Wo die wilden Künstler wohnen
Kunst statt Eigenwerbung, das erwartet den Besucher beim Betreten des Foyers des Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien. Nicht nur bei den jährlichen Alpbacher Technologiegesprächen im Rahmen des Formats ARTTEC steht Kombinationen von Kunst und digitaler Forschung im Fokus, mit der Schiene "Artist in Residence" holt sich die Forschungseinrichtung seit 2018 Kunstschaffende direkt ins Haus.
„Es ist wie ein Besuch bei der Großmutter“, vergleicht Michael Hlava, Kommunikationschef und Initiator des Projekts, das Gefühl, wenn man sich im Eingangsbereich der Griefinggasse 4 in Wien plötzlich mit vom Alter gezeichneten Aluminiumplatten oder vom Blitz getroffenen Figuren konfrontiert sieht. Während Oma die zerrissenen Hosen neugierig beäugt („Soll ich sie dir flicken?“ „Nein, Oma, das gehört so!“), fragt man sich angesichts der merkwürdigen Skulpturen und verwirrenden Installationen zunächst oft auch: Was soll denn das sein? Die Hosen sind aber bequem, so Hlava, sie sind modern und vermitteln dem Träger ein gutes Gefühl, und genau das sei auch bei der Kunst der Fall: Weil sie neu ist, sorgt sie vielleicht auf den ersten Blick für Verwunderung, im Endeffekt ist die Auseinandersetzung damit aber etwas Positives, denn sie erweitert das eigene Blickfeld.
Die Künstler, die als ‚Artist in Residence‘ mit dem AIT zusammenarbeiten, werden deshalb auch nicht von ihnen selbst, sondern von Kuratoren ausgewählt. Seine persönlichen Vorlieben hintanzustellen war für den kunstbegeisterten Hlava gewöhnungsbedürftig, „das musste ich erst lernen“, erinnert er sich.
Das Programm ist „eine Schiene, die uns sehr viel bringt“, freut sich Hlava. Forscher bekommen dadurch einen neuen Blick auf jene Gegenstände, mit denen sie in ihrer täglichen Arbeit zu tun haben und die für sie nur Mittel zum Zweck oder sogar Abfall ihrer Forschung sind.
Seit 2018 arbeitet das AIT mit zwei Künstlern zusammen, zunächst von November 2018 bis Mai 2019 mit dem Berliner Mixed-Media Künstler Christopher Noelle, dann von Juni 2019 bis Mai 2020 und erneut seit Juli 2020 mit der Wienerin Judith Fegerl. Die Zusammenarbeit mit Fegerl endet im Jänner – „den dritten Artist haben wir schon“, verrät Hlava, er wird vorrausichtlich ab März ausstellen. Während sich die vorangegangenen Künstler mit Licht, Formen und Energie befassten, wird das Thema 2022 „definitiv Künstliche Intelligenz“ sein. APA-Science hat mit den zwei bisherigen Artist in Residence über ihre Erfahrungen gesprochen.
Christopher Noelle: Vom Radsport zur Lichtkunst
Es war ein Unfall, der der Bike-Trial- und Mountainbike-Karriere von Christopher Noelle Ende der 1990er Jahre ein Ende setzte – und den Anstoß für seine Karriere als Künstler gab. Statt für Auszeichnungen wie seinen Vize-Weltmeistertitel oder einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde vor der Kamera zu stehen, agiert der gebürtige Berliner mittlerweile als Multimediakünstler hinter der Kamera. Bekannt unter dem Künstlernamen TOFA spezialisiert er sich seither auf Lightpaintings, ein Spezialeffekt-Genre der Langzeitbelichtung.
Als Artist in Residence am AIT präsentierte Noelle ab November 2018 den Spiro-Table, ein von ihm entwickeltes Zeichen-Instrument, mit dem sich Grafiken mittels Spirographie und Lightpainting erstellen lassen.
APA-Science: Was nehmen Sie aus der Erfahrung als Artist in Residence am AIT mit? Was ist Ihre Bilanz?
Christopher Noelle: Die Zusammenarbeit mit dem AIT verlief für mich sehr spannend, da es mir vielseitige Einblicke in unterschiedliche Projekte des Instituts ermöglichte und stellte auch künstlerisch eine gewisse Herausforderung dar, da ich neben meinen eigenen Arbeiten für die erste Artist-in-Residence Ausstellung am AIT auch eine interaktive Installation umsetzen wollte, die für Besucher intuitiv und selbsterklärend aufgebaut war und auch in direktem Zusammenhang zu meinen ausgestellten Werken stand. Die erste Artist-in-Residence Ausstellung aufgrund meiner Kunst zu bekommen, war ein tolles Gefühl und durch den engen Austausch mit dem Institut, insbesondere mit Silvia Haselhuhn und Michael Hlava möglich.
Wie gestaltet(e) sich die Interaktion mit der Forscher-Community? Gab es Berührungsängste? Hat sich mittlerweile etwas verändert?
Während meiner Residency war es primär eine Ausstellung mit Bildern/Werken und einer interaktiven Installation, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungsabteilungen kam erst später hinzu, war aber durch die Aufgabenstellung stets unkompliziert und offen.
Gibt es für Sie als Künstler noch weitere Berührungspunkte mit der Wissenschaft?
Durch meine experimentelle Lightpainting-Fotografie in Kombination mit Robotik ist das AIT überhaupt erst aufmerksam auf meine Arbeit geworden. Da ich schon seit mehreren Jahren an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft arbeite, basieren meine Projekte immer auf wissenschaftlichen Experimenten und Forschung und führen in den Ergebnissen zur Symbiose in Form von neuen Kunstwerken. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel meine Zusammenarbeit mit dem Robotiklabor der JKU Linz zu erwähnen, wo universitäre Forschung und Kunst einander befruchten und Raum für Experimente und neue Forschungsansätze ermöglichen.
