#CoronaAlltag: Forschung an lebenden Zellen auf Eis gelegt
Normalerweise verbringe ich mindestens sechs Stunden am Tag im Labor. Momentan jedoch sind all meine Versuche im wahrsten Sinne auf Eis gelegt - eine für mich als junge, ambitionierte experimentelle Forscherin eine bis dato unvorstellbare Situation!
Zumal mein Tätigkeitsfeld, die anwendungsnahe kooperative Life Science Forschung, weltweit hochkompetitiv ist. Ich arbeite bei VASCage - Research Centre on Vascular Ageing and Stroke in Innsbruck und erforsche im Labor von Prof. Frank Edenhofer an der Universität Innsbruck die Alterung von Blutgefäßen. Unser Ziel ist, zwei- und dreidimensionale Zellmodelle des Herz-Kreislaufsystems aus induzierten pluripotenten Stammzellen zu generieren und diese künstlich altern zu lassen. Wir nehmen anschließend auf die Alterungsprozesse unserer Gefäßmodelle gezielt Einfluss und entwickeln neue Therapiekonzepte, die wir in enger Zusammenarbeit mit der Industrie rasch umsetzen und in die Praxis bringen wollen.
Die Umstellung auf den Corona-Alltag, die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen und die anschließende Quarantäne in Tirol, stellten eine immense Herausforderung für unsere Forschungs- und Entwicklungstätigkeit dar. Meine Experimente sind nicht nur kostspielig, sondern auch sehr langwierig. Wochenlange Arbeit steckt in einzelnen Versuchen. Zudem arbeite ich mit lebenden Zellen, die täglich versorgt werden müssen. Nun aber herrscht wegen der Corona-Krise am Institut für Molekularbiologie Notbetrieb. Der Labortätigkeit wurde weitestgehend heruntergefahren, Zwischenergebnisse gesichert und die Mitarbeiter, soweit möglich, ins Homeoffice geschickt.
Oft wird Homeoffice aus Angst vor Effizienzverlust nicht angeboten oder wahrgenommen, doch aktuell sehe ich die vielen Vorteile des Arbeitens von Zuhause: All die kleinen Unterbrechungen und Störungen fehlen. Meetings werden im Vorfeld vereinbart und in diesem aktuellen Sonderfall ist nun Zeit für all die Dinge, für die im arbeitsreichen Laboralltag die Zeit knapp ist: dokumentieren, Experimente planen, auswerten, E-Mails beantworten, das Projekt managen und Literatur-Recherche. Natürlich ist es gleichzeitig eine Herausforderung, neue Überlegungen nicht experimentell überprüfen zu können. Aber die Zeit des Nachdenkens und Überdenkens ist auch nützlich: Man geht einen Schritt zurück, schaut sich das Gesamtbild an, und kann bei den nachfolgenden Experimenten noch zielführender vorgehen.
In VASCage arbeiten Spezialisten aus Forschung und Industrie Hand in Hand, wir sind international ausgesprochen gut vernetzt. Da stellen Reisebeschränkungen natürlich eine Herausforderung dar, die nach digitalen Lösungen verlangt. Erst vor zwei Wochen hatten wir ein großes virtuelles Meeting mit unseren VASCage-Kooperationspartnern aus Spanien, Deutschland und Österreich. Das Resultat? Statt eines sechsstündigen Meetings plus An- und Abreise nach Wien und dortiger Übernachtung waren es nun effiziente dreieinhalb Stunden - ein voller Erfolg!
Der wissenschaftliche Austausch zwischen den Labor-Kollegen findet zurzeit im Online-Lab Meeting statt, der informelle Plausch bei einem kleinen inspirierenden Espresso im Chatroom-Café, und die Abstimmung mit der VASCage-Geschäftsführung und -Administration telefonisch oder virtuell.
Ich denke, wir werden aus dieser sonderbaren Zeit viel lernen und hoffentlich in unsere Lebensgestaltung integrieren. Eine neue Normalität inklusive der aktuellen Einsichten, nicht nur zwischenmenschlich, sondern besonders im politischen und wirtschaftlichen Bereich. In diesem Rahmen sollte eine schnellere und zielgerichtete Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die klinische Praxis forciert werden, wie im COVID-19 Kontext beobachtbar. Die gesundheitliche Stabilität und Lebensqualität insbesondere älterer Menschen zu verbessern, stellt auch über die Corona-Krise hinaus eine weltweit immer dringlicher werdende Herausforderung dar.
Zur Person:
Nina Grill ist Molekularmedizinerin und als Wissenschaftlerin bei VASCage - Research Centre on Vascular Ageing and Stroke angestellt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Regeneration and Ageing mit Fokus auf Stammzellen, Vaskularisierung und in vitro Modelle.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.