Verschwörungstheorien auf der digitalen Spur
Zusammen mit Fake News stellen Verschwörungstheorien ein zunehmendes Problem für unsere liberalen Demokratien dar. Jana Lasser, netidee-SCIENCE-Preisträgerin 2023, erklärt im Interview, wie Grundlagenforschung zu möglichen Lösungswegen beitragen kann.
Kondensstreifen enthalten Chemikalien zur Gedankenkontrolle, die hohle Erde wird von Echsenmenschen bewohnt und die Reichen halten sich mit Kinderblut ewig jung - was wie Szenarien aus schlechten Hollywoodstreifen klingt, scheint immer mehr Menschen die plausibelste Erklärung für eine zunehmend komplexe und als bedrohlich empfundene Welt zu sein.
Zusammen mit Fake News, die sich über soziale Medien massenhaft verbreiten, stellen Verschwörungstheorien ein veritables Problem für unsere liberalen Demokratien dar. Jana Lasser von der Technischen Universität Graz trägt mit ihrer Forschung zur wissenschaftlichen Grundlage möglicher Lösungswege bei.
Standen bei Lasser bisher Fake News im Mittelpunkt, will die Wissenschaftlerin jetzt gewaltige Datenberge aus den sozialen Netzwerken auswerten, um die Ursachen für den Erfolg von Verschwörungstheorien zu finden. Die Komplexitätsforscherin im Gespräch über ihr neues Projekt, für das sie die Internet Stiftung und der Wissenschaftsfonds FWF kürzlich mit dem "netidee SCIENCE"-Forschungspreis auszeichneten.
Zur Person
Jana Lasser studierte Physik an der Georg-August-Universität Göttingen und promovierte in Physik komplexer Systeme. Nach ihrer Dissertation wandte sie sich der Komplexitätsforschung zu, wo sie mit Methoden der Datenwissenschaften nach Antworten zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen sucht. Nach Aufenthalten als Postdoc in Göttingen und am Complexity Science Hub in Wien habilitierte sich Lasser dieses Jahr an der Technischen Universität Graz über die computergestützte Modellierung komplexer Sozialsysteme.
Mythen über konspirative Kräfte und Falschmeldungen gibt es wohl schon so lange wie die menschliche Zivilisation. Wieso werden Fake News, Desinformation und Verschwörungstheorien gerade in letzter Zeit zu einem Problem?
Jana Lasser: Dafür scheinen mir zwei Komponenten hauptverantwortlich zu sein. Einerseits die soziale Komponente, dass wir uns in Gesellschaften mit großen Ungleichheiten befinden. Menschen, die unter sehr schwierigen Bedingungen leben, sind daher eher Erklärungen zugeneigt, die das aktuelle System infrage stellen.
Der zweite Aspekt ist die starke Digitalisierung und das damit einhergehende Ausbreitungspotenzial von Fake News und Verschwörungstheorien. Soziale Medien, die ihre Empfehlungsalgorithmen nach Interaktionen optimieren, sind hier problematisch. Da zum Beispiel emotionale Inhalte Aufmerksamkeit erzeugen, verbreitet sich solcher Content besonders gut - ein Mechanismus, den auch Fake News ausnützen.
Fest steht, dass Desinformation so verbreitet ist wie nie zuvor. Welche Folgen kann die Flut an Fake News für unser Zusammenleben haben?
Lasser: Letztendlich besteht die Gefahr, dass unsere demokratischen Gesellschaften nicht mehr überlebensfähig sind. Wenn wir uns als Bürger:innen nicht einigen können, wie wir gemeinsam Probleme lösen, weil wir uns gewissermaßen in unterschiedlichen Informationswelten bewegen - dann werden die demokratischen Institutionen zusammenbrechen.
Wird zum Beispiel die Legitimität von Wahlergebnissen angezweifelt, und damit, wer überhaupt die Entscheidungsgewalt hat, hört unsere Gesellschaftsordnung auf zu funktionieren. Es sind diese Gefahren, die meine Forschung motivieren.
Desinformation, Fake News, Verschwörungsmythen - im Alltag meinen wir damit oft dasselbe. Doch was versteht die Wissenschaft unter diesen Begriffen?
