apa.at
Mehr zum Thema / Jochen Stadler / Donnerstag 01.02.24

Wie KI die medizinische Diagnose und Therapie verbessert

Künstliche Intelligenz (KI) wird nicht müde, Hunderttausende Ultraschallscans zu bewerten, feinste Knochenbrüche und seltene Erkrankungen zu erkennen. In welchen Bereichen Computeralgorithmen die Medizin sonst noch unterstützen, erklären Fachleute gegenüber APA-Science.
Credit: Monika Skolimowska/dpa/picturedesk.com Wichtige Hilfe im klinischen Alltag

Medizinisch trainierte Computeralgorithmen werden in Österreich in zahlreichen Forschungsprojekten entwickelt oder sind schon im Alltag in der Klinik und bei Patientinnen und Patienten im Einsatz. Ihren Einzug in die Medizin verdanken sie drei Entwicklungen, sagt Clemens Heitzinger von der Fakultät für Informatik und dem Center for Artificial Intelligence and Machine Learning (CAIML) der Technischen Universität (TU) Wien: Erstens sammeln Medizinerinnen und Mediziner schon seit Jahrzehnten Daten zum Forschen und Vergleichen, wie zum Beispiel Bilder von Gewebeproben, Knochenbrüchen und Laboranalyse-Aufzeichnungen. Teilweise liegen sie in gut strukturierter Form vor und sind von hoher Qualität.

Auch die Anzahl und Größe der Datenbanken wächst ständig. Deshalb kann man sie nun zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz verwenden. Zudem stehen heutzutage Rechenkapazitäten (unter anderem in Form von Grafikkarten, was besonders wichtig für medizinische Bilder ist) zur Verfügung, die mit riesigen Datenmengen umgehen können. „Drittens hat man auch bei den Algorithmen Fortschritte gemacht“, so Heitzinger: „Wir programmieren und berechnen heute ganz anders, als man es vor fünf Jahren getan hätte.“

Der Neurochirurg Georg Widhalm brachte KI am Universitätsklinikum von AKH Wien und der MedUni Wien an den Operationstisch. „Bei der Biopsie oder Entfernung von Tumoren im Gehirn oder dem Rückenmark kann damit eine Gewebeanalyse viel rascher erfolgen, und somit können chirurgische Entscheidungen viel schneller und sicher getroffen werden“, erklärt er. Während man bei der klassischen neuropathologischen Schnellschnitt-Befundung rund eine halbe Stunde wartet, währenddessen der Patient in Vollnarkose am Operationstisch (beispielsweise bei Biopsien) liegt, funktioniert dies mit dem digitalen Histologiegerät, das Gewebeproben scannt und auch mittels KI analysiert, innerhalb von ungefähr drei Minuten.

"In 99 Prozent der untersuchten Fälle gab es eine Übereinstimmung der digitalen Histologie mit der konventionellen Histologie." Georg Widhalm vom Universitätsklinikum für Neurochirurgie von AKH Wien und MedUni Wien

„Vor allem bei älteren Menschen ist die Narkose meist eine große Belastung. Durch diese neue Technik kann die Eingriffszeit und damit die Narkosedauer zum Beispiel bei Biopsien deutlich reduziert werden“, sagt der Chirurg. Die Diagnosen des „digitalen Mediziners“ sind sehr verlässlich: „In 99 Prozent der untersuchten Fälle gab es eine Übereinstimmung der digitalen Histologie mit der konventionellen Histologie entsprechend einer wissenschaftlichen Studie an der MedUni Wien“, berichtet er.

Die neue Maschine zeigt aber nicht nur einfach die Tumorart an, sondern erstellt auch die hochauflösenden, digitalen Bilder, die zur Befundung durch die Neuropathologie herangezogen werden können. „Wir sind aber noch nicht in der Phase, dass wir uns nur auf die KI verlassen und es wird auch in Zukunft erfahrene Mediziner brauchen, die die Ergebnisse in den richtigen Zusammenhang bringen. Eine zusätzliche Analyse der herkömmlichen Gewebeeigenschaften wird derzeit immer zur Bestätigung der KI-Analysen durchgeführt“, sagt Widhalm.

