Naturstoffe und Recycling sollen Bauwirtschaft nachhaltiger machen
"Derzeit entwickle ich mit Kollegen Skier und Trekkingstöcke aus Hanffasern auf hohem technischen Niveau", erklärte die Innsbrucker Materialwissenschafterin Valentine Troi im Gespräch mit APA-Science. Die Wirkung solcher "kleineren Produkte" auf nachhaltige, klimafreundlichere Wirtschaft ist aber recht überschaubar, gibt die Forscherin zu: "Die Königsdisziplin ist sicher die Bauwirtschaft", sagte sie: "Schlicht und einfach wegen der großen Massen, die dort umgesetzt werden."
Deshalb will sich Troi, die am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften der Universität Innsbruck arbeitet, in Zukunft vermehrt Baustoffen aus Naturfasern widmen – zum Beispiel Paneelen aus gepressten Hanfstängeln. „Mithilfe unserer Technologie kann man kritische Materialien in Werkstoffen, wie die Kunststoffe PET (Polyethylenterephthalat) und PUR (Polyurethan), sowie Importholz wie Balsa durch das nachhaltige Naturmaterial Hanf ersetzen“, so die Forscherin.
Dämmung mit Hanf
„Stand der Technik“ sind Hanffasern bei verschiedensten Varianten von Häuserdämmungen, berichtete Troi. „Das funktioniert prinzipiell ganz ausgezeichnet, und es gibt schon einige Anbieter dafür.“ Ihr breiter Einsatz scheitert aber am Preis: „Wir hoffen natürlich, dass sich das in Zukunft ändert.“ In der Automobilindustrie wäre aktuell zu sehen, dass bei zu hohem CO2-Verbrauch in Prozessen und Produkten Steuern den Einsatz von fossilen Rohstoffen verteuern. Dies könnte auch bei Baumaterialien eine Angleichung der Preislage bewirken, erklärte sie: „Wenn man wiederum mit den Naturstoffen als Rohstoffe in die Masse kommt, werden auch sie günstiger in der Herstellung.“
Aus Hanfschäben, also dem „Leichtholz“ von Hanfpflanzen und Bindemittel werden außerdem sogenannte Hanfkalk-Produkte, wie zum Beispiel Ziegel hergestellt, so die Expertin. Man verwendet ihn etwa als dämmenden Füllstoff für Holzriegelkonstruktionen. Es gibt sogar Ziegel mit Hanf, die gleichzeitig dämmen, füllen und Last mittragen. „Man kann sie aufeinanderstapeln und muss sie nicht massiv vermörteln“, sagte Troi: Dadurch könnte man das Ganze irgendwann wieder abbauen und irgendwo etwas anderes damit konstruieren. Hier würden „schon einige Aspekte der Kreislaufwirtschaft wirklich hervorragend umgesetzt“, meint sie.
Pilzfäden dämmen und verstärken
Milena Stavric vom Institut für Architektur und Medien der Technischen Universität Graz testet in einem Forschungsprojekt, wie man mit den fadenförmigen Fortsätzen von Pilzen, den sogenannten Myzelien, Bauelementen wie Ziegeln aus Ton zu mehr Stabilität verhelfen kann. Die Myzelien würden in den Ton hineinwachsen und damit quasi eine „Mikroarmierung“ schaffen, die sehr große Auswirkungen hat, erläuterte Stavric: „Das bedeutet auch, dass man den Ton dann nicht immer brennen muss, und viel Energie sparen kann. Man weiß, dass Ton auf Druck sehr gute Eigenschaften hat, mit der Armierung durch Myzelien kann man auch die Zugfestigkeit verbessern.“
Wenn die Pilzmyzelien in den Ton hineinwachsen, stabilisieren sie ihn nicht nur, sondern hinterlassen auch poröse Strukturen, berichtete Stavric: „Diese Poren bleiben sogar erhalten, wenn der Ton gebrannt wird und könnten als eine zusätzliche Wärmedämmung funktionieren.“ Bis die Pilzmyzelien tatsächlich Bauwerke dämmen und stabilisieren können, ist aber noch viel Forschung nötig, so die Expertin: „Wir arbeiten derzeit mit Materialproben von nur mehreren Zentimetern Größe und untersuchen genau, was die Pilzmyzelien so alles können.“ Im Labor und in der Natur würden die Pilze gut wachsen und ihre Fortsätze bilden. „Die große Herausforderung ist aber, wie man dies auf großen Maßstab übertragen kann, und welche Arten dafür am besten geeignet sind“, sagte sie.
