Circular City: Wie sich der Städtebau im Kreis drehen kann
Die Gebäude sind von so hoher Qualität, dass man sie gar nicht abbrechen möchte. Sie sind so klug geplant, dass man sie weiterbauen, bis aufs Tragwerk ausziehen kann und man dabei wie selbstverständlich Materialien verwendet, die vor Ort „geerntet“ werden. Zurückgegriffen wird dabei auf einen materiellen Ressourcenpass, der genauso gängig ist wie heute der Energieausweis. Diese Vision für das Jahr 2040 hat Bernadette Luger, wenn sie an Wien denkt. Noch gibt es aber einige Hindernisse.
Für zirkuläres Bauen seien drei Bereiche wesentlich, so die Leiterin der Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen in der Magistratsdirektion der Stadt Wien: Material, Dauerhaftigkeit und Rückbau. Bei ersterem gehe es darum, den energieintensiven Einsatz von Primärrohstoffen zu reduzieren. Das könne erreicht werden durch Einsparungen beim Material etwa im Leichtbau, durch die Nutzung von Sekundärrohstoffen oder von Re-Use-Bauteilen. Während beim Leichtbau und bei Recyclingbaustoffen schon viel erreicht worden sei – so kam beispielsweise beim Neubau einer Unterkunft für Mitarbeitende der MA 48 Recyclingbeton zum Einsatz –, gebe es bei der Wiederverwendung von Bauteilen durchaus Schwierigkeiten.
Markt für Re-Use-Bauteile fehlt noch
Da sich noch kein entsprechender Markt und keine Plattformen entwickelt hätten, gebe es zum Zeitpunkt der Planung keine Sicherheit darüber, dass diese Bauteile dann, wenn sie auf der Baustelle gebraucht werden, auch tatsächlich verfügbar sind. Zwar seien Pilotprojekte gestartet worden, wo mit großem Engagement Gebäude rückgebaut, Teile aufbereitet und wieder eingesetzt werden, die Beschaffung sei aber komplex und mit viel Aufwand verbunden. „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird, weil es sich auch ändern muss“, sagte die ausgebildete Architektin. Ein Thema sei auch die Haftung und Rezertifizierung von gewissen Bauteilen, „da fehlen uns noch gute Prüfroutinen und Prüfprozedere“.
Fortschritte gebe es „bei allem, was nicht statisch etwas können muss“, also etwa im Innenausbau. Bei abgehängten Decken und Doppelböden werde die Entwicklung von den Unternehmen selbst angetrieben, weil sich da schon Geschäftsmodelle entwickelt haben. „Die holen sich teilweise ihre Produkte zurück, bereiten sie entsprechend auf und führen sie wieder in den Markt ein. Das geht umso leichter, wenn es keinen pilothaften Charakter mehr hat, sondern schon Teil eines Prozesses ist“, erklärte Luger gegenüber APA-Science. Noch habe man hauptsächlich mit Gebäuden zu tun, die zu einem Zeitpunkt geplant wurden, als Kreislaufwirtschaft, etwa im Hinblick auf Trennbarkeit und Dokumentation, noch kein Thema war. Künftig sollte das einfacher werden.
Gebäude nutzungsflexibler gestalten
Mit dem zweiten Aspekt, der Dauerhaftigkeit und wie man sie in Qualitätssicherungsprozessen darstellen kann, würden sich Architektinnen und Architekten, Bauschaffende und Städte schon lange beschäftigen. Gebäude nutzungsflexibel zu gestalten und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung mitzuplanen, scheitere oft an Tragtiefen, Raumhöhen und Schächten. Andererseits gebe es bereits viele Möglichkeiten, alternative Tragwerke einzusetzen oder Grundrisse barrierefreier zu machen, um Nachnutzungskonzepte zu ermöglichen. Hier brauche es eine Bestandsaufnahme, was bereits gut gelingt und wie man das stärker verankern kann.