Michael Giretzlehner (Credit: RISC Software GmbH)
Letztverantwortung liegt beim Menschen

„KI ist ein Werkzeug, das den Medizinerinnen und Medizinern zusätzliche Informationen gibt, um ihre Entscheidungen zu optimieren“, so Michael Giretzlehner vom Department Medical Informatics der RISC Software GmbH in Hagenberg (OÖ): „Wir wissen aber, dass KI-basierte Systeme grundsätzlich Fehler enthalten können.“ Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt sollte sie demnach keine kritischen Entscheidungen alleine treffen. Die letzte Verantwortung bei Diagnose oder Therapie bleibt also nach wie vor den menschlichen Fachleuten überlassen.

 

„Bei künstlicher Intelligenz sind statistische Verfahren oft zentrale Bestandteile“, erläutert Sten Hanke vom eHealth Institute an der Fachhochschule (FH) Joanneum in Graz: „Sie kann daher nichts herauslesen, was nicht statistisch in den Daten zu erkennen ist.“ Demnach ist die Qualität der Daten, mit der sie trainiert wird, ausschlaggebend, wie kompetent sie diagnostiziert und Therapien vorschlägt. In der Regel passiert dies mit „Supervised Learning“. „Man legt dem Algorithmus etwa Hunderttausende Ultraschallscans oder andere Bilder vor, wo zum Beispiel Tumore von Medizinern markiert wurden“, so Hanke. Das System lernt daraufhin, Krebsgeschwüre eigenständig mit einer probaten Wahrscheinlichkeit zu erkennen, wenn man ihm neue Bilder vorlegt.

"Bei der Bildanalyse sind die KI-Systeme den Menschen schon weit überlegen." Clemens Heitzinger von der Fakultät für Informatik und dem Center for Artificial Intelligence and Machine Learning der TU Wien

„Bei der Bildanalyse sind die KI-Systeme den Menschen schon weit überlegen“, berichtet Heitzinger: „Wenn man sie richtig trainiert, übertreffen sie die menschlichen Fähigkeiten schon längst.“ Egal, ob es sich um Röntgenfotos subtiler Knochenbrüche, Bilder von Hautveränderungen oder seitenweise EEG-Scans handelt, können diese laut vieler Studien sicherer und effizienter von Computeralgorithmen als von menschlichen Experten ausgelesen und gedeutet werden.

So unterliegt etwa die manuelle Bewertung und Vermessung von Röntgenbildern verschiedenen Einflussfaktoren, berichtet Stefan Nehrer vom Zentrum für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems: „Stress im klinischen Alltag, Ermüdung oder Unachtsamkeit können das Ergebnis beeinträchtigen.“ In Röntgenbildern sind fünf Megabyte Daten verfügbar. „Trotzdem werden sie nach wie vor visuell subjektiv auf einem Bildschirm bewertet, ähnlich wie vor hundert Jahren“, so der Mediziner: „Die geschätzte radiologische Fehlerrate liegt bei vier bis dreißig Prozent.“ Bei einer Milliarde Röntgenbildern im Jahr würden demzufolge etwa 40 Millionen fehlerhaft diagnostiziert.

Zum Beispiel bei der Vermessung von Hüften ist eine möglichst standardisierte und reproduzierbare Messung für gute Therapieerfolge ausschlaggebend. Hier wurde gezeigt, dass KI im Vergleich zu Menschen gleich gut oder besser abschneidet. Auch bei der Vermessung der Beinachse auf Röntgenaufnahmen erreicht sie eine höhere Genauigkeit. „Als unterstützendes Werkzeug kann KI die Arbeitslast in der diagnostischen Praxis reduzieren, indem sie routineorientierte Aufgaben übernimmt“, meint er: Gleichzeitig verbessere sie die Qualität durch Standardisierung der Beurteilung. „Doch menschliche Validierung ist nach wie vor unerlässlich, um die klinische Sicherheit zu gewährleisten“, so der Experte.

Tilmann Kluge (Credit: AIT/Zinner)
Maschinen fehlt Allgemeinwissen

Immense Datenmengen müssen zum Beispiel auch bei EEG-Aufnahmen beim Befunden durchgesehen werden, um Anzeichen für Epilepsie zu erkennen, erklärt Tillmann Kluge von der Forschungsabteilung Medical Signal Analysis am Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien: „In der klinischen Praxis werden EEG-Segmente standardmäßig nacheinander in 15-Sekunden-Schritten visuell inspiziert. Bei 24-stündigen Aufzeichnungen sind das zirka 5.760 Bildschirmseiten an EEGs.“ Solche Arbeit lässt man freilich gerne einen Computeralgorithmus ausführen, um sie anschließend „nur mehr“ zu kontrollieren und zu verifizieren.

