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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 07.08.2024, 11:40

Leichter atmen – von der Natur inspirierte Behandlungen könnten akutes Atemnotsyndrom lindern

Von der EU geförderte Forscher suchen in der Natur nach Inspiration, wie das akute Atemnotsyndrom, eine lebensbedrohliche Erkrankung, die jedes Jahr Tausende betrifft, behandelt werden kann.

APA/BIRDLIFE/JOHANNES HOHENEGGER
Vogellungen dienen der Forschung als Vorbild

Im Jahr 2014 behandelte Professor Kai Zacharowski, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Frankfurt in Deutschland, einen besonders komplizierten Fall eines Ebola-Patienten mit akutem Atemnotsyndrom. Als sich der Zustand des Mannes verschlechterte, griff Zacharowski zu einem neuen experimentellen Medikament – einem natürlich im menschlichen Körper vorkommenden Molekül (FX06) – von dem er hoffte, den Patienten stabilisieren zu können. Die Intervention wirkte. Ein Ergebnis, das sowohl fachlich inspirierend als auch persönlich erfüllend war. „Wir konnten das Leben eines Menschen, eines Vaters und eines Kollegen retten“, so Zacharowski.

Verbindung zur Pandemie

Diese Erfahrung kam Zacharowski einige Jahre später wieder in den Sinn, als die Covid-19-Pandemie ausbrach. Seine Abteilung im Krankenhaus war für die Behandlung der meisten Covid-19-Patienten in der Region Hessen in Deutschland zuständig. Dank der Finanzierung durch die EU wurde eine groß angelegte, länderübergreifende Forschungsinitiative ins Leben gerufen, um herauszufinden, wie dieselbe Behandlung verwendet werden könnte, um zu verhindern, dass die Covid-Infektion zu ihrer schwersten und lebensbedrohlichsten Form, dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS), führt. Das von Zacharowski geleitete COVend-Projekt begann mitten in der Pandemie im November 2021. Die Forscher setzten sich zum Ziel, die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) und der Systembiologie zu nutzen, um besser zu verstehen, wie FX06 bei einzelnen Patienten wirkt und seinen therapeutischen Wert als wirksames Medikament ohne bekannte Nebenwirkungen im Kampf gegen Covid-19 zu bestimmen. „Wir sind zuversichtlich, dass unsere Forschung beispiellose Einblicke in ARDS liefern wird“, erklärt Zacharowski.

Größere Reichweite

Die Mission des Forschungsteams endete damit jedoch noch nicht. Obwohl Covid-19 die Aufmerksamkeit auf diese sehr beängstigende Erkrankung lenkte, kann sie durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, darunter bakterielle oder virale Infektionen, Sepsis, Trauma, Operationen oder Bluttransfusionen. Sie kann auch durch das Einatmen von giftigen Dämpfen oder Flüssigkeiten verursacht werden. Derzeit gibt es keine wirksame Therapie für ARDS, und der Umgang mit dieser Erkrankung ist für die Intensivstationen schwierig. Die COVend-Forscher schätzen, dass in der EU jährlich zwischen 30.000 und 120.000 Fälle von ARDS auftreten und dass diese etwa 10 % aller Einweisungen in die Intensivpflege ausmachen. Die Erkrankung weist außerdem eine sehr hohe Sterblichkeitsrate im Krankenhaus von bis zu 45 % auf.

Akute Atemnot tritt auf, wenn sich Flüssigkeit in den Lungenbläschen (Alveolen) der Lunge eines Patienten ansammelt, wodurch diese sich nicht richtig mit Luft füllen können und kein Sauerstoff in den Körper gelangt – oft mit tödlichen Folgen. Patienten, die überleben, leiden häufig unter dauerhaften Narben in ihren Lungen. „ARDS ist eine verheerende Erkrankung, die nicht nur eine hohe Sterblichkeitsrate aufweist, sondern auch dazu führt, dass sich viele Überlebende nur langsam erholen“, sagt Zacharowski.

Natürlicher Schutz

FX06 ist ein im menschlichen Körper natürlich vorkommendes Proteinfragment, das sich an die Zellen bindet, die die Blutgefäße auskleiden, und so zu deren Schutz beiträgt. Das Medikament kann möglicherweise die mechanische Ursache von ARDS verringern – wenn Flüssigkeit aus sehr kleinen Blutgefäßen in das umliegende Gewebe, einschließlich der Alveolen, austritt. Das COVend-Forschungsteam hat erfolgreich die erste klinische Studie für die Anwendung von FX06 bei leichten und mittelschweren ARDS-Fällen zusammengestellt. Derzeit rekrutieren sie etwa 260 Patienten in Frankreich, Deutschland, Litauen, Rumänien und Spanien. Die Ergebnisse werden für Anfang bis Mitte 2026 erwartet.