Die Forschung ist in Ihre Kunst geflossen – fließt im Gegenzug auch etwas von der Kunst in die Forschung bzw. die Forschungslandschaft zurück?
In meiner weiterführenden Zusammenarbeit habe ich in den vergangenen zwei Jahren für das AIT zwei Serien an Image-Filmen und Trailer-Animationen über ganz unterschiedliche Forschungsprojekte produziert, wodurch die einzelnen Projekte sich anders bzw. neu nach außen präsentieren konnten und ich durch meine Ansicht als Außenstehender Einblicke in wirklich interessante Projekte und Themenwelten vermitteln konnte. Insofern konnte auch die Forschungslandschaft einen Vorteil aus unserer Zusammenarbeit ziehen, zumal für Forscher oftmals der Fokus so klar ist. Aber für Außenstehende ist es sehr komplex, zu verstehen, woran eigentlich geforscht wird. Mir war es dabei auch wichtig, visuell in den Kurzfilmen vermitteln zu können, an was die Forschungsprojekte genau arbeiten. Dadurch entstand eine Synergie, die auf der gegenseitigen Beeinflussung von Wissenschaft und Kunst basiert.
Judith Fegerl: Unter Strom
Im Fokus der Arbeit von Judith Fegerl steht die Energie. Die Arbeit von Fegerl, die 2019 den Medienkunstpreis der Stadt Wien erhielt, war seit Juni 2019 im Foyer des AIT zu sehen. Bis Mai 2020 befasste sich die Wienerin mit der Installation „Reservoir“ damit, Kupfer- und Aluminiumplatten zunächst in Salzwasser einzulegen und anschließend aufzuhängen, um die in den Strukturveränderungen erkennbare freigewordene Energie sichtbar zu machen.
Weil die Zusammenarbeit so gut funktioniert hatte, so Hlava, wurde Fegerl für das Folgejahr gleich für eine weitere Ausstellung gewonnen. Auch bei „Capture“ stand das Sichtbarmachen von Energie im Mittelpunkt, konkret jene von Blitzen. Fegerl ließ im Hochspannungslabor des AIT künstliche Blitze einschlagen, das umliegende Material wurde bei den hohen Temperaturen geschmolzen und verglaste. Die so entstandenen röhrenförmigen Strukturen, genannt Fulgurite, zierten bis zum Frühjahr 2021 das Foyer.
APA-Science: Was nehmen Sie aus der Erfahrung als Artist in Residence am AIT mit? Was ist Ihre Zwischenbilanz?
Judith Fegerl: Für meine Arbeit mit Energie, die sich stets mit technologischen Fragestellungen beschäftigt, ist das Andocken an das AIT essentiell, weil sich unsere Forschungsthemen überschneiden und ich mit ähnlichen Materialien und Techniken arbeite, das AIT aber natürlich ganz andere Standards und Instrumente zur Verfügung hat. Auf diese Infrastruktur, auch wenn zeitlich begrenzt – Zugriff zu haben, bedeutet Fortschritt in der künstlerischen Arbeit.
Wie gestaltet(e) sich die Interaktion mit der Forscher-Community? Gab es Berührungsängste? Hat sich mittlerweile etwas verändert?
Die Kommunikation und der Austausch mit KollegInnen aus der angewandten Forschung funktioniert, auch wenn es thematisch eher an den technischen Fragestellungen bleibt, die Faszination, was KünstlerInnen dann doch so anstellen, und was eigentlich alles möglich ist, wenn man „outside of the box“ denkt, ist auf jeden Fall da. Da wird es dann meistens recht amüsant.
Die finanzielle Struktur einer Residency ist ein Knackpunkt für ein erfolgreiches Zusammenarbeiten. Das Residency Programm muss genau wie ein Forschungsprojekt mit entsprechend Budget ausgestattet sein, das Laborstunden, Equipment, Material, zusätzliches Personal, Räume und eigenes Gehalt abdeckt. Natürlich braucht es auch einen vergleichbaren Zeitplan und eine gewisse Ergebnisorientiertheit. Damit KünstlerInnen und WissenschafterInnen tatsächlich auf Augenhöhe kollaborieren können, müssen sie auch gleichgestellt sein – sonst ist man als Künstlerin immer nur Gast.
Gibt es für Sie als Künstlerin noch weitere Berührungspunkte mit der Wissenschaft?
Ich arbeite mit Energie als Material. Hochspannung, Elektromagnetismus, Oberflächentechnologie, etc. Das ist an sich schon eine große Herausforderung und ohne Wissenschaft und Technik geht hier nichts. Je weiter ich meine Arbeit mit Energie entwickle, desto intensiver wird auch der nötige Kontakt und die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen. Zur Zeit beschäftige ich mich mit photovoltaischen Anlagen, mit Recycling und dem Potenzial von bereits aus dem Verkehr gezogenen Solarmodulen und arbeite mit der Forschungsallianz „Sustainable Photovoltaics PVRe2“ zusammen.
Die Forschung ist in Ihre Kunst geflossen – fließt im Gegenzug auch etwas von der Kunst in die Forschung bzw. die Forschungslandschaft zurück?
Es gibt immer wieder reziproke Situationen, ob das im Hochenergielabor ist und im Zuge meiner Versuche auch der Funke auf die WissenschafterInnen vor Ort überspringt oder aktuell auch mit den Solarskulpturen, die auch in wissenschaftlichen Medien publiziert werden.