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Mehr zum Thema / Hermann Mörwald / Donnerstag 24.11.22

Der Mensch und das Digitale

Die Grenze zwischen virtueller und analoger Welt verläuft längst nicht mehr trennscharf. „Was ist der Stellenwert des Menschen und wie kann man humanistische Ansprüche in dieses ‚Mega-System‘ adaptieren“, ist eine zentrale Frage des Digitalen Humanismus. APA-Science hat mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gesprochen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Foto: APA/dpa

„Humanismus ist bekanntlich nichts Neues. Das gilt auch für den digitalen Raum. Womit wir derzeit jedoch wieder konfrontiert sind, ist ein unglaublicher Technokratismus, der auf rein technologisch getriebene Lösungen auch für soziale Probleme setzt “, erläutert Katja Mayer vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien und Ko-Autorin der Studie „Akteure, Instrumente und Themen für eine Digital Humanism Initiative“.

„Der Digitale Humanismus ist deswegen ein großes Thema, da er sich mit dem Wechselspiel zwischen Mensch und Computer, der Beschreibung und Analyse dessen, aber auch der Möglichkeit der menschlichen Intervention beschäftigt“, erklärt wiederum der Informatiker und ehemalige Dekan der Fakultät für Informatik an der Technischen (TU) Universität Wien, Hannes Werthner. Werthner ist einer der Hauptinitiatoren und Autoren des „Wiener Manifests für Digitalen Humanismus“, das 2019 aus einer ursprünglichen Zusammenarbeit der TU Wien mit dem Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) entstanden ist.

Technologie ist nicht neutral

Die Idee des Digitalen Humanismus – Menschen und ihre Werte ins Zentrum der Technologieentwicklung zu stellen – gebe es also schon lange, etwa darin, „dass man Technologie immer als Sozio-Technologie betrachtet“, erklärt Mayer. Es dürfe nicht aus den Augen verloren werden, dass Technologie nicht neutral sei, denn „technology is society made durable“, zitiert die Wissenschafterin den französischen Philosophen Bruno Latour. „Technologie kann nicht neutral sein, denn in ihr sind bereits viele Entscheidungen eingebaut. Entscheidungen, die in der Evolution der Technologie und auf Basis des Kontexts, in dem Technologie entwickelt worden ist, getroffen wurden. Da stecken schon soziale und politische Entscheidungen drinnen“, so die Wissenschafterin.

Technologie sei daher niemals vom Menschen und Kontext ihrer Entwicklung unabhängig, sie könne sich aber verselbständigen, und in unintendierter Weise wirken, man denke nur an die vielen Verzerrungsprobleme in algorithmischen Entscheidungssystemen, erläutert Mayer weiter. Davon ausgehend blicke der Digitale Humanismus bereits auf eine lange Tradition der kritischen Informatik, Wissenschaftsforschung und Technikfolgenabschätzung zurück.

Massive Dynamik

Der Computer hat sich verändert von einer einzelnen Rechenmaschine zu einer weltweit vernetzten „Mega-Maschine“, die teilweise unsichtbar ist (IoT etc.), wodurch das Internet eine enorme Dynamik entwickelt hat. „Diese Quantität schlägt in eine Qualität um“, ergänzt Werthner.

Die Vermessung und die Klassifizierung in Stereotype des Einzelnen passiere schon lange, verweist er auf Empfehlungssysteme und Optimierungs-Algorithmen. Durch die Mega-Maschine sei die Möglichkeit geschaffen worden, riesige Mengen an Daten zu sammeln, wodurch Vorhersagen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit getroffen werden können, was die Nutzerin oder der Nutzer tun werde.

Das Internet sei ursprünglich hauptsächlich gedacht als Plattform zur demokratisch-partizipativen Informationsteilung – die Vision des „empowered citizens“. „Mittlerweile sind wir von der Bürgerin, dem Bürger, zur Nutzerin, zum Nutzer geworden. Die Kaufsicht dominiert“, erläutert Werthner. Das gehe noch weiter, „wir sind auch das Produkt und werden schließlich Produzentin und Produzent, indem wir durch unsere Netz-Interaktionen Daten über uns generieren.“ Das werde schließlich von den diversen Netz-Unternehmen entsprechend genutzt. „Wir sind also sowohl Nutzerin und Nutzer, als auch Konsumentin und Konsument, Produkt und Produzentin und Produzent dieses Produkts“, fasst Werthner zusammen.

