„Das muss alles neu gedacht werden“
"Kreislaufwirtschaft ist eine neue Form des Wirtschaftens, die wir erlernen müssen, um in Zeiten des Klimawandels bestehen zu können. Der Bausektor ist sicher jener Sektor, der dafür von der größten Bedeutung ist", sagt Thomas Romm. Der Architekt hat soeben den Wettbewerb für einen richtungsweisenden Wiener Wohnbau gewonnen, ist Gründer von BauKarussell, einer Genossenschaft zur Weiterentwicklung der zirkulären Bauwirtschaft, und Mitautor der Studie "KreislaufBAUwirtschaft".
„‚Kreislaufbauwirtschaft‘ ist ein von mir erfundener Neologismus“, schmunzelt der 1965 in Deutschland geborene und seit 1985 in Wien lebende Architekt (www.romm.at), der bereits seine Diplomarbeit am Institut für Hochbau der Technischen Universität Wien dem Thema „Recyclinggerechtes Bauen“ widmete, im Gespräch mit der APA. Die 2021 im Auftrag des Klimaschutz-Ministeriums verfasste und vom Umweltbundesamt herausgegebene Studie identifizierte die wichtigsten „Hürden und Hebel“ für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen und floss in die im Dezember 2022 beschlossene nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie ein, mit der bis 2030 eine Ressourcenreduktion von 25 Prozent, bis 2050 von 50 Prozent angestrebt wird. Der derzeit weit über EU-Durchschnitt liegende Ressourcenverbrauch in Österreich soll bis dahin auf 7 Tonnen pro Kopf und Jahr reduziert werden. Romm: „Der exorbitante Ressourcenverbrauch muss ein Ende haben. Dabei ist das Bauwesen mit einem Anteil von 50 bis 70 Prozent ein maßgebender Faktor.“
Auch zur Reduktion von CO2-Emissionen
Auch bei der Reduktion von CO2-Emissionen sei das Bauwesen ein Schlüsselfaktor, „zumal die Mobilität auf einem klaren Weg ist. Technologisch ist das kein Wunder mehr, das zu vollbringen ist. Es gibt heute schon Konzepte, nach denen Gebäude mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Das ist nicht Zukunftsmusik, das bauen wir heute schon, auch im ganz normalen geförderten Wohnbau ist das möglich. Trotzdem ist es so, dass wir die embedded energy, also das in den Baustoffen gebundene CO2, erst durch solche positiven Betriebssysteme abbauen müssen. Klimapositivität wird daher in den innovativen Ausschreibungen nach 10-15 Jahren verlangt. Erst dann fängt ein Gebäude an, den Bestand zu verbessern.“
„Bauen im Bestand“ ist seit langem ein geflügelter Slogan der Branche, und nicht wenige Expertinnen und Experten fordern, auf Neubauten künftig gänzlich zu verzichten. „Die Ziele der Kreislaufwirtschaft sind unmöglich im Neubau zu schaffen. Der Bestand muss in die Gebäudeplanung integriert werden. Wir glauben, das richtige Wort ist: Weiterbauen. So ist der Gründerzeitbestand in Wien heute bereits fast überall ein- bis zweigeschossig aufgestockt.“ Sind nicht aber gerade die unzähligen Dachausbauten, die im Sommer nur noch mit Klimaanlagen auf erträglichen Temperaturen zu halten sind, ein Beispiel für Fehlentwicklungen? „Es stimmt: Das muss alles neu gedacht werden angesichts des Klimawandels. Auch das gehört zur Kreislaufwirtschaft: Die thermische Sanierung der Gebäude, die wir jahrelang nur auf den Winter bezogen haben, als thermisch-klimatische Ertüchtigung zu denken.“
Thomas Romm ist ein Fan von klaren Vorgaben, aber kein Freund starrer Regeln. „Klimaschutzziele wie das Pariser Abkommen erfordern ganz klar eine Klimagesetzgebung, die stufenweise auf Prozesse bezogene Emissionsgrenzen vorgibt. Dann kann sich die Wirtschaft daran orientieren. Der Weg dahin soll weitgehend frei bleiben.“ Dennoch würden ein paar radikale Änderungen im von Gesetzen und Verordnungen rundum normierten Bauwesen viel helfen, räumt er ein. „In unserer Studie beschweren wir uns etwa darüber, dass wir mit der wirtschaftlichen Abbruchreife im Grunde jede technische Instandsetzbarkeit eines Gebäudes außer Kraft setzen. Wenn ein Gebäudeeigentümer nachweisen kann, dass er mehr Geld verdient, wenn er das Gebäude abträgt, darf er das automatisch. Das müsste durch eine Komponente der CO2-Emissionen korrigiert werden. Das ist in vielfacher Hinsicht denkbar, in städtebaulichen Verträgen, in Bebauungsbestimmungen oder in der Bauordnung.“
Die Studie regt auch an, die bestehenden sechs Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB), die von „Mechanischer Festigkeit“ bis zu „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ reichen, mit einer siebenten Grundanforderung über „Nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen“ zu ergänzen. Ein entsprechendes Grundlagendokument für eine OIB7 wurde im Mai 2023 verabschiedet. Folgendes sei zu gewährleisten, heißt es darin: „a) Das Bauwerk, seine Baustoffe und Teile müssen nach dem Abriss wiederverwendet oder recycelt werden können; b) das Bauwerk muss dauerhaft sein; c) für das Bauwerk müssen umweltverträgliche Rohstoffe und Sekundärbaustoffe verwendet werden.“
Guter Fortschritt bei emissionsarmen Baustoffen
Bei der Entwicklung von emissionsarmen Baustoffen sei man bereits weit, sogar bei den vermeintlichen Haupt-Übeltätern, so Romm: „Beton ist im Bewusstsein der allgemeinen Bevölkerung ausgesprochen schlecht beleumundet und steht für das Belasten der Umwelt, für das Versiegeln, für zunehmende Hitze in der Stadt. Aber man muss das differenziert sehen: Beton ist und bleibt der Hauptbaustoff, mit dem wir arbeiten. Vor allem in unserer Infrastruktur: Autobahnbrücken werden noch lange nicht aus Holz sein, von Tunnels ganz zu schweigen. Da stehen wir vor einer gewissen Alternativlosigkeit. Alternativlos ist aber nur der Baustoff, nicht die Emissionen, die mit ihm verbunden sind. Wir arbeiten massiv an den Dekarbonisierungsmöglichkeiten, die erst ganz am Anfang stehen. Etwa durch Reduktion von Klinker im Zement, Füllstoffen im Beton oder Beigabe von technischem Kohlenstoff werden Möglichkeiten entwickelt, Beton komplett zu dekarbonisieren.“
Ein Schlüsselfaktor der Kreislaufbauwirtschaft ist die Nutzung der bebauten Stadt als Vor-Ort-Rohstoff-Lagerstätte, das „Urban Mining“. Das 2015 als Projektkonsortium gegründete und heute als Genossenschaft strukturierte BauKarussell gilt bei der Wiederverwertung von Industriebrachen als vorbildlich und hat auch soziale Komponenten in seine Aufgaben integriert.
