts wurden auch Sensoren entwickelt, die die VOC-Konzentration überwachen und nur zehn Cent pro Stück kosten. Diese werden vom italienischen Unternehmen Goppion hergestellt, das Vitrinen für den Louvre und andere kulturelle Einrichtungen produziert.

Aber das Unternehmen, das sich an dem Projekt beteiligt hat, braucht eine größere Nachfrage, damit die Produktion rentabel ist. „Wenn der Markt für dieses System sich auf Museen und Galerien beschränkt, wird es nicht rentabel sein“, sagte Baglioni. „Wir müssen also eine zusätzliche Verwendung dafür finden.“

Unsichtbare Bedrohungen

Die meisten Bedrohungen für Europas Meisterwerke und historische Artefakte sind für das bloße Auge unsichtbar: Temperatur- oder Feuchtigkeitsschwankungen, ultraviolettes Licht, kleine Erschütterungen durch die Schritte von Besuchern oder Bauarbeiten sowie VOC. Sogar die Art des Gebäudes, in dem die Werke untergebracht sind – modern oder alt, aus Stein oder Holz – hat einen Einfluss. Oft werden die Auswirkungen erst sichtbar, wenn der Schaden bereits eingetreten ist.

Während große Museen und Kunstgalerien für viele Sensoren bezahlen können, um ihre Sammlungen sorgfältig zu überwachen, haben kleinere Institutionen mit knappen Kassen Schwierigkeiten, die internationalen Standards für Wartung und Lagerung zu erfüllen.

„Für kleine und mittelgroße Museen ist es wirklich schwierig, ihre Artefakte zu bewahren, da es an Fachwissen, Personal und Mitteln mangelt“, erklärt Marie-Dominique Bruni, Programmmanagerin bei der französischen Kommission für alternative Energien und Atomenergie, auch bekannt als CEA.

Bruni koordinierte ein Projekt namens SensMat, im Rahmen dessen Sensoren und Software entwickelt wurden, um bis zu zwölf verschiedene Umweltfaktoren zu überwachen – von der Staubbelastung bis zu Vibrationen – und Restauratoren vor den Risiken für die von ihnen betreuten Kunstwerke zu warnen, damit sie handeln können, bevor Schäden entstehen.

„Wir helfen ihnen, diese Daten zu sammeln und zu interpretieren, um zu entscheiden, wie ein Exponat am besten ausgestellt werden kann oder was zu ändern ist, wenn es durch die Umgebung beschädigt werden könnte“, fügt Bruni hinzu. Das kann bedeuten, die Klimaregelung zu ändern, die Anzahl der Besucher zu begrenzen oder den Gegenstand in einen anderen Raum zu bringen.

Metallgegenstände zum Beispiel können unter den falschen Temperatur-, Feuchtigkeits- und Lichtbedingungen korrodieren. „Wenn diese Korrosion sichtbar wird, ist es zu spät“, sagt Bruni. „Wir müssen also die Objekte bewegen oder die Temperatur und Luftfeuchtigkeit ändern, um ihre Korrosion zu verhindern.“

Eine der schädlichsten Auswirkungen sind niederfrequente Vibrationen. Diese könnten nicht nur durch Besucherströme und Bauarbeiten entstehen, sondern auch durch den Autoverkehr. „Museen müssen die Auswirkungen von Vibrationen diagnostizieren“, erklärt Bruni. „Fresken an Wänden oder Decken und Gegenstände, die aus verschiedenen Schichten bestehen, sind besonders gefährdet.“

Erfolg mit Software

Museen und Galerien leihen sich zunehmend gegenseitig ihre Sammlungen aus. Diese Praxis bringt neue Herausforderungen für den Transport und die Ausstellung von Objekten mit sich. „Museen und Galerien müssen garantieren, dass sie die Objekte, die sie erhalten, keiner Gefahr aussetzen“, sagt Bruni. „Unsere Software könnte ihnen dabei helfen, die Bedingungen für den Erhalt neuer Objekte zu definieren. Die Versicherungsgesellschaften sind sehr an dieser Art von Informationen interessiert.“

SensMat lief von Januar 2019 bis August 2022 und kooperierte mit Museen in sieben europäischen Ländern, darunter Dänemark, Frankreich, Deutschland und Italien. „Es war wirklich wichtig, Studien in verschiedenen Klimazonen und an verschiedenen Orten durchzuführen“, sagt Bruni. Denn damit war das Team in der Lage, Lösungen für eine Vielzahl von Szenarien zu entwickeln. Das SensMat-Team hofft, dass seine Ergebnisse dazu beitragen werden, die internationalen Empfehlungen für die Ausstellung und Erhaltung von Objekten zu aktualisieren.

Gegenwärtig versucht Bruni, Investoren zu finden, um die letzte Phase der Entwicklung abzuschließen und die Software auf den Markt zu bringen. Große Museen haben ihr Interesse an der Software bekundet, aber das oberste Ziel ist es, sie auch für kleine Galerien erschwinglich zu machen. „Wir haben eine große Nachfrage nach der Software erhalten“, sagt Bruni. „Wir müssen sie nur noch ein bisschen weiter entwickeln. Wir sind fast am Ziel.“

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Artikel von Alex Whiting

APA-SCIENCE CONTENT-KOOPERATION MIT HORIZON

Recherchen zu diesem Artikel wurden von der EU gefördert. Dieser Artikel wurde erstmals in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.