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Mehr zum Thema / Stefan Thaler / Freitag 29.10.21

Der kleine Schritt vom Straßenlärm zum Meeresrauschen

Wasserfälle, Meeresrauschen und die Westautobahn: Von einem rein wissenschaftlich-technischen Standpunkt sind diese Signale sehr ähnlich. „Geräusche wirken auf uns aber diametral verschieden, abhängig vom Kontext. Für einen Komponisten ist das völlig logisch“, sagt Hannes Raffaseder. Was Künstler Wissenschaftern voraushaben und warum sich ein Brückenbau zwischen diesen beiden Welten lohnt, erklärt er im Gespräch mit APA-Science.
Foto: FH St. Pölten Raffaseder plädiert für einen stärkeren Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft

Bei Raffaseder sind technische Entwicklung und Musik eng miteinander verwoben. Er hat Nachrichtentechnik an der Technischen Universität (TU) Wien studiert, war aber gleichzeitig immer als Komponist tätig. Heute ist er Mitglied der Geschäftsführung und Chief Research & Innovation Officer der Fachhochschule St. Pölten. Sein Plädoyer: Sowohl Künstler als auch Wissenschafter müssen Grenzen überschreiten und die Elfenbeintürme, in denen sie oft leben, verlassen. Dann klappt es auch mit Innovationen.

Unterschiedliche Dinge – ähnliche Fragen

Wie das funktionieren kann, zeigt die Herangehensweise beim Sounddesign für Medien. „Wir haben ingenieurwissenschaftliche Fähigkeiten aus dem Studium und der Forschung mit tiefem Wissen über Komposition aus der musikalischen Tätigkeit kombiniert“, so Raffaseder. Unter anderem wurde versucht, künstliche Intelligenz einzusetzen, um die Komposition von Filmmusik zumindest teilautomatisieren zu können. Mit diesem Wissen ging es weiter in die nächste Branche – die Automobilindustrie. „Das sind völlig unterschiedliche Dinge, aber sehr ähnliche Fragen, die da gestellt werden, und zum Teil sehr ähnliche Werkzeuge“, erklärt der Experte.

Radikal verkürzt war die Frage „Wie wirkt Klang?“ der Ausgangspunkt. „Das interessiert den Komponisten, den Sounddesigner vom Film und den von der Automobilindustrie. Wie wirkt Klang und wie muss ich Klang gestalten, um dieses und jenes zu bewirken beziehungsweise zu kommunizieren?“, streicht Raffaseder hervor. Normalerweise würden sich diese Personen aber weder treffen noch austauschen. „Über diese Schiene habe ich gelernt, wie befruchtend das sein kann. Von der Kunst in die Wissenschaft und wieder retour.“ Hier zeige sich ein wichtiger Punkt, den die Kunst in Innovationsprozesse einbringt: Der offene Zugang und das Miteinander. „Als Musiker bin ich gewohnt mit meinen Kollegen zu spielen – in der Band oder im großen Orchester. Ich füge mich in den Gesamtklang ein. In der Wissenschaft ist mittlerweile auch viel Teamarbeit, aber nicht in dieser Intensität“, meint der leidenschaftliche Komponist.

Foto: FH St.Pölten/Wintersberger/Weiss
Wearable Theatre

 

Das Zusammenspiel von Kunst und Technologie beleuchtet auch das Forschungs- und Kunstprojekt „Wearable Theatre. The Art of Immersive Storytelling“ an der FH St. Pölten. Konkret wurde „Virtual Reality“ (VR) auf ihr dramatisches, narratives und strukturelles Potenzial untersucht. Im Gegensatz zum linearen Erzählen wie bei Film, Theater oder Literatur biete VR neue kreative Möglichkeiten für ein verstärktes empathisches Erleben von Geschichten.

 

Forscher und Medienkünstler loten in dem Projekt Grenzen aus, wie Geschichten im Zeitalter der Digitalisierung erzählt werden können. Durch das „experimentelle Medienlabor“ soll jedenfalls der Grundstein für das „Storytelling der Zukunft“ gelegt werden. Konkrete Umsetzungen gab es beispielsweise beim Festival „digitalnatives19“ im Volkstheater. Hier konnten Gäste entscheiden, ob sie ein theatrales Experiment mit der VR-Brille auf der Bühne, als Theatergast oder als digitale Zeugen von außen im Live-Stream erleben wollen.