Naturstoffe wachsen oft unterschiedlich
Bei allen Naturstoffen, die irgendwo wachsen und gedeihen, kann zum Problem werden, dass sie das im schlimmsten Fall jedes Jahr ein bisschen anders tun, berichtete Troi: „Vor allem, wenn man sie in der Landwirtschaft ökologisch und regenerativ anbaut.“ Massiv gedüngter Hanf würde zwar ähnlich gerade wachsen, wie man es bei so vielen Maisfeldern sehen kann, und Stängel bilden. Weil diese aber in der Regel als Reststoffe angesehen werden und starke Düngung für die Hanfsamen nicht so wichtig ist, wird mit Dünger eher sparsam umgegangen. „Das heißt, es gibt bezüglich der Stängel je nach den Bedingungen mal gute Jahre mit viel Ertrag, und schlechte mit wenig“, so die Materialforscherin. Eine einheitliche Qualität könne man aber dennoch erreichen, und zwar, indem man mehrere Jahrgänge mischt.
Haltbarkeit erwünscht und erreichbar
Von als „nachhaltig“ deklarierten Materialien wird oft in erster Linie erwartet, dass sie biologisch abbaubar sind, erklärte Troi: „Dies muss man meiner Meinung nach aber je nach Anwendung kritisch hinterfragen. Wir wollen ja nicht, dass sich zum Beispiel Skier und Trekkingstöcke rasch wieder auflösen.“ Dies wäre bei Einwegverpackungen zwar sehr erstrebenswert, aber nicht bei Baustoffen- und Gebrauchsartikeln. „Ein möglichst hoher pflanzlicher Anteil bei hoher Lebensdauer der Produkte soll hier im Vordergrund stehen“, sagte sie. Technisch wäre dies kein Problem.
Am Bau müssen die Materialien mindestens 30 oder 50 Jahre halten, so Troi: „Das heißt, sie sind in der Zeit gute CO2-Speicher.“ Sie dürfen dabei nicht verrotten oder mit Feuchtigkeit Probleme bekommen. Viele bereits markteingeführte Produkte würden aber mittlerweile beweisen, dass dies auch mit gewachsenen Materialien möglich sei. Nicht zuletzt sehe man das ja auch beim Einsatz von Holzwerkstoffen. „Eine Holzfassade aus unbehandelten Latten altert zwar, das passiert aber so langsam, dass sie ihren Zweck über die Zeit hervorragend erfüllen kann“, erläuterte die Wissenschafterin.
„Bei einem Life Cycle Assessment (Analyse des Lebenszyklus, Anm.) eines Gebäudes, das wir vorgenommen haben, ist eine überraschende Tatsache zutage gekommen“, sagte Stefan Kain vom Department Design and Green Engineering der Fachhochschule Salzburg: „Die technische Gebäudeausstattung, also zum Beispiel Schalter, Verrohrungen und Ähnliches machen zwar nur rund ein Prozent der gesamten Baumasse aus, tragen aber zwölf Prozent von deren Klimalast.“ Biobasierte Materialien könnten hier eine Verbesserung bringen, meint er.
Kreislauffähige technische Gebäudeteile
Momentan verwende man dafür verschiedenste erdölbasierte Kunststoffe: Zum Beispiel ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol), Polyethylen (PE) und Styrole wie Polystyrol. „Im Forschungsprojekt CircularBioMat suchen beziehungsweise entwickeln wir biobasierte Materialien, die man ersatzweise verwenden könnte“, so Kain: „Anschließend analysieren wir zum Beispiel, wie einfach die Rohstoffe zu gewinnen sind, und wie gut man sie mit den zur Verfügung stehenden Verfahrenstechniken, wie Spritzguss, Extrusion (durch eine Düse oder formgebende Öffnung pressen, Anm.) und 3D-Druck verarbeiten kann.“ Außerdem wird untersucht, was man mit dem Material oder dem hergestellten Produkt tun kann, wenn es am Ende seines Lebenszyklus angelangt ist.
