Kenntnis und Erkenntnis: Historiker Friedrich Weissensteiner wird 95
Generationen von Schülern haben von Friedrich Weissensteiner Geschichte gelernt. Seine Schulbücher "Geschichte und Sozialkunde" und "Zeitbilder" waren Standardwerke im Unterricht an Gymnasien. Der Historiker, ehemalige Lehrer und AHS-Direktor hat sich als Buchautor, speziell mit seinen Habsburger-Biografien, einen Namen gemacht. Am Freitag (25.11.) wird er 95 Jahre alt. Über Geschichte und Geschichtsunterricht macht er sich auch lange nach seiner Pensionierung viele Gedanken.
"Nie hätte ich erwartet, dass auf europäischen Boden im 21. Jahrhundert ein Krieg ausgetragen wird", sagt Weissensteiner im Gespräch mit der APA. "Das ist furchtbar und könnte zu einem Dritten Weltkrieg führen." Weil sich die Menschen zu wenig mit Geschichte befassten, sei auch der Schrecken der Kriege keine tiefe Erkenntnis, die von Generation zu Generation weitergegeben werde. Nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei der Wiedervereinigung Deutschlands oder der Trennung von Tschechien und der Slowakei gelängen geschichtsträchtige Veränderungen ohne Gewalt, an den Gefahren der Nationalismen habe sich nichts geändert.
Weissensteiner, am 25. November 1927 in Großpertholz (NÖ) geboren, studierte Geschichte und Anglistik an der Uni Wien und war nach seiner Promotion als AHS-Lehrer tätig. Von 1974 bis zu seiner Pensionierung 1987 war er Direktor des für seine humanistische Bildung bekannten Döblinger Gymnasiums in Wien und hat auch die Lehrpläne für den Geschichtsunterricht mitgestaltet.
Die Theorie der Geschichtsdidaktik habe sich seither geändert, in der Unterrichtspraxis sei dies - wie er anhand von Gesprächen mit Enkeln und Urenkeln festzustellen glaube - jedoch noch kaum angekommen. Noch immer herrsche Frontalunterricht vor. "Der Unterricht ist sicher moderner geworden - aber nicht modern genug. Geschichte muss man besprechen. Geschichtsunterricht muss vom Erleben der Schüler ausgehen. Er muss Kenntnisse vermitteln und zu Erkenntnissen führen. Es reicht nicht, sich belehren zu lassen. Aus der Information muss Meinungsbildung hervorgehen."
Bereits während seiner Tätigkeit im Schulbereich veröffentlichte er verschiedene Bücher zu geschichtlichen Themen, nach seiner Pensionierung kamen dann rund 20 Jahre lang im Jahrestakt neue Werke von ihm heraus. Weissensteiners Publikationsliste als Autor und Herausgeber umfasst mehr als 30 Werke, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
Eines seiner Spezialgebiete sind die Habsburger. So verfasste er schon Anfang der 1980er ausführliche Biografien von Erzherzogin Elisabeth Marie ("Die rote Erzherzogin"), Erzherzog Franz Ferdinand ("Der verhinderte Herrscher") und Erzherzog Johann Salvator ("Ein Aussteiger aus dem Kaiserhaus") und später zahlreiche Übersichtsdarstellungen wie "Frauen um Kronprinz Rudolf", "Die Töchter Maria Theresias", "Frauen auf Habsburgs Thron" oder "Habsburgerinnen auf fremden Thronen". Noch im Alter von 85 Jahren veröffentlichte er 2012 das Buch "Ich sehne mich sehr nach dir. Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs".
Dass die Habsburger noch immer ein wesentliches Thema am Buch- und Medienmarkt sind, sei einerseits verständlich, da sie viele Jahrhunderte die Geschicke Europas mitbestimmten, andererseits werde dabei auch stark übertrieben, sagt Weissensteiner: "Was etwa derzeit mit Elisabeth von Österreich (über die es zahlreiche neue Romane, Filme und TV-Serien gibt, Anm.) passiert, ist schrecklich."
Abseits der Habsburger hat Weissensteiner, der 1999 mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und 2008 mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet wurde, das Leben berühmter Persönlichkeiten durchleuchtet und zahlreiche Personenlexika herausgegeben. Das Spektrum reicht von "Publikumslieblinge. Von Hans Albers bis Paula Wessely" über "Große Österreicher des 20. Jahrhunderts" bis zu "Berühmte Selbstmörder", "Liebe in fremden Betten. Große Persönlichkeiten und ihre Affären" oder "An den Hebeln der Macht. Die Parteiführer der Zweiten Republik".
So geistig fit der bald 95-Jährige ist, so eingeschränkt ist die Mobilität des heute in Wolfpassing bei Tulln lebenden Historikers. Deswegen möchte er sich auch nicht zum Haus der Geschichte Österreich und dessen weiterhin ungewissen Zukunft äußern. "Ich selber war leider noch nie dort. Ich halte es aber für eine schöne und wichtige Idee."