Lasser: Desinformation sind falsche Informationen, die mit der Intention verbreitet werden, Menschen zu manipulieren. Diese Absichtlichkeit ist der Unterschied zu Falschinformation: Schicken mir Verwandte eine Zeitungsente, ist das nicht gleich Desinformation, da sie wahrscheinlich nicht den Plan hatten, mich zu beeinflussen.
Kommt nun Desinformation professionell aufgemacht daher, sprechen wir von Fake News. Da gibt es beispielsweise Webseiten, die den Stil valider Nachrichtenseiten perfekt kopieren, samt bunter Artikelkacheln und Angaben komplett erfundener Quellen und Autor:innen.
Verschwörungstheorien gehen darüber hinaus. Charakteristisch für solche Mythen ist, dass eine hintergründige Elite für negative Entwicklungen verantwortlich gemacht wird. Außerdem beinhalten Verschwörungsmythen wissenschaftlich nicht widerlegbare Behauptungen. Diesen Aussagen ist dann besonders schwer etwas entgegenzusetzen. Dennoch verwenden auch Verschwörungstheorien Fake News, um ihre Erzählungen zu untermauern.
Fake News sind auf den ersten Blick schwer von echten Nachrichten zu unterscheiden. Doch genau dieses Problem mussten Sie für Ihre bisherige Forschung in großer Zahl lösen. Wie geht das?
Lasser: Nicht, indem man jede einzelne Nachricht überprüft, ob sie wahr oder falsch ist, sondern über die Herkunft. Dabei kamen Dienstleister zum Einsatz, die Medien nach journalistischen Kriterien wie diesen bewerten: Unterscheidet eine Nachrichtenagentur konsequent zwischen Meldung und Meinung, ist immer klar, wer einen Artikel geschrieben hat und wie die Eigentumsverhältnisse sind, gibt es zudem Prozesse, wie Fehler korrigiert werden können. Dann äußert sich das in einer guten Bewertung.
Wir haben so untersucht, wie oft Politiker:innen Links auf Webseiten teilen, die diesem Kriterienkatalog entsprechen. Es zeigte sich unter anderem, dass die Vertrauenswürdigkeit der Seiten, auf die Politiker:innen der US-Republikaner verlinken, in den letzten sechs Jahren massiv zurückgegangen ist. Außerdem kamen in den Begleittexten der Links zunehmend Sprachmuster zum Einsatz, die auf das Empfinden abstellen, und nicht auf überprüfbare Fakten.
Für Ihr neues Projekt zu Verschwörungstheorien haben Sie soeben die "netidee SCIENCE"-Förderung erhalten. Worum wird es gehen?
Lasser: Wir wollen verstehen, welche Faktoren dazu beitragen, dass Verschwörungstheorien populär werden. Dazu haben wir verschiedene Hypothesen: Einerseits die emotional aufgeladene Sprache, andererseits aber auch, dass Verschwörungstheorien versuchen, eine komplizierte Welt mit einfachen Mustern zu erklären.
Darüber hinaus werden wir auch ökonomische Aspekte untersuchen, denn es kann auch wirtschaftliche Interessen an der Ausbreitung von Verschwörungsmythen geben. Zum Beispiel haben manche Leute während der Coronaproteste viel Geld damit verdient, Merchandise zu verkaufen oder Busreisen zu organisieren.
Popularität ist schwer zu messen. Wie werden Sie diese Hypothesen überprüfen?
Lasser: Uns liegt ein riesiger Datensatz an öffentlichen Gruppenchats vor, die auf der Plattform Telegram während der Coronapandemie im deutschsprachigen Raum gesammelt wurden. In diesen Texten können wir nachvollziehen, welche Verschwörungstheorie wann beliebt wurde, indem wir Wörter identifizieren, die typisch für einzelne Verschwörungsmythen sind.
