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Mehr zum Thema / Anna Riedler / Donnerstag 08.04.21

Der Traum von einem Bionik-Studium

Wer wie APA-Science Physiker Christian Teissl von der Destination Wattens Regionalentwicklung GmbH fragt, was man für eine Karriere in der Bionik können muss, erhält eine schier endlose Liste: Biologie ist wichtig, aber Physik auch. Chemie spielt viel mit. Auf die mechanische und technische Seite dürfe man aber ebenfalls nicht vergessen. Zusätzlich braucht man Interesse an der Natur, die Fähigkeit, „out of the box“ zu denken, und natürlich eine große Menge Neugier.
Verena Nagl

Kein Wunder also, dass Studiengänge zu Bionik in Österreich nicht zu finden sind. Wer beispielsweise auf Studium.at nach dem Stichwort „Bionik“ sucht, bekommt unter anderem Architektur, Sports Technology oder Zoologie vorgeschlagen.

Nicht einschränken lassen

Auch ein Blick in die Vergangenheit bringt lediglich ein einziges Ergebnis: Mit „Bionik/ Biomimetics in Energy Systems“ bot die FH Villach bis vor einigen Jahren einen eigenen Master zu dem Thema an, dieser wurde jedoch aufgrund von zu geringer Teilnehmerzahl aufgelassen. „Bionik ist ein sehr anspruchsvolles Gebiet“, so Teissl. „Um es professionell ausüben zu können, muss man sehr viel wissen. Es ist meiner Meinung nach nicht zielführend, zu früh Einschränkungen zu machen.“ Eine Spezialisierung wie der Fokus auf Energietechnik „schränkt nach zu sehr ein. Das sollte ich erst machen, wenn ich den Studierenden eine Vorbildung ermöglicht habe.“

Diese Vorbildung umfasst nicht nur fachliche Kompetenzen in den typischen MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), sondern vor allem eine bestimmte Art, die Welt zu sehen. „Man muss umdenken, kann die Natur nicht einfach kopieren“, erklärt Teissl. „Es ist kein reines Abschauen“, sondern ein Lernen, Verstehen, Abstrahieren und Transformieren. Denn: Was die Natur z.B. auf mikroskopischer Ebene tut, kann nicht einfach in Zentimeter-Ebene umgesetzt werden, weil hier andere physikalische Gesetze gelten.

Der Traum vom Studium

2017 startete Teissl an der FH Kufstein mit „Bio-Inspired Engineering“ den Versuch, einen berufsbegleitenden Master ins Leben zu rufen. Dieser sollte, angelehnt an die Definition von Bionik-Begründer Werner Nachtigall, den Studierenden alle Teilgebiete anbieten, „damit sie sehen können, was die Natur in ihrer vollen Breite zu bieten hat, und sie dann in Resonanz mit einem Thema kommen“, auf das sie sich spezialisieren können.

„Bionik als Wissenschaftsdisziplin befasst sich systematisch mit der technischen Umsetzung und Anwendung von Konstruktionen, Verfahren und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme. Dazu gehören auch Aspekte des Zusammenwirkens belebter und unbelebter Teile und Systeme sowie die wirtschaftlich-technische Anwendung biologischer Organisationskriterien.“ Werner Nachtigall (* 7. Juni 1934)

„Nur einen Teilaspekt der Bionik beibringen zu wollen, erscheint vielleicht leichter“, ist sich Teissl sehr wohl bewusst. „Aber nur weil es leichter ist, muss es nicht der richtige Weg sein. Es gibt zu viele Möglichkeiten in der Natur, die interessante Ideen liefern könnten.“ Im Endeffekt reichten die ersten Bewerber leider noch nicht, um die Kosten zu decken. „Der Break Even der Geschäftsführung war etwas darüber, deshalb hat der Studiengang nicht stattgefunden“, bedauert Teissl.

Designing Future Realities: Kunst trifft Technologie

Zurzeit ist er in seiner Rolle als Technologie- und Bildungsverantwortlicher der Destination Wattens Regionalentwicklung GmbH auch als einer von zwei wissenschaftlichen Leitern für den Universitätskurs „Designing Future Realities“, ein postgraduales Bildungsangebot der Universität Innsbruck, tätig. In einem interdisziplinären Ansatz werden hier Fachgebiete wie Kunst, Design und neue Technologien miteinander vernetzt (beispielweise in einer Vorlesung zu Oribotics, einer Kombination von Origami und Robotik), um Lösungen „out of the box“ zu entwickeln.

Künftig könnte in diesen Kurs auch ein eigenes Bionik-Modul eingebunden werden. „Spannend genug und sinnvoll wäre es. Aber die reale Welt tickt halt anders.“ Den Traum von einem Bionik-Studium gibt Teissl dennoch nicht auf.

Bis es so weit ist und es „eine breite, bionische Ausbildung gibt, würde ich empfehlen, ein solides naturwissenschaftliches Studium zu machen“, so Teissl. Ob man die Sache von der biologischen oder eher der technischen Seite angehen wolle, sei eine Liebhaberfrage, abhängig von den eigenen Interessen.

Blick über die Grenze

Auch in Deutschland ist die Auswahl beschränkt, Bionik als eigenes Studium wird aber zumindest an vier Hochschulen angeboten: An der Hochschule Bremen (sowohl als Bachelor- als auch als Masterstudium); an der Westfälischen Hochschule (B.Sc.); an der Hochschule Rhein-Waal (M.Sc.); und in etwas spezialisierter Form unter dem Namen „Materialdesign – Bionik und Photonik“ (B.Sc.) an der Hochschule Hamm-Lippstadt.

Unter falschem Namen

 

Nicht nur Studierende, auch Unternehmen bräuchten einen langen Atem. „Bionik ist etwas sehr langfristiges“, meint Teissl. Von der Identifizierung über die Idee dauere es mehrere Jahre bis zu einem Prototyp, und dann nochmal ein paar Jahre bis zur Marktreife. „Diesen langen Atem haben Unternehmen häufig nicht, auch wenn es sich auf lange Sicht oftmals rechnen würde.“

 

Obwohl die Bionik noch ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet ist, gibt es bereits eine steigende Anzahl bionischer Produkte. Bei vielen wisse man es lediglich nicht. Teilweise unbewusst, teilweise vielleicht auch „gezielt“, würden viele unter einem anderen Etikett verkauft. „Jeder redet über künstliche Intelligenz, aber was ist das anderes als klassische Bionik?“ Neuronale Netze – die Funktionsweisen des Gehirns – wurden mittels Computer-Programmen in digitale Netzwerke umgewandelt, die Mechanismen seien ähnlich wie jene, mit denen Tiere und Menschen lernen. „Aber redet irgendwer davon, dass das Bionik ist?“

 

Dabei habe es vor einigen Jahren einen kleinen Hype gegeben, die geweckten Erwartungen wurden aber unter anderem wegen der langen Entwicklungsdauer nicht zeitnah genug erfüllt  und jetzt „können viele das Wort schon gar nicht mehr hören.“ Die Bionik ist aktuell mehr in den Untergrund abgetaucht.

"Designing Future Realities"

Der Kurs „Designing Future Realities“ der Universität Innsbruck in Kooperation mit der Destination Wattens Regionalentwicklung GmbH richtet sich an Studierende mit einem Bachelor-Abschluss. Absolventen erhalten ein Certificate of Advanced Studies sowie 30 ECTS, die sie sich auf den geplanten Master anrechnen lassen können.

 

https://designingfuturerealities.com/de/

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