 

„Diese Anwendungen haben aber alle einen sehr engen Bereich, wo sie gut funktionieren“, sagt Harald Kittler von der Universitätsklinik für Dermatologie der Meduni Wien: „Wenn man diesen Bereich verlässt, entstehen sehr schnell Fehler, manchmal auch dumme Fehler.“ Den Maschinen fehlt Allgemeinwissen, wie die Welt funktioniert, sagt auch Giretzlehner: „Ein rein aus Daten trainiertes KI-System weiß zum Beispiel nicht einmal, ob ein Mann schwanger sein kann – ja oder nein.“ Deshalb braucht es eine „Person am Ende, die sich auskennt“, so Kittler: „Das heißt, man muss immer die Kombination zwischen KI und dem Menschen validieren, der sie bedient.“

 

 

Im Team kann künstliche und natürliche Intelligenz dann aber effizienter, genauer und sicherer arbeiten, als ein Mensch alleine. Vor allem im niedergelassenen Bereich bekommen viele Medizinerinnen und Mediziner beispielsweise naturgemäß selten Besuch von Personen mit seltenen Erkrankungen, und haben dementsprechend kaum Erfahrung in ihrer Diagnose und Therapie. Ein System, das an Tausenden oder einer Million Fälle weltweit trainiert wurde, könne hier aber helfen und eine Diagnosemöglichkeit vorlegen, so Giretzlehner. „Auch als Patientin oder Patient ist es ein Vorteil, wenn man sich nicht nur auf die Meinung eines einzigen Arztes verlassen muss, so gut er auch ist, sondern in dessen Praxis zusätzlich quasi den KI-Arzt mit enormer Erfahrung zur Verfügung hat“, sagt Heitzinger.

Während die KI in der Diagnose schon anhand vieler Projekte beforscht und eingesetzt wird, steht sie in der Therapie den Patientinnen und Patienten seltener zur Verfügung. Doch auch hier gibt es schon große Fortschritte. So konnte ein internationales Medizinerteam querschnittgelähmten Personen mithilfe von Elektrostimulations-Implantaten dazu verhelfen, dass sie aufstehen und einfache Gehbewegungen durchführen können. Die „gewollten“ Bewegungen dazu errechnet Künstliche Intelligenz.

Feindosierung der Insulinzufuhr mittels KI

In Österreich haben Kinderärzte und -ärztinnen der Medizinischen Universitäten Innsbruck, Graz und Wien mit dem von der Europäischen Union gesponserten Wissenschaftsprojekt Kidsap ein KI-Steuersystem für Glukosesensoren und Insulinpumpen getestet, berichtet Sabine Hofer von der Universitätsklinik für Pädiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck . Es führt Kindern so viel Insulin ins Blut zu, dass sie im passenden Zielbereich für den Blutzuckerwert liegen. „Durch die Feindosierung der Insulinzufuhr mittels KI werden die Glukosewerte genauer und längere Zeit im Zielbereich gehalten“, sagt sie.

„Die Rückmeldungen von Familien, die an der Studie teilgenommen haben, waren auf persönlicher Ebene sehr bewegend: Eltern berichteten über eine deutliche Zunahme der Schlafstunden und der Schlafqualität, weil die Glukosekontrolle in den Nachtstunden von der KI so effizient war, dass sie selbst nicht ständig aufstehen mussten, um bei Ihrem Kind Kontrollen durchzuführen“. Auch die Zeit, die Kinder und Eltern für das Diabetesmanagement pro Tag aufwenden mussten, konnte deutlich reduziert werden. „Die psychosoziale Verbesserung der Lebensqualität für Familien wurde von allen Familien beschrieben“, berichtet die Medizinerin.

Um die Sicherheit zu gewährleisten, müssen KI-Anwendungen überprüft und zertifiziert werden, wenn sie in der Klinik oder Arztpraxis verwendet werden sollen. Sie gelten dann als Medizinprodukte und unterliegen somit dem Medizinproduktegesetz.

Stichwörter