#CoronaAlltag: Schreiben und reden, mehr denn je
Anfang März erfuhren meine Kolleg_innen und ich, dass das IST Austria in den "Remote mode" übergehen würde, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und wir somit von zuhause arbeiten müssten. Rasch erhielt ich E-Mails von Mitgliedern meiner Forschungsgruppe, die um ihre laufenden und bevorstehenden Experimente besorgt waren. Mehrere Tage lang beeilten wir uns, Experimente neu zu organisieren und zu sichern, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen zu können.
Der physische Übergang ins Home Office war nur der Anfang. Während viele Arbeiten auf der Welt zum Stillstand kommen mussten, suchten wir in unserem Labor nach Möglichkeiten, wie meine Labormitglieder und ich unsere Gemeinschaft am besten unterstützen könnten und gleichzeitig weiterhin das tun können, was wir am besten können - Wissenschafter und Wissenschafterinnen zu sein.
Virtuelle Treffen
Um 18.30 Uhr am ersten Tag des Lockdowns eröffnete ich unsere wichtigste Maßnahme: einen "Labor-Apéro" per Videokonferenz. Seit dem ersten Tag treffen wir uns freiwillig zu diesem 30-minütigen Ritual. Die einzige Regel ist, ein Getränk mitzubringen. Dieser Fixpunkt im Tagesablauf hilft uns gegen die soziale Isolation, insbesondere jenen, die allein leben oder erst kürzlich nach Österreich gezogen sind. Aber sie hat sich eigentlich für uns alle als wertvoll erwiesen. In unseren Diskussionen geht es oft um teilweise auch unangenehme Gefühle und Erfahrungen in der Isolation. Wir haben aber auch unvorhergesehene Vorteile festgestellt: dadurch, dass die Anfahrtszeit wegfällt bleibt mehr Zeit, um gesundes Essen zu kochen, Yoga zu praktizieren und mit anderen zumindest per Telefon oder online in Kontakt zu bleiben.
Bei unseren virtuellen, fachlichen Labor-Meetings, den "Chalk-Talks", verwenden wir keine Powerpoint-Folien mehr, sondern nehmen uns die Zeit für Echtzeit-Illustrationen. Einige Labormitglieder sind zu rechnergestützten Analysen übergegangen, um neue Projekte zu entwickeln. Andere finden nun die Zeit, vorhandene Daten zu analysieren oder schreiben ihre Ergebnisse für das nächste Paper zusammen; weitere konzentrieren sich auf die Reorganisation der Protokolle und Datenbanken des Labors. Einige haben sich freiwillig gemeldet und übersetzen und fassen die jüngsten Forschungsergebnisse zu COVID-19 für Ärzte in Italien zusammen, um zeitnahe Aktualisierungen zu erhalten.
Schwerpunkt Schreiben:
Wie Eve Marder in einem Feature-Artikel in eLife schrieb: "Klares Schreiben ist der Schlüssel zum Erfolg". Da wir derzeit keine Laborexperimente machen können, nutzen wir diese Zeit, unsere schriftliche Ausdrucksweise zu verbessern, was in unserem Labor, in dem die meisten nicht Englisch als Muttersprache haben, besonders hilfreich ist. In Zweier-Teams zusammengewürfelt, schreibt täglich eine Person einen kurzen Text, der von der jeweils anderen Person des Teams bearbeitet wird. Zusätzlich gibt es dann Online-Feedback-Sitzungen.
Da Schulen und Kindertagesstätten geschlossen sind, stehen Labormitarbeiter _innen mit Kindern, darunter auch ich selbst, vor zusätzlichen neuen Herausforderungen. Mein neuer Tagesablauf ist viel stärker von der Abwechslung zwischen Arbeit, Kindern, Kochen und Hausarbeit geprägt. Wir müssen daher flexibler sein, um Familien mit Kindern auf zusätzliche Weise zu unterstützen. Das IST Austria hat zum Beispiel "Pop-up Science" Online-Experimente für Kinder eingeführt, die zu Hause durchgeführt werden können. Diese Aktivitäten können sowohl Spaß machen als auch lehrreich sein - und in Zeiten erhöhten Stresses mehr Kontakt und mehr Zeit mit Familienmitgliedern bieten.
Während wir versuchen, unsere Labormitarbeiter_innen und Auszubildenden zu beschäftigen und zu unterstützen, haben wir uns auch zum Ziel gesetzt, diese Phase produktiv zu nutzen und unsere Gemeinschaft im Labor zu stärken. Denn ein grundlegender Aspekt unserer Reaktion auf diese Notlage besteht darin, weiterhin wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Wissenschaft ist nicht nur ein Teil der Gleichung. Wissenschaft ist die Lösung.
Zur Person: Gaia Novarino ist Professorin für Neurowissenschaften am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) in Klosterneuburg, Österreich. Die gebürtige Italienerin konzentriert sich auf genetische Grundlagen von Autismus.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.