Aber auch als „politische Figur“ der digitalen Welt sei man Konsument, eben politischer Konsument. Der Mensch sei vom aktiven, partizipativen Teilnehmer, der bewusst Information im Netz teilt, zu einem quasi entmündigten Konsumenten geformt worden.

Digital Commons

Bei der Idee des Digitalen Humanismus komme in der Debatte meist die Idee der „digital commons“ (digitales Gemeingut ) zu kurz, meint Katja Mayer. Dabei müsse grundsätzlich verstanden werden, dass gewisse Dinge nicht profitmaximiert funktionieren, sondern anderen sozialen Maßstäben gehorchen. Darunter werde verstanden, „dass es eine Basis an Wissen – Wissensgüter – geben muss, die wir uns alle frei teilen.

 

Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Wikipedia, mit all seinem Nutzen aber auch Problemen. Gerade jetzt könne man anhand von Twitter beobachten, wie Profitmaximierung bei sozialen Plattformen, die sich als demokratische Kommunikationsforen verstehen, auch an die Grenzen stößt. Es brauche wesentlich mehr offene Infrastrukturen, meint die Expertin und nennt als Beispiel das Internet, „das auf ganz viel freier Software aufbaut und sonst in der heutigen Form nicht existieren

Frage der Verantwortung

Eine der zentralen Fragen heute ist für Mayer, wie man in Zeiten zunehmender Automatisierung mit Verantwortung umgehen soll, und damit bereits in der Technologieentwicklung soziale und gesellschaftliche Werte besser mitdenken kann. Es müsse von Anfang an darauf geachtet werden, dass Technologien das humane Wertefüge nicht verletzen: „Was offline gilt, gilt auch online.“

Hier hakt auch Werthner ein: „Digitaler Humanismus kommt derart ins Spiel, dass letztlich der Mensch Agent seines eigenen Lebens ist, der selbst entscheidet. Technologie soll nicht ‚Alles‘ sein.“ Dafür verweist er auf das Thema der Plattformökonomie, wo die großen Player den Trend vorgeben und die Systeme in der Hand haben, die unser Verhalten steuern. „Genau hier muss und kann eingegriffen werden. Deshalb gibt es den Digitalen Humanismus“, meint Werthner, der sich aber gleichzeitig gegen jeden Kulturpessimismus gegenüber den digitalen Errungenschaften ausspricht. „Da passiert auch viel Gutes.“ Daher bedeute Digitaler Humanismus auch, dass man technische mit sozialen Innovationen kombiniere.

Transdisziplinäre Räume

Digitaler Humanismus ist ein Prozess. „Deshalb machen wir bei „The Digital Humanism Initiative“ ständig Veranstaltungen dazu, haben eine Summer School, ein Buch zum Thema mit über 230.000 Downloads und vieles mehr. Außerdem ist er bereits im österreichischen und Wiener Regierungsprogramm niedergeschrieben“, so der Informatiker. Der Digitale Humanismus wirke fachübergreifend und führe Informatiker, Juristen, Historiker, Sozial- und Wirtschaftswissenschafter zusammen.

Mayer wiederum ortet beim Digitalen Humanismus ein Problem darin, dass es immer zu noch wenig transdisziplinäre Räume gibt, wo sich etwa Unternehmen mit Wissenschaft, Politik aber auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren auseinandersetzen können. Das wäre immens wichtig für einen breiten Diskurs. Daher brauche es neue, partizipativere Ansätze, aber auch entsprechende Förderschienen. „Wir müssen bereits bestehende Bestrebungen und Menschen, die sich mit dem Thema auf den diversen Ebenen beschäftigen, so zusammenzubringen, dass sie nachhaltig arbeiten können“, verweist sie auf die Wiener Studie (siehe auch: „Wien setzt auf Digitalen Humanismus: „Souveränität zurückgewinnen„).