Bei der Rückbaubarkeit gehe es um eine neue Logik: Wie gehe ich mit dem Material um, damit ich es wieder verwenden kann? Egal, ob Umbau, Weiterbau, Sanierung – hier müsse sichergestellt werden, dass sich Dinge wieder lösen und trennen lassen. Die Technik sei nicht das Problem. „Kleben ist zur beliebtesten Verbindungsmethode geworden, nachdem Schichten, Schrauben, Nageln in den 70er Jahren quasi aufgegeben worden ist“, nennt Luger aktuelle Hürden. Gebäude müssten auch gut gewartet und repariert werden, damit es zu weniger Abbruch kommt. Und wenn doch, sollte das Material einem Wiedereinsatz zugeführt werden, der kein Downcycling darstelle.
Rufen nach einem kompletten Stopp von Abbrüchen kann die Expertin wenig abgewinnen: „In einer Stadt, die sich weiterentwickelt und wo sich Anforderungen verändern, wird man auch immer mal wieder abbrechen. Aber ich glaube, wir müssen gut und klug darüber nachdenken, wann ein Abbruch gerechtfertigt ist und wann nicht.“ Der Bestand sei keine Belastung, man müsse ihn nicht kreislauffähig machen, „außer wenn ich ihn angreife und etwas saniere, dann versucht man das nach diesen Regeln zu machen. Aber ansonsten geht es einfach darum, ihn gut zu pflegen und weiterzuentwickeln“.
Forschung schneller in die Praxis bringen
Unglaublich wichtig sei, dass sich Forschung, Unternehmen und Städte gut austauschen. Aktuell gebe es viel Input, es fehle aber sehr oft der nächste Schritt: „Wie bekomme ich das in ein Projekt? Gibt es Firmen, die das schon können? Wie komme ich von der Theorie in die Praxis? Aus meiner Sicht ist das die größere Herausforderung als der Forschungsbedarf. Wir brauchen anwendungsorientierte Lösungen und müssen diese Dinge rüberholen in die Praxis, dann schauen, was es braucht, und wieder rückkoppeln“, meint Luger, die auch das Programm „DoTank Circular City Wien 2020-2030“ leitet. Es gelte, schnell Geschäftsmodelle daraus zu entwickeln und in den Planungsprozessen unterzubringen.
Derzeit sei man mittendrin, ein Bewertungssystem im Hinblick auf zirkuläres Bauen zu entwickeln, das entlang von Kriterien und Indikatoren aufschlüsselt, welche Aspekte in Planung, Materialwahl, Verbindungen und Co. hier Einfluss nehmen und wie man eine Kreislaufführung sicherstellen kann. Dieser sogenannte Zirkularitätsfaktor (ZiFa), der in der Version 1.0 gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur (Boku) entstanden ist, soll künftig in der Praxis kritisch überprüft und so angepasst werden, dass diese Kriterien gut vorgeschrieben und nach außen gegeben werden können. „Wir schaffen Grundlagen, machen Piloten, ziehen daraus Erkenntnisse und verändern dann erst die Rahmenbedingungen – etwa die Bauordnung. Es ist wichtig, dass man an konkreten Bauprojekten – wie dem Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof – Dinge mal anwendet, bevor man irgendwo eine Regel theoretisch schreibt, die dann aber nicht umsetzbar ist“, so Luger.
Bis 2040 würden jedenfalls bei der Planung oder Sanierung eines Gebäudes alle Informationen, die es in sich trägt, digital vorliegen, blickt die Expertin in die Zukunft: „Es gibt einen Pass, aus dem hervorgeht, welche Ressourcen, welche Wertstoffe im Gebäude stecken und wie man damit umgehen kann. Sekundär-Bauteilbörsen und -Baustoffbörsen werden so selbstverständlich genutzt, dass man gar nicht mehr merkt, ob es eine Primär- oder Sekundär-Ressource ist. Man kann Fassaden oder den Innenausbau adaptieren und nimmt das nicht als Belastung wahr, sondern als einen extremen Wert, weil das, was schon da ist, einfach gut ist und weitergebaut werden möchte.“