Der Kontext macht die Wirkung

Aber zurück zur Frage „Wie wirkt Klang?“. Die Grundmechanismen sind laut Raffaseder relativ gleich, egal, ob es um ein Musikstück oder das Sounddesign für ein Auto geht. Der wesentliche Unterschied liegt im Kontext. „Schließlich macht es einen zentralen Unterschied, ob man im großen Saal des Musikvereins sitzt, in der Mercedes S-Klasse oder einem kleinen, billigen Auto. Das ist auch ein Bereich, wo die Wissenschaft relativ langsam erkennt, welche Bedeutung der Kontext hat. Künstler und Sounddesigner wissen das und diskutieren da gar nicht lange darüber.“

Beim Beispiel mit dem Meeresrauschen zeige sich, dass neben der Wechselwirkung zwischen visuellem und akustischem Stimulus gleichzeitig auch Möwenschreie oder Kinderlachen wahrgenommen werden, was natürlich zusammen wirkt. „Für einen Komponisten oder Sounddesigner ist das eigentlich völlig logisch, weil das genau das ist, wo der Komponist die Geige und die große Trommel zusammenführt“, so der Hochschulmanager. Ähnlich sei es, wenn es darum geht, den richtigen Sound für den Gurtwarner in einem großen Luxusauto zu designen.

Forschung schützt Kunst

 

Im Projekt SensMat beschäftigt sich ein internationales Konsortium mit der Entwicklung von kostengünstigen und benutzerfreundlichen Sensoren, Modellen und Entscheidungshilfen, die vor allem mittlere und kleinere Museen bei der präventiven Konservierung ihres Sammelbestands beziehungsweise ihrer Ausstellungsobjekte unterstützen sollen. Derzeit gebe es „einen Mangel an Humanressourcen und Fähigkeiten – geschultes Personal, Empfehlungen, Standards…“, so Alexander Bergmann vom Institut für Elektrische Messtechnik und Sensorik an der TU Graz. Außerdem würden erschwingliche „Expertenwerkzeuge“ fehlen.

 

Letztendlich sollen die Akteure künftig in Echtzeit über mögliche Gefahren für ihre Artefakte informiert werden. Fallstudien, etwa am Zeughaus in Graz mit seiner Sammlung mittelalterlicher Rüstungen und Waffen, sind im Laufen. Aktuell werden die unter realistischen Bedingungen erzielten Ergebnisse mit tatsächlichen Objekten des kulturellen Erbes ausgewertet. Beteiligt sind unter anderem auch das Institut für Materialprüfung und Baustofftechnologie an der TU Graz sowie das Universalmuseum Joanneum.

Youtube/Universalmuseum Joanneum

Wirtschaft zum Teil offener als Wissenschaft

„Da muss man sich zuerst vergegenwärtigen, in welcher Situation das stattfindet und wie das wirken soll. Im Designprozess fängt man immer damit an, dass man sich in die Situation begibt. Die Autohersteller haben ihre Teststrecken und da wurden wir dann ein, zwei Tage herumkutschiert, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das in den verschiedenen Situationen klingt. Das ist ein künstlerischer Prozess, der auch für die Wissenschaft sehr hilfreich wäre“, ist Raffaseder überzeugt. Künstler müssten mit Wissenschaftern reden und umgekehrt. Hier sei die Wirtschaft oft weiter als die Wissenschaft.

„Die Autohersteller wollten wissen, was sagt der Komponist dazu. Sie haben aber auch jemand gebracht, der die Sprache der deutschen Visionäre spricht. Verständigungsprobleme sind, glaube ich, die größte Herausforderung“, so der Experte. Es gebe immer wieder Musiker, die Wissenschafter sind, oder umgekehrt, aber normalerweise seien das unterschiedliche Kulturen, die sich wenig zu sagen haben, weil sie keine gemeinsame Sprache sprechen. „Da müssen Brücken und Begegnungszonen gebaut werden. Das versuchen wir auch mit APART als offener Plattform, die erst kurz vor dem Sommer mit sehr spannenden Partnern ins Leben gerufen wurde“, erklärt Raffaseder.

Foto: APA/AFP
APART

 

Die Initiative „APART – the Austrian Plattform for Art and Tech Thinking“ will eine intensive Interaktion von Kunst und (digitalen) Technologien fördern und künstlerische Erfahrungen mit (ingenieurs)wissenschaftlicher Expertise verbinden. Gegründet wurde APART von der FH St. Pölten gemeinsam mit anderen Institutionen wie Open Austria, KAT – Kreativwirtschaft Austria und Ars Electronica.