Leitmotiv der Wiener Studie

„Wir wollten wissen, was gibt es schon, wer engagiert sich bereits, auch wenn es nicht unter dem Label ‚Digitaler Humanismus‘ läuft wie etwa die Arbeit der vielen auch international bekannten Wiener Datenschutzforscherinnen und -forscher und -aktivistinnen und -aktivisten. In Wien existiert laut Mayer bereits eine sehr starke „community of practice“ in sehr vielen Themenbereichen, der man unter die „Arme greifen sollte, um die Themen rund um den Digitalen Humanismus in die Höhe zu bringen“.

Besonders die öffentliche Verwaltung und die Unternehmen sollten sich mehr mit dem Thema Digitaler Humanismus auseinandersetzen. Es sollten gemeinsam Anreize geschaffen werden, menschliche Werte und komplexe Verantwortungsstrukturen bereits in der Technologieentwicklung zu berücksichtigen.

„Wir beobachten nicht nur einfach und verzweifeln, sondern wir wollen agieren und eine neue Sicht auf die digitale Welt anstoßen.“ Hannes Werthner, Informatiker und ehemaliger Dekan der Fakultät für Informatik der TU Wien

„Wir beobachten nicht nur einfach und verzweifeln, sondern wir wollen agieren und eine neue Sicht auf die digitale Welt anstoßen“, umreißt Werthner den Ansatz, den er und andere „digitale Humanisten“ verfolgen. Das bewege sich von der wissenschaftlichen Betrachtung hin zur Technologienentwicklung bis auf die politische Ebene. Die EU habe bereits reagiert, wie man am „The Digital Markets Act“, dem „The Digital Services Act“ und der Regulierung von AI sehen könne (siehe dazu auch „Wie digitale Stereotype aus der Welt geschafft werden sollen“). „Es gibt Fortschritte“, sieht Werthner Bewegung in die Diskussion gekommen. So würde auch der WWTF mit seinem Fördercall „Roadmaps Digitaler Humanismus“ stark in die Richtung einer Stärkung der Idee arbeiten.

Regulierung alleine ist zu  wenig

Regulierung allein sei aber zu wenig, weiß der Wissenschafter: „In Europa müssen wir aufpassen, nicht nur die besten Juristen zu haben, sondern sollten auch in der Forschung und bei Marktinnovation dabei sein.“ Ein Problem ortet er in der Innovationsgeschwindigkeit und der  Umsetzung auf dem Markt. Hier brauche es die Politik, denn man sei bei der Positionierung von Produkten und Services von amerikanischer Software und – „überspitzt gesagt“ – chinesischer Hardware abhängig. Werthner ergänzt: „Neben Regulierungen müssen wir (Europa) also ganz stark auch Technologieentwicklung betreiben und auf den Markt bekommen. Der F&E-Bereich muss gepusht werden.“ Besonders im Bereich Software hinke Europa noch schwer hinterher.

Letztendlich sei der sorgsame Umgang mit der digitalen Welt eine technische, eine wissenschaftliche, eine politische, aber auch eine Bildungsfrage. Werthner, der die digitale Bildung an den Schulen vermisst, dazu: „Wir schicken die Menschen nicht in die Schule, dass sie besser arbeiten können. Es gibt ja den einfachen Bildungsauftrag, Menschen auszubilden, damit sie selbstständig, rational reflektiert entscheiden können.“

Generell müsse das Bewusstsein über die technischen und technologischen Entwicklungen, und die möglichen Gefahren dadurch auf allen Ebenen noch viel breiter werden, „denn wir sind noch lange nicht am Ende der Entwicklung“, verweist der Wissenschafter auf Entwicklungen „jenseits von Cloud Computing und IoT“.  „Die Digitalisierung ist und bleibt ein permanenter Prozess. Wie man damit umgeht, ist eine hochpolitische Frage“, meint Werthner.

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