Wiederverwenden statt zerstören: Fixe Elemente aus dem Baukasten
Oft übersteigt die Lebensdauer von Materialien die Nutzungsdauer von Gebäuden, in denen sie verbaut sind. Sie zerstörungsfrei herauszulösen und wiederzuverwenden, ist allerdings meist nicht möglich. Forscher zeigen in Projekten am Beispiel von Ziegel und Holz, dass dies sehr wohl möglich ist. Knackpunkt sind vor allem innovative Verbindungslösungen.
Der Wiederverwendung ganzer Ziegelwände widmet sich derzeit ein Konsortium rund um die TU Graz und den Baustoffkonzern wienerberger. Ziel ist, die Kreislaufwirtschaft in den Hochbau reinzubringen, indem fixfertige Teile inklusive Oberfläche so gestaltet werden, dass sie sowohl fest miteinander verbunden, aber auch zerstörungsfrei gelöst und damit mehrfach eingesetzt werden können. „Wir wollen vermeiden, dass jedes Mal ein Abbruch stattfindet, recycelt oder überhaupt deponiert werden muss“, erklärt Hans Hafellner vom Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau an der TU Graz gegenüber APA-Science.
Um die Lebensdauer von Ziegeln von der des Gebäudes zu entkoppeln, sind unter anderem zerstörungsfrei lösbare Verbindungen notwendig. Hier arbeitet das Team an einer Lösung für die unterschiedlichen Fugen. „Man kann sich das grob vorstellen wie eine Gummidichtung bei einer Autotür, wo das Metall auch nicht direkt miteinander verbunden ist, und man unzählige Male auf und zu machen kann“, so Hafellner. Das sollte an der Fassade auch optisch ansprechend umgesetzt werden. Außerdem müsse eine vertikale Fuge andere Anforderungen erfüllen als eine horizontale, eine Fuge im Sockelbereich andere als direkt unter dem Dach, wo sie Schlagregen nicht so ausgesetzt ist.
Neuartige Beschichtung statt Verputz
Ein wichtiger Punkt bei den Ziegelfertigteilwänden sei auch die Oberflächenbeschaffenheit. Vor allem bei Gewerbe- und Industriebauten müsse möglicherweise gar kein Putz zur Anwendung kommen, wenn beispielsweise PV-Paneele installiert werden und so Schlagregen-, Wind- und Luftdichtheit sowie Diffusionsoffenheit oder -geschlossenheit sichergestellt sind. Geplant sei jedenfalls der Einsatz einer neuartigen Beschichtung, die diese Bedingungen auch erfüllt, aber kein Verputz ist. „Sie wird sehr, sehr dünn aufgebracht und übersteht den Transport ohne Risse oder andere Schäden“, sagt der Experte.
Bei der Größe der Fertigteile könne man variieren. Im aktuellen Projekt „REUSE Ziegelwand“, das von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördert wird, fokussiere man sich auf Industrie- und Gewerbebauten mit relativ kurzer Nutzungsdauer, wie Verbrauchermärkte. Durch eine einfache Verkleinerung des Rasters sei das System aber direkt auf Wohnbauten ummünzbar. Prädestiniert für den Einsatz wären beispielsweise Verkaufszentren mit verschiedenen Verkaufseinheiten. „Das lässt sich dann einfach verkleinern oder erweitern, indem einzelne Elemente weggehoben, in ein Lager oder direkt auf die nächste Baustelle transportiert oder dazu gehoben werden – etwa wenn ein Discounter eine Pfandflaschenrückgabe anbauen will“, erläutert Hafellner.
Wichtig sei auch das Qualitätsmanagement, also dass das gebrauchte Fertigteil nach Rückbau, Transport und Wiederaufbau wieder dem entspricht, was die Anforderung aus statischer oder bauphysikalischer Sicht ist, „so wie bei einem gebrauchten Auto“. Zudem werde daran gearbeitet, wie man die Ökobilanz und die Kosten eines solchen Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus berechnen könne. Das sei einfach, wenn etwas gebaut, abgebaut und dann dem Recycling überführt wird. „Aber wenn das in eine Kreislauffähigkeit kommt, also zum zweiten, dritten oder vierten Mal wiederverwendet wird, das ist noch nicht gängig“, so Hafellner. Nun soll ein kleines Mustergebäude mit rund fünf mal vier Metern bei wienerberger gebaut, abgebaut, transportiert und dann wieder aufgebaut und untersucht werden.
