Experte: Waldnutzung und Klimaschutz kein Widerspruch
Die Holznutzung stark reduzieren und den Wald als CO2-Speicher nutzen – Klimaschutz kann so einfach sein. Ist es aber nicht. Berechnungen zeigen, dass der heimische Wald bei einem stärkeren Temperaturanstieg langfristig sogar zur CO2-Quelle wird und eine nachhaltige Waldbewirtschaftung durchaus mit ökologischen Zielen vereinbar ist.
Ein sehr starkes Zurückfahren der Nutzung des Waldes hat – für den Laien unerwartete, wenngleich nicht unlogische – Konsequenzen. So wird Holz für gewisse Produkte fehlen, die aber trotzdem nachgefragt und deshalb aus anderen Materialien hergestellt werden. Dadurch gelangt zusätzlich fossiler Kohlenstoff in die Atmosphäre. „Beispielsweise ist der Dachstuhl dann aus Stahl, der Sessel aus Aluminium und Holzhäuser, die aktuell sehr gefragt sind, eher aus Beton und Ziegel“, erklärte Thomas Ledermann vom Institut für Waldwachstum und Waldbau am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) im Gespräch mit APA-Science. Er war an der Studie Care4Paris beteiligt, für die Waldentwicklungen modelliert und verschiedene Szenarien – bis zum Jahr 2150 – durchgerechnet wurden.
„Wir Forstwirte müssen ja in sehr langen Zeiträumen denken und da sind 130 Jahre schon eher kurz“, verwies Ledermann auf Maßnahmen und Entwicklungen, die erst sehr spät eine bestimmte Wirkung zeigen. Um es vorweg zu nehmen: Die Treibhausgasbilanz des heimischen Waldes wird zukünftig deutlich schlechter ausfallen. In der für Experten nahen Zukunft – gemeint sind die kommenden 30 bis 100 Jahre – nimmt der im Holz gespeicherte Kohlenstoff-Vorrat zwar noch zu, letztendlich wird der Wald aber durch höhere Temperaturen und die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zu einer CO2-Quelle. „Was den Klimawandel betrifft, habe ich den Eindruck, dass in der aktuellen Diskussion sehr viel dem Wald umgehängt wird. Nutzen oder nicht nutzen? Das löst die Klimaprobleme auch nicht. Der große Hebel liegt in unserem Lebensstil“, so der Fachmann.
Ersatzmaterialien haben größeren CO2-Fußabdruck
Aber zurück zur Studie: Wird weniger Holz genutzt, um nachgefragte langlebige Produkte zu erzeugen, weisen die Ersatzmaterialien „durchbilanziert“ einen wesentlich höheren Ressourceneinsatz auf. „Zwar ist Holz ja auch nicht 100 Prozent CO2-neutral – die Maschinen werden mit Diesel-Öl angetrieben –, aber vergleichsweise wird durch die Herstellung von einer Tonne Stahl oder Beton wesentlich mehr Kohlenstoff aus fossilen Energieträgern in die Atmosphäre gepumpt“, erklärte Ledermann. Langlebige Holzprodukte sind also ein zusätzlicher Kohlenstoff-Speicher und haben durch ihre Substitutionswirkung einen positiven Effekt auf die Treibhausgas-Bilanz, der je nach Szenario bis zum Doppelten der Senkenleistung beträgt.
Laut den berechneten Szenarien wird sich dieser Beitrag aber sukzessive verringern, weil Einsatzmöglichkeiten, Produktlebensdauer und Rohstoffangebot begrenzt sind. Auch der Kohlenstoff-Fußabdruck der Ersatzprodukte sinkt mittelfristig, weil auch in den anderen Sparten der Anteil an erneuerbaren Energieträgern steigt. Bei Care4Paris, das vom Klima- und Energiefonds gefördert wurde, habe man diese Entwicklung schon berücksichtigt. Anzumerken sei, dass die beleuchteten Szenarien zu „Was wäre wenn?“-Aussagen führen und definitiv keine Prognosen darstellen.
Reduktion der Waldnutzung erhöht Schadholzanteil
Was sich in der Studie auch zeigt: Wenn man die Waldnutzung zurückfährt, steigt der Schadholzanteil, weil die Bestände überaltern. Sie werden höher und sind beispielsweise von Sturmereignissen wesentlich stärker betroffen. „Auch im unbewirtschafteten Wald gibt es auf- und abbauende Prozesse, die sich langfristig und über einen größeren räumlichen Bereich die Waage halten. So ein Wald ist dann weder Senke noch Quelle, also mehr oder weniger ein Nullsummenspiel. Man braucht sich ja nur die Reste in den heimischen Urwäldern anschauen: Da liegt jede Menge Totholz herum, das umgeworfen wurde oder abgestorben ist“, so Ledermann.
Aus Sicht des Waldbesitzers seien kräftige Durchforstungen empfehlenswert, um die einzelnen Bäume stabiler zu machen – zum Beispiel gegen Schneebruch. „Dann werden sie dicker, vitaler, haben mehr Harz, längere Kronen und mehr Niederschlagswasser zur Verfügung. So kann man die nicht mehr so geeigneten Fichtenbestände noch retten“, schlägt der Experte vor. Wenn man den verbleibenden Bäumen mehr Platz gebe, erreiche man früher ein verkaufsfähiges Sortiment, was den Durchmesser der Bäume betrifft. So könnte die durchschnittliche Produktionsdauer, die in Österreich bei 100 Jahren liegt, verkürzt werden. Für die CO2-Bilanz sei dieser Ansatz weniger zuträglich, weil jüngere Bestände weniger Vorrat aufweisen.
Senkenleistung nur von begrenzter Dauer
Was praktisch alle Szenarien gemeinsam haben, ist der Wandel des Waldes von der CO2-Senke zur CO2-Quelle. Nur der Zeitrahmen, in dem das passiert, variiert je nach Bewirtschaftung. Werden die Bäume früher geerntet, reduziert man also das Endnutzungsalter, ist das schon in etwa 15 Jahren der Fall. Beim Vorratsaufbau durch eine geringere Nutzung dauert es immerhin noch rund 90 Jahre. Bei den meisten Szenarien nimmt die Senkenleistung bis 2070 zu, dreht dann aber rasch in Richtung CO2-Quelle.
„Auf einer gegebenen Fläche kann der Wald nicht ewig eine Senke sein. Irgendwann ist der Vorratsaufbau vorbei – auch dann, wenn man ihn komplett aus der Nutzung nimmt. All das, was der Wald vorher aus der Atmosphäre gebunden hat, gibt er, wenn man das Holz verrotten lässt, wieder zurück“, erläuterte der Forstwirt. In der Diskussion vorausschicken müsse man, dass der Wald jetzt nur deshalb eine so großartige Senke sein kann, weil er davor Jahrhunderte lang übernutzt wurde. „Früher war ja der Hauptenergieträger Holz. In die Residenzstadt Wien ist von überall das Holz herangekarrt worden – aus dem Böhmerwald und den Kronländern. Paradox ist, dass gerade die Kohle, also der Umstieg auf die fossilen Energieträger, sozusagen der Retter des Waldes war“, so Ledermann.