#CoronaAlltag: Neurochirurgie zwischen Homeoffice und Covid-Intensivstation
Neurochirurg*innen sind in die Behandlung von Infektionskrankheiten der Atemwege normalerweise nicht involviert, dennoch hat die Covid-19 Pandemie Arbeitswege und -weise unseres Fachs verändert. Operationen werden kaum durchgeführt, um Plätze auf den Intensivstationen freizuhalten und Schutzkleidung und Masken zu sparen. Zur Ressourcenschonung werden die planbaren zugunsten der dringenden Fälle verschoben. Nur noch Notfalleingriffe, Tumoroperationen, dringende Wirbelsäuleneingriffe oder vereinzelt Schmerztherapien werden durchgeführt, wobei sich auch Patient*innen mit dringenden Problemen scheuen, ins Krankenhaus zu gehen.
Zum Schutz vor Ansteckung haben wir als erste Abteilung unseres Standorts die sofortige Teilung des Teams - mit großer Unterstützung der Medizinischen Universität und den Tirol-Kliniken - vollzogen. Die Neurochirurgie ist eine sehr zentrumsorientierte Disziplin. Für Tirol sind wir exklusiver Versorger bei z.B. Schädelhirntrauma, Hirntumoren und Wirbelsäulenerkrankungen. Bei den Gefäßerkrankungen des Gehirns, aber auch bei Kindern und Erwachsenen mit komplizierten Hirntumoren sind wir zudem überregionale Anlaufstelle als Referenzzentrum. Ein Ausfall unseres Teams durch vorbeugende Quarantäne oder womöglich durch Covid-19 erkrankte Mitarbeiter*innen, wäre nicht zu verkraften. So sind unsere ärztlichen Mitarbeiter*innen wochenweise im Homeoffice - eine völlig neue Erfahrung. Die Mitarbeiter*innen bereiten Vorlesungen vor, wenden sich Forschungsprojekten zu oder erstellen Behandlungspfade und -standards für das gesamte Spektrum der Neurochirurgie. Unerlässliche Aufgaben, für die im Alltagsstress wenig Zeit bleibt. Ein Teil unseres Teams jedoch betreut schwer an Covid-19 erkrankte Patient*innen in einem interdisziplinären Konzept auf unserer Neurochirurgischen Intensivstation. Im Rahmen des Tiroler Pandemieplans wurde diese zur Covid-Intensivstation II transformiert. Die Neurochirurgie in Innsbruck ist seit jeher stolz, eine Intensivstation zur Betreuung von Schwerstverletzten und Hirnblutungen zu führen. Unser Team aus Ärzt*innen und Pflege leistet dort großartige Arbeit für Patient*innen mit Covid-19 Erkrankung.
Alle Besprechungen innerhalb der Klinik wurden auf ein Minimum reduziert, die wöchentlichen Tumorboards - interdisziplinäre Konferenzen zur Behandlung von Patient*innen mit Krebserkrankungen - finden in einem virtuellen Telefonraum statt. Mit einigen Patient*innen wurden auch bereits ambulante Besuche per Videokonferenz abgehalten. Sogar aus dem Homeoffice ist die Teilnahme am Tumorboard möglich.
Große Kongresse, Meetings und Arbeitsgruppentreffen sind auf unbestimmte Zeit verschoben. So wie viele andere Branchen musste auch die Medizin den Gefallen an Videokonferenzen finden. Der soziale Aspekt der ambulanten Gespräche und der interdisziplinären Konferenzen leidet sehr unter der derzeitigen Situation, die interdisziplinäre Professionalität jedoch nicht.
Für Wissenschaftler*innen ist die Situation zweischneidig - einerseits bieten die gewonnenen Zeitressourcen die Möglichkeit, weniger fesselnde Projekte abzuarbeiten - andererseits kann der wissenschaftliche Fortschritt auch gebremst werden: Fördernde Stellen bitten in Aussendungen um Nachsicht für Verzögerungen, Sitzungstermine mussten verschoben werden. Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die für einzelne Forschungsprojekte eingestellt wurden, bangen um ihre Stellen. Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen der letzten Wochen ist die Zahl der Betroffenen eher gering, aber dadurch werden diese auch gerne übersehen.
Für alle Mediziner*innen die jetzt nicht an vorderster Front Patient*innen mit Covid-19 behandeln, steht die Therapie von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Blinddarmentzündungen, Knochenbrüchen, Krebserkrankungen und vieles mehr auf der Tagesordnung. Es sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es neben Covid-19 noch andere Erkrankungen gibt.
Wir wünschen uns einen möglichst schnellen und reibungslosen Weg "zurück". Allerdings werden sich einige Dinge in Zukunft verändern: Social distancing wird nicht mehr unhöflich sein, Videokonferenzen werden bleiben und Homeoffice könnte sich, selbst in der klinischen Medizin, einen Stellenwert verdienen.
Zur Person: Priv.-Doz. Dr. Christian F. Freyschlag ist stellvertretender Klinikdirektor der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Innsbruck. Er leitet die Arbeitsgruppe für Neuroonkologie und Neuroendokrinologie. In der europäischen Neurochirurgischen Gesellschaft (https://www.eans.org/page/YN-committee) ist er als Chairman der Young Neurosurgeons und in nationalen neurochirurgischen (http://www.neurochirurgie.ac.at/ueberuns/) und neuroonkologischen Gesellschaften (http://www.sano.co.at) im Vorstand tätig.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.