Gebäude schrumpfen oder wachsen lassen
Gebäude schrumpfen oder wachsen lassen will man auch im Forschungsprojekt SINK.CARBON. Allerdings setzt man bei den hier entwickelten wiederverwendbaren Bauelementen auf den Rohstoff Holz. Ausgangspunkt war, dass im modernen Holzbau vieles im Werk vorgefertigt und unterschiedliches Material miteinander verbunden wird. Sortenrein trennen lässt sich das im Nachhinein kaum, etwa wenn Fassadenplatten verklebt werden. „Wir wollen den ohnehin nachhaltigen Holzbau noch nachhaltiger machen, indem wir diese Verbundwerkstoffe intelligenter designen, so dass sie immer wieder wiederverwendet werden können“, erklärt Martin Riegler, Teamleiter des Bereichs Massivholz und Holzverbundwerkstoffe bei der Forschungseinrichtung Wood K plus.
Konkret sollen Wand- und Deckenelemente einfach ausgebaut, zu einer anderen Baustelle transportiert und dort wieder eingebaut werden können. Dabei gibt es allerdings einige Hürden. Wer regelmäßig handwerkt weiß um die Problematik von Schraubenlöchern, wenn beispielsweise Möbel öfter zerlegt und zusammengebaut werden. Außerdem seien klassische Schraubverbindungen beim Rückbauen oft versteckt beziehungsweise verputzt und daher schwer zu finden oder würden nach 20 Jahren im Holz abreißen. Hier bieten sich laut dem Experten Metallverbinder in den Ecken, die sich wieder einfach lösen lassen, an.
Ein weiteres Thema ist die Haustechnik. „Natürlich hat man in den Wand-Elementen Elektro-, eventuell Sanitärinstallationen. Hier müssen die Anschlussstücke so gestaltet werden, dass das nachher wieder kombinierbar ist“, so Riegler. Im Wohnbau sei das relativ einfach zu realisieren, wenn man beispielsweise alle Sanitäranlagen übereinander anordnet und die Leitungen in einem Sanitärschacht führen kann. Bei Elektrizität werde man das nicht so einfach schaffen, weil niemand auf Steckdosen in den jeweiligen Wänden verzichten wolle. Getestet werde eine Vorsatzschalung, die sich vom Wandelement wieder einfach trennen lässt, wodurch dieses dann woanders eingesetzt werden kann.
Gebäude als Marktplatz betrachten
Sind die Bauelemente, die gewisse Rastermaße aufweisen, irgendwann nicht mehr einsetzbar, werde beispielsweise aus der Holzdecke eine Außenwand, die keinen optischen Ansprüchen genügen müsse, weil sie ohnehin versteckt und nur mehr für die Statik zuständig sei. „Es wäre auch möglich, dass man diese Gebäude als Marktplatz betrachtet. Wenn sie rückgebaut werden, dann steht dieses Material wieder zur Verfügung – Stichwort Urban Mining“, strich Riegler hervor. Laut einer groben Schätzung könne man von vier Wiederverwendungszyklen ausgehen. Wood K plus ist übrigens eine von aktuell 25 Forschungsinfrastrukturen für die Kreislaufwirtschaft in Österreich, wie die aktuelle „Circularity Labs Austria“-Map, die vom Green Tech Valley Cluster in Kooperation mit dem Klimaschutzministerium und der Montanuniversität Leoben erstellt wurde, zeigt.
Im Projekt, das man gemeinsam mit Handler Bau, RWT Plus ZT und Universität für Bodenkultur (Boku) durchführt, werden aber nicht nur die technologischen Aspekte, sondern auch die politischen Rahmenbedingungen und die ökologischen Auswirkungen mit betrachtet. Dabei will man die Lebenszyklen und die CO2-Äquivalente für Herstellung, Transport und Co. berechnen, um einen objektiven Vergleich beispielsweise zwischen einem Holzbau mit dem neuen System und einem Massivhaus zu ziehen. Die Boku wiederum schaue sich an, ob Holz aus rechtlicher Sicht überhaupt wiederverwendet werden kann.
Inzwischen wurde auch ein kleines Demonstrationsgebäude am Standort der Firma Handler der Öffentlichkeit präsentiert. In Kürze wird es demontiert und bei Wood K Plus in Tulln mit verändertem Grundriss und anderen Raumproportionen wieder aufgebaut, um die Flexibilität zu veranschaulichen.