Ein Beispiel aus einem anderen Bereich ist die Forschung daran, ob die Medikamenteneinnahme zu einer anderen Tageszeit anders wirkt. „Für jemand, der aus der Kunst kommt, ist das völlig klar. Auch ein DJ Ötzi-Song kann auf der Skihütte nach dem einen oder anderen Getränk manchen Spaß machen. Am nächsten Tag unter normalen Umständen würde denselben Personen das womöglich völlig auf die Nerven gehen. Der Künstler weiß intuitiv, in welchem Kontext er seine Leute erreichen kann“, sagt der Musiker.

Bestimmten Fragen könne man sich rein wissenschaftlich nur sehr schwer annähern. So sei es beim EU-Projekt „3D Pitoti“ primär um die Erforschung von prähistorischen Steinfiguren im norditalienischen Tal Valcamonica in der Lombardei gegangen. Dass die Artefakte genau da und nicht woanders sind, habe mit einer besonderen akustischen Situation zu tun. So gebe es in dem Tal ganz bestimmte Echos an bestimmten Stellen. „Wie kann das geklungen haben und welche Erfahrungen haben die Personen vor 5.000 Jahren gemacht? Welche Instrumente hatte man und wie hat das geklungen? Diese Fragen entziehen sich einer heutigen wissenschaftlichen Methodik“, stellt der Manager fest.

Intensive Auseinandersetzung als Luxusgut

Leider sei die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema inzwischen ein Luxusgut geworden. „Das gilt auch für Kunst und Wissenschaft. Alles geht immer schneller. Alle sagen, wir machen das. Und plötzlich sind die Künstler Wissenschafter und die Wissenschafter Künstler. Wenn man vor 30 Jahren musizieren wollte, hat man jahrelang Klavier üben müssen. Heute kauft man sich einen Computer, drückt auf Play und glaubt, dass man der große Komponist ist“, so Raffaseder. Schon 1935 habe der Komponist Igor Strawinsky die Möglichkeiten der Schallaufzeichnung extrem faszinierend gefunden, aber befürchtet, dass sich die Menschen dann womöglich nicht mehr mit den Dingen auseinandersetzen und nicht mehr genau hinhören.

Die Verknüpfung von Kunst und Wissenschaft erlaube es, ins ein oder andere wieder tiefer vorzudringen. „Das wäre unsere Vision. Nicht im Sinne: Alle machen alles. Nicht alle Wissenschafter sind Künstler und umgekehrt. Jeder hat seine Stärken und wir finden Möglichkeiten, wie man sich austauscht, sich annähert und Dinge gut und gemeinsam weiterentwickelt. Diese Aktivitäten wollen wir forcieren.“

techArt – Kunstprojektreihe der TU Wien

 

Die von Anna und Andrei Pimenov gegründete Initiative techArt will den Dialog zwischen kunstinteressierten Wissenschaftern und Künstlern ermöglichen. Das erste Projekt fand im Jahr 2019 unter dem Titel techArt: Kunst im Labor statt und wurde von Ivan Chemakin aus Sankt Petersburg durchgeführt. Er hat Objekte angefertigt, die verschiedene Labore und Instrumente sowie die Gebäude der Technischen Universität (TU) Wien zeigen. Der Grundgedanke war herauszufinden, was Künstler beim Betreten eines wissenschaftlichen Labors sehen.

 

Im Oktober 2021 ist die Fortsetzung der Kunstreihe unter dem Titel „techArt: Karlsplatz anders“ geplant. Im Rahmen dieses Projektes werden zwei Gäste, Irina Roon aus Sankt Petersburg (Russland) und Tinatin Chkhikvishvili aus Tiflis (Georgien), an die TU Wien eingeladen, um verschiedene Kunstwerke rund um den Karlsplatz anzufertigen. Die Ausstellung findet von 29. bis 31. Oktober 2021 im Festsaal der TU Wien statt.

Zwei Gemälde aus der Serie Optik Labor von Ivan Chemakin im Rahmen von techArt Kunst im Labor. Foto: Ivan Chemakin

"techArt: Karlsplatz anders"

Einladung zur Vernissage - Idee und Umsetzung: Anna und Andrei Pimenov

Irina Roon “Löwenbrücke, St. Petersburg“

Tinatin Chkhikvishvili Alte Tbilisi“

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