„2012 haben wir mit der alten Lafarge Perlmooser Fabrik in Kaltenleutgeben erstmals ein großes Urban Mining Projekt gemacht. Dabei haben wir 80.000 Tonnen Abbruchmaterial für ein Wohnbauprojekt mit 400 Wohnungen verbaut. Da haben wir erst begonnen zu verstehen, mit welchen Aufgaben wir in der Kreislaufwirtschaft beim Bauen konfrontiert sind“, erzählt Thomas Romm. Ein Meilenstein war später der Rückbau der Produktionsstätte von Coca Cola an der Triester Straße und die Errichtung der Biotope City Wienerberg mit 600 Wohnungen. „Dort haben wir etwa in einem großen Umfang die Dämmplatten der Werkshallen wiederverwendet. Das haben wir immer weiterentwickelt – etwa für das Krankenhaus Oberwart. Materialien, wenn sie sortenrein getrennt sind, sind ein großer Wertschöpfungsfaktor.“
Wie's gehen kann
Vor wenigen Wochen hat Romm gemeinsam mit den Architekturbüros feld72 und Gerner Gerner Plus ein 400 Wohnungen sowie Kultur- und Sozialeinrichtungen umfassendes Projekt am Schrödingerplatz im Zentrum von Wien-Donaustadt gewonnen, bei dem ab 2027 ein Bau mit Referenzcharakter umgesetzt werden soll. „Das ist ein sehr großer Wohnbau, der sicherlich zur Ikone des leistbaren Wohnens im Klimaschutz werden wird. Das ist wichtig: unsere Umweltziele mit sozialen Zielen zu verbinden“, erklärt der Architekt.
„Der Schrödingerplatz war wirklich kein schöner Platz mit drei Brutalismus-Bauten, die schon sehr sanierungsbedürftig sind. Wir haben gesagt: Die Teile, die wir nutzen können, werden wir in unsere Planung integrieren und stehenlassen, und die Teile, die aufgrund der Widmung und der Baulinie nicht stehen bleiben können, werden wir weiterverwenden, an Dritte weitergeben oder so recyclieren, dass sie am Bauplatz Sinn machen.“ Dabei wird mit der Gruppe Materialnomaden zusammengearbeitet und dank „Reduce / Refuse / Re-Use“ eine 67-prozentige CO2-Reduktion versprochen: „1.000 Tonnen CO2 gespart, 13.000 Tonnen Beton wiederverwendet“, verheißen die Planungsunterlagen.
Stadtraum als CO2-Senke
Mitgedacht wird nicht nur die alternative Energieversorgung, sondern auch die Gestaltung der Umgebung, die ein echtes „grünes Grätzl“ werden soll. „Wir bauen sehr viel Recyclate als Schwammstadtsubstrat ein. Es sollten nicht nur Gebäude, sondern der gesamte Stadtraum perspektivisch CO2-Senken sein können. Das ist die Vision, die wir alle haben, und der wir auch immer näher kommen. Es ist technologisch möglich, und es lässt sich wirtschaftlich abbilden“, schwärmt Thomas Romm, der darauf hinweist, dass es nicht die Bauordnung, sondern nur das Engagement des Bauträgers Sozialbau ist, die solche auf Kreislaufwirtschaft setzende Projekte befördert. „Irgendwann fragt man sich natürlich schon, warum das alles nicht schon Gesetz ist. Aber wahrscheinlich ist es so, das man es noch drei-, vier-, fünfmal bauen muss, damit es dann von alleine funktioniert.“
Viel Zeit bleibe dafür allerdings nicht. „Um die Kippfaktoren im System zu verhindern, haben wir laut der Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb nur noch 15, 20 Jahre. Wir müssen also mit den Akteuren arbeiten, die wir jetzt haben: die Bauträger, die Baufirmen, die Produzenten. Und es ist nicht so, dass die nichts tun wollen. Sie müssen nur gefordert werden.“
Service: Studie „KreislaufBAUwirtschaft“ zum Download: https://go.apa.at/CvD7q5nY