Etwa findet sich das Wort "Adrenochrom" nur im Kontext einer Theorie, derzufolge Politiker:innen Kinderblut trinken. Zählen wir, wie oft dieses Wort in einem Zeitfenster in den Chats vorkommt, können wir die Popularität einer Verschwörungstheorie in dieser Nachrichtensammlung abschätzen. Mithilfe der Tools, die Mathias Angermaier im Rahmen seiner Masterarbeit bei uns entwickelt hat, funktioniert das automatisiert für große Datenmengen.
Telegram ist ein bloßer Nachrichtendienst. Andere soziale Medien nutzen dagegen einen Empfehlungsalgorithmus, um die Timelines der Nutzer:innen zu bespielen. Wirkt sich dieser Unterschied auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien aus?
Lasser: Um das zu verstehen, werden wir die Verbreitung einer Theorie auf Telegram mit ihrer Popularität auf rechten Twitter-Klonen vergleichen, also auf sozialen Medien, die im Wesentlichen Kopien von Twitter sind. Im Gegensatz zu Telegram besitzen diese Seiten aber eine algorithmische Moderation. Die Hypothese ist, dass Verschwörungstheorien dort schneller groß werden.
Bisherige Strategien gegen Verschwörungstheorien und Desinformation konzentrieren sich auf Faktenchecks - mit mäßigem Erfolg. Woran liegt das?
Lasser: Faktenchecks funktionieren aus mehreren Gründen nicht. Der erste Grund ist die Zeitverzögerung: In der schnelllebigen Welt der sozialen Medien bekommt ein Stück Content die meiste Aufmerksamkeit in den ersten 24 Stunden, nachdem es online geht. Fact-Checking braucht dagegen üblicherweise zwei bis drei Tage, bis es veröffentlicht wird. Zu dem Zeitpunkt ist die Aufmerksamkeit aber bereits weitergezogen.
Das zweite Problem ist der sogenannte Backfiring-Effekt: Faktenchecks werden als Versuche der "Gegenseite" wahrgenommen, ihre Agenda durchzubringen, was der Desinformation oder der Verschwörungstheorie wieder Glaubwürdigkeit verleiht. Bisher waren die Strategien also wenig erfolgreich. Doch aufbauend auf unserer Forschung könnten sich neue Ansätze ergeben, die Verbreitung von Verschwörungsmythen und Fake News einzudämmen.
Eine Strategie wäre, zweifelhaften Content einfach zu entfernen. Was halten Sie davon?
Lasser: Es geht nicht darum, welcher Content gelöscht werden soll, sondern um das Moderieren von Aufmerksamkeit. Wenn Inhalte etwa dazu beitragen, unseren zivilen Diskurs zu gefährden, sollten wir ihnen nicht so viel Reichweite geben. Dabei handelt es sich aber um einen Aushandlungsprozess, wo auf der einen Seite demokratische Werte und der zivile Diskurs stehen, auf der anderen Seite die freie Meinungsäußerung.
Aktuell wird dieses Spannungsverhältnis vom Gewinninteresse der Plattformen moderiert, die Aufmerksamkeit maximieren wollen. Mein Standpunkt ist, dass die sozialen Medien mittlerweile so bedeutsam für den öffentlichen Informationsaustausch sind, dass wir uns als Gesellschaft einen anderen Weg überlegen sollten. Wie wir das Verhältnis zwischen freier Meinungsäußerung und zivilem Diskurs setzen, kann aber nicht die Forschung allein entscheiden. Hier muss gesellschaftlicher Konsens gefunden werden.
Zum Projekt
Verschwörungstheorien erfreuen sich immer größerer Beliebtheit - mit möglicherweise katastrophalen Folgen für unsere demokratischen Gesellschaften. Um ihren Einfluss zurückzudrängen, müssen wir aber verstehen, welche sozialen, psychologischen und ökonomischen Faktoren Verschwörungsmythen so erfolgreich machen. Diese Fragestellungen stehen im Zentrum des Projekts der Komplexitätsforscherin Jana Lasser, die computergestützt aus riesigen Datenbergen die Erfolgsrezepte von Verschwörungen destilliert. Darüber hinaus sollen technologische Unterschiede zwischen Plattformen berücksichtigt werden. Lasser hofft, so neue Strategien gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien zu finden.
Mehr Informationen
Rückfragehinweis: Ingrid Ladner Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at/
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