Ziel ist es, herauszufinden, welche Patienten am meisten von einer Behandlung mit FX06 profitieren. Dazu erstellt das COVend-Team Profile von Hunderten von Molekülen im Blut der Patienten und untersucht mit Hilfe der künstlichen Intelligenz deren Rolle beim Krankheitsverlauf. „Dieses Molekül ist faszinierend, weil es auf so viele Arten eingesetzt werden kann“, sagt Dr. Petra Wülfroth, COVend-Innovationsbeauftragte und Chief Scientific Officer bei F4 Pharma, einem österreichischen biopharmazeutischen Unternehmen, das als Partner an dem Projekt beteiligt ist. Die durchgeführte Forschung könnte sich auch für mögliche zukünftige Pandemien als nützlich erweisen, da die Behandlung auf eine Erkrankung abzielt, die durch eine Vielzahl verschiedener Erreger ausgelöst werden könnte. „Mein Traum wäre es, dieses Molekül in der Intensivmedizin einzusetzen, wann immer die Durchlässigkeit kleiner Blutgefäße erhöht ist – eine potenziell lebensbedrohliche Situation.“

Atmen wie ein Vogel – oder wie ein Fisch

In Ermangelung einer wirksamen medikamentösen Behandlung erhalten ARDS-Patienten derzeit häufig Sauerstoff oder werden an ein Beatmungsgerät angeschlossen, um ihre Atmung zu unterstützen. In schweren Fällen kann ihr Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert werden, und zwar mit einer Technik, die als extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) bezeichnet wird. Diese Behandlungen können jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen für den Patienten haben. Bei der ECMO besteht das Risiko von Infektionen oder Blutgerinnseln, während der längere Einsatz eines Beatmungsgeräts das Lungengewebe schädigen kann. Professorin Margit Gföhler, die Biomechanik und Rehabilitationstechnik an der Technischen Universität Wien (TU Wien) in Österreich lehrt, leitet ein von der EU finanziertes Projekt namens BioMembrOS, das dreieinhalb Jahre lang bis Mitte 2027 laufen wird.

Zusammen mit ihrem Kollegen an der TU Wien, Michael Harasek, einem Spezialisten für chemische Verfahrenstechnik und Membranwissenschaften, koordinieren sie ein internationales Forschungsprojekt zur Entwicklung eines alternativen Atemhilfsgeräts, das sich an den natürlichen und hocheffizienten Atemmechanismen von Fischen und Vögeln orientiert. „Wir brauchen völlig andere Ansätze, wenn wir neue Geräte zur Atemunterstützung entwickeln wollen, die nicht die Probleme der aktuellen Optionen aufweisen“, sagt sie. Wenn wir atmen, gelangt der Sauerstoff von der Lunge über die Alveolen und ein Netz winziger Blutgefäße, die so genannten Kapillaren, in den Blutkreislauf. Gleichzeitig gelangt Kohlendioxid vom Blut in die Lungen, damit es beim Ausatmen aus dem Körper ausgestoßen werden kann. Dieser Prozess wird als Gasaustausch bezeichnet – und er ist bei ARDS stark beeinträchtigt, wenn die Alveolen überflutet sind. Der Gasaustausch ermöglicht es dem Körper, Sauerstoff nachzufüllen und Kohlendioxid auszuscheiden, was beides für das Überleben notwendig ist.

Neuartige Membran

Das BioMembrOS-Team, das Forscher aus Österreich, Deutschland, Italien, Portugal und Südafrika zusammenbringt, arbeitet an der Entwicklung einer neuartigen Membranstruktur, die auf dem strukturellen Design der Vogellungen basiert, die einen effizienteren Gasaustausch ermöglicht als die von Säugetiere. Sie werden auch bestimmte Aspekte der Kiemenatmung von Fischen berücksichtigen, insbesondere deren Oberflächenkontakt mit Flüssigkeiten. Die Idee ist, ein Gerät mit einer Membran zu entwickeln, die sowohl Kohlendioxid aus dem Blut des Patienten entfernt, während es hindurchfließt, als auch mit Sauerstoff anreichert. „Die Natur hat die effizientesten Lösungen für die Herausforderungen des Lebens entwickelt“, so Gföhler. „Indem wir die strukturellen und funktionellen Eigenschaften der am weitesten entwickelten Gasaustauscher übernehmen, werden wir eine radikal verbesserte Technologie schaffen.“

Das erste Ziel der BioMembrOS-Forscher ist es, einen kleinen, testbaren Prototyp dieser Membranstruktur zu entwickeln und ihre Effizienz in In-vitro-Bluttests zu überprüfen „Das langfristige Ziel wäre es, sie so effizient und klein zu machen, dass wir sie in den Patienten implantieren könnten“, sagt Gföhler, die hofft, dass Geräte mit ihren Membranen innerhalb des nächsten Jahrzehnts für Patienten verfügbar sein werden. Covid-19 mag dazu beigetragen haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das erhebliche Leiden zu lenken, das durch ARDS verursacht wird, aber die Herausforderung ist viel größer. ARDS tritt weltweit bei einer großen Anzahl von Patienten auf – und Atemwegserkrankungen sind die dritthäufigste Todesursache in der EU. Ob durch die Forschung an neuen Molekülmedikamenten oder die Verbesserung der Bauweise medizinischer Beatmungsgeräte: es muss mehr geforscht werden, um das Leiden der Patienten in aller Welt zu verringern. Die Natur könnte sich dabei als wichtiger Verbündeter erweisen.

Artikel von Barbara Pinho

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Die Forschung in diesem Artikel durch das Horizon-Programm der EU finanziert und im Fall von BioMembrOS auch durch den European Innovation Council (EIC). Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.