„Wir wollen auch bilanzieren, wie die Materialien abschneiden, wenn sie zwei oder drei Mal den Recyclingprozess durchlaufen haben“, sagte er. Die Performance sollte nicht schlechter sein als bei den aktuell verwendeten erdölbasierten Materialien. Sie sollen mindestens gleichwertige physikalische und chemische Eigenschaften besitzen, und genauso beständig sein.
Ausgangsmaterialien gäbe es verschiedenste, zum Beispiel Rest- bzw. Abfallstoffe aus Land- sowie Forstwirtschaft. Daraus könnte man zum Beispiel biobasiertes (Polyethylen und Polymilchsäure herstellen, und ihre erdölbasierten Pendants ersetzen. „Erstens verwenden wir dazu Materialien von Projektpartnern, die bereits kommerziell erhältlich sind“, berichtete Kain: „Die zweite Richtung ist, dass wir die Materialien selbst herstellen.“ Drittens würden die Forscher käufliche oder selbst produzierte Materialien mit Additiven (Zusatzstoffe, Anm.) versehen, sodass die Eigenschaften für ihre Zielobjekte passen.
Unterschiedlichste Materialanforderungen
Die nötigen Materialeigenschaften sind oft sehr unterschiedlich, teils müssen sie für den Außenbereich UV-beständig sein, teils Hitze aushalten, und manchmal größere mechanische Belastung, so Kain. Bei einem Lichtschalter seien die Anforderungen an das Material eher geringer Natur. Bei Hochleistungsrohrsystemen für den Wassertransport, wo sehr hohe Druckbeständigkeit vonnöten ist, sehe die Sache schon ganz anders aus. „Die Materialien müssen auch über Jahrzehnte ihre Eigenschaften beibehalten“, sagte er. Auch hier würden Additive meist Abhilfe schaffen.
„Die Krux, vor der wir im Wesentlichen momentan stehen, ist der Preis“, erklärte der Experte: „Die biobasierten Materialien sind aufgrund der geringen Anfrage deutlich teurer, als die erdölbasierten.“ Es bräuchte also vor allem in der Anfangsphase entsprechende Unterstützung, damit die Industrie auch bereit ist, umzusteigen. Technisch wäre dies überhaupt kein Problem.
„Die ersten Versuchsreihen, die wir jetzt bereits umgesetzt haben, zeigten, dass man mit den gebräuchlichen Verarbeitungsanlagen problemlos biobasierte Materialien verarbeiten kann“, so Kain. Die Ergebnisse sind gleichwertig: Man bekommt Produkte, die in ihrer Form ident sind. Je weniger umfangreich der Anforderungskatalog ist, umso rascher können die biobasierten Bauteile breitere Anwendung finden. Ein Lichtschalter aus biobasierten Kunststoffen wäre schon heute problemlos verwendbar. Bei anderen Produkten braucht es umfangreiche Tests, bis man sie sorgenfrei einsetzen kann, erklärte Kain: „Dann ist auch hier gewährleistet, dass der Endverbraucher keine Nachteile dadurch hat.“
Nachholbedarf beim Recycling
Beim Recyceln gibt es am Bau noch sehr viel Nachholbedarf, sagte Herbert Claus Leindecker vom Center of Excellence Energie der Fachhochschule Oberösterreich in Wels: „Oft passiert nur klassisches Downcycling. Häufig ist leider noch immer für viele Bauteile beim Abbruch die letzte und vorletzte Stufe, nämlich Verbrennung und Deponierung, die Lösung.“ Beides müsse in Zukunft obsolet werden. Langfristig soll es gar keinen Abfall mehr geben, stattdessen sollten die Bauteile und Materialien wieder verstärkt gleich- oder höherwertig verwendet werden. „Die Autobauer sind hier schon viel weiter und überlegen tatsächlich, schon jetzt, was in Zukunft etwa mit den alten Akkus von Elektroautos passiert“, erklärte er: „Im Gebäudebereich hinken wir da nach.“
