Die Natur ist so seltsam wie die Quantentheorie behauptet
Das Verhalten kleinster Teilchen, die den Regeln der Quantentheorie gehorchen, mutet oft seltsam an. Daher wird schon lange versucht, ihr Verhalten mit einer für die Alltagserfahrung anschaulicheren, den Regeln der klassischen Physik folgenden Theorie zu beschreiben - bisher vergeblich. Auch neue Messungen an Neutronen zeigen nun, dass "die Natur tatsächlich so seltsam ist, wie die Quantentheorie behauptet", berichten Wiener Forscher im Fachjournal "Physical Review Letters".
In der Quantenphysik kann sich ein Teilchen gleichzeitig in verschiedenen Zuständen befinden, die Physiker sprechen von einem "Überlagerungszustand". Es kann sich etwa gleichzeitig an zwei unterschiedlichen Orten aufhalten. Erst wenn es gemessen wird, geht die Überlagerung flöten und das Teilchen muss sich für einen bestimmten Ort entscheiden.
Jedes makroskopische Objekt hat dagegen ganz bestimmte Eigenschaften. Ein Fußball etwa befindet sich an einem bestimmten Ort und ist nicht gleichzeitig vor und im Tor - gleich ob die Torlinientechnik in Funktion ist oder nicht. Das wird als lokaler oder makroskopischer Realismus bezeichnet.
Test des makroskopische Realismus
Schon lange beschäftigt die Physiker die Frage, ob auch größere Objekte Quanteneigenschaften aufweisen können, also ob es ein Größenlimit für die Quantenwelt gibt. 1985 haben die beiden Physiker Anthony James Leggett und Anupam Garg eine Formel vorgestellt, mit der sich der makroskopische Realismus testen lässt. Dabei geht es "um die Frage, wie der Zustand eines Teilchens zu bestimmten Zeitpunkten mit seinem Zustand zu anderen Zeitpunkten zusammenhängt", so die Erstautorin der nun veröffentlichten Arbeit, Elisabeth Kreuzgruber vom Atominstitut der Technischen Universität (TU) Wien, in einer Aussendung.
Die "Leggett-Garg-Ungleichung" ist ein Konzept, das die Grundfesten der Quantenmechanik herausfordert. Dieses erlaubt zu messen, ob sich das Verhalten von Quantenobjekten nicht vielleicht doch durch eine anschaulichere Theorie beschreiben lässt. Demnach müsste jede Theorie, die ohne die Überlagerungs-Zustände der Quantentheorie auskommt, dieser Ungleichung gehorchen.
Die experimentelle Umsetzung der Ungleichung ist allerdings nicht einfach. Man braucht dafür ein relativ großes Objekt, das dennoch die Chance bietet, Quanten-Eigenschaften zu erkennen. Die Wiener Physikerinnen und Physiker realisierten diese Anforderungen mit Neutronenstrahlen am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble (Frankreich), das mit seinem Reaktor die stärkste Neutronenquelle der Welt betreibt. Sie schickten die Teilchen in einen sogenannten Neutroneninterferometer. Dort wird der Neutronenstrahl in zwei Teilstrahlen aufgespalten und am Ende wieder zusammengeführt. Die Neutronen können also auf zwei verschiedenen Wegen von der Quelle zum Detektor gelangen.
"Ohne Quantenphysik geht es nicht"
Der Quantentheorie zufolge nimmt jedes einzelne Neutron beide Wege gleichzeitig. Weil die beiden Teilstrahlen aber mehrere Zentimeter voneinander entfernt sind, hat man es in gewissem Sinn also mit einem Quantenobjekt gewaltiger Größe zu tun. Mit diesem Testaufbau konnte das TU-Wien-Team die "Leggett-Garg-Ungleichung" testen - mit eindeutigem Ergebnis: Die Ungleichung wird verletzt, die Neutronen befinden sich tatsächlich auf beiden Strahlen gleichzeitig.
Die Neutronen benehmen sich den Physikern zufolge damit auf eine Weise, die mit keiner erdenklichen makroskopisch realistischen Theorie erklärt werden kann. "Unser Experiment zeigt: Die Natur ist tatsächlich so seltsam, wie die Quantentheorie behauptet", sagte Stephan Sponar vom Forschungsbereich Neutron- and Quantum Physics am Atominstitut der TU Wien. "Egal welche klassische, makroskopisch realistische Theorie man sich zurechtlegt: Sie wird die Wirklichkeit niemals erklären können. Ohne Quantenphysik geht es nicht."
Service: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.132.260201