Beim Recyceln problematisch sind die vielen Verbundstoffe, die am Bau eingesetzt werden. Zum Beispiel bei der Dämmung seien Wärmeverbundsysteme aktueller Standard und beliebt, weil sie hinsichtlich Energieeinsparung ganz gut funktionieren. „Man kann damit quasi eine Hülle über ein Gebäude ziehen, um den Energieverbrauch zu verringern“, so Leindecker: „Die Krux ist aber, dass man die Materialien dieses Verbundsystems nicht mehr sauber trennen kann.“ Fassaden mit trennbaren Komponenten wie etwa Holzschalungen auf Holzunterkonstruktionen mit Hinterlüftung schneiden aus Sicht der Kreislauffähigkeit besser ab, meint der Experte. Man könnte die Einzelteile problemlos auseinandernehmen und allesamt wieder verwenden. Solche Konstruktionen wären zwar aufwendiger zu errichten und damit teurer, aber dieses Problem ließe sich lösen, wenn der Aufwand entsprechend gefördert und unterstützt wird. „Der staatliche Einfluss muss hier deshalb sehr groß werden“, sagte Leindecker: „Das wird er durch aktuelle und kommende Vorgaben der Europäischen Union wohl auch werden müssen.“
Digitalisierung soll Wiederverwendung vereinfachen
Auch die Digitalisierung soll beim Recycling von Baustoffen und Gebäudeteilen große Dienste leisten, allerdings mit Verspätung, erläuterte Leindecker. Mithilfe von Building Information Modeling (BIM) könnten seit gut zehn Jahren alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst werden. Auch das Bauwerk als Ganzes wird dabei virtuell visualisiert und geometrisch dargestellt. „Wir haben alle geglaubt, das ist jetzt die Lösung, um Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft bewältigen zu können“, so der Experte: „Der Meinung bin ich immer noch, aber es wird noch länger dauern, weil BIM nicht durchgängig in Verwendung ist, und in der Praxis und im Detail noch große Probleme macht.“
In Zukunft würde es einen digitalen Produktpass für Gebäude geben. „Jedes Teil bekommt dann, vereinfacht gesagt, einen Code, den man bei der Wiederverwendung berücksichtigen kann“, so der Experte: „Dazu braucht es freilich auch Datenbanken, wo die wiederverwendbaren Produkte verzeichnet sind, damit man auch tatsächlich darauf einfach zugreifen kann.“ Dann hätte man quasi eine Börse, wo man zum Beispiel zehn Fenster in einer bestimmten Größe findet, die entweder direkt passen, oder zumindest dann, wenn man den Planungsentwurf noch ein wenig abändert.
Auch für die „Abbruchwirtschaft“ sieht Leindecker großes Potenzial. Vor allem ältere Gebäude haben oft den Vorteil, dass sie sehr einfach gebaut sind, also fast nur aus Ziegel, Holz und Fensterglas bestehen. „Zum Beispiel die Gründerzeithäuser in Wien haben eine gute Bausubstanz“, erklärte er: „Sie sind beliebt, man kann sie gut sanieren oder entsprechend unproblematisch abreißen.“ Nicht ganz so einfach wäre es mit Gebäuden, die ungefähr ab 1970 entstanden sind. „Hier wurden die ersten Wärmedämmverbundsysteme verwendet, problematische Anstriche und Schindeln mit Asbest“, so der Experte: „Davon ist also sehr viel Sondermüll.“
Mehr Praxiserfahrung vonnöten
Grundsätzlich weiß man in der Forschung und Technik, wie man kreislauffähig bauen könnte, sagte Leindecker. Es wäre aber noch viel Forschungsarbeit und Anwenderwissen erforderlich, wie sie in der Praxis tatsächlich umsetzbar ist und vor allem wirtschaftlich funktioniert. Derzeit könnte man nur einzelne Musterbeispiele mit hohen Förderungen oder im Rahmen von Forschungsprojekten realisieren. „Das große Problem ist, wie man in die Breite kommt“, erklärte er. Man müsse noch viel Erfahrung sammeln, damit die Kreislaufwirtschaft am Bau in Zukunft überall rund läuft.