Auf der Suche nach dem europäischen Internet
Google hat sich weltweit als Standardsuche im Internet etabliert. Welche sozialen und politischen Implikationen das hat, untersucht die Sozialwissenschaftlerin Astrid Mager in Wien. Darüber hinaus hat sie sich alternative Suchmaschinenprojekte in Europa angesehen. Aspekte wie Datenschutz und öffentliche Teilhabe an Wissen stehen hier im Vordergrund. Sie könnten die Basis für eine wertebasierte europäische Suchinfrastruktur sein, noch fehlt allerdings der politische Wille.
Seit das Coronavirus unser Leben bestimmt, hat sich die Welt ins Digitale verlagert. Die großen IT-Konzerne boomen. So sind beispielsweise die Nutzer:innenzahlen des im Silicon Valley beheimateten Unternehmens Zoom innerhalb eines Jahres von 10 Millionen im Jahr 2019 auf über 200 Millionen pro Monat angewachsen. Der Marktführer für Videokonferenzen hält nicht nur unsere privaten Verbindungen aufrecht, die Anwendung kommt auch in Schulen, Firmen oder Universitäten zum Einsatz. "Dieser Digitalisierungsschub ist nicht geordnet passiert, sondern aus der Krise heraus. Doch was jetzt implementiert wird, wird die nächsten Jahrzehnte bleiben", warnt Astrid Mager vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Daran lasse sich gut beobachten, wie sich Technologie in unserer Gesellschaft verfestige, sagt die Technikforscherin.
Seit Jahren beschäftigt sich Mager mit der Frage, wie Algorithmen unser Leben bestimmen. In dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Habilitationsprojekt "Algorithmische Imaginationen" hat sie ihren Fokus auf das Spannungsfeld gelegt, das sich zusehends zwischen globalen Suchmaschinen und europäischen Wertesystemen auftut. Die Praktiken von US-basierten Firmen wie Google, Microsoft und Co werden gerade in Europa kritisch betrachtet. Denn sie bauen ihre Geschäftsmodelle auf den Daten der User:innen auf, was zu Debatten rund um Privatsphäre in Zeiten des "Überwachungskapitalismus" führt und nicht zuletzt die Frage aufwirft, durch welche Suchfenster wir die Welt sehen wollen.
Der Technologie-Vorsprung aus dem Silicon Valley
Da scheint die Frage nach Alternativen berechtigt, etwa, wo ein europäisches Google bleibt. Oder wo es nichtkommerzielle Suchmaschinen gibt und welche Digitalisierungsstrategie die Europäische Union verfolgt. Eine nüchterne Antwort liefern Zahlen: Der Marktanteil der Suchmaschine von Google liegt in Europa mit 93 Prozent sogar über dem in den USA. Der Konzern ist mit dem Beginn des Internets groß geworden, baut seitdem seinen Index - eine Datenbank des ganzen Netzes - auf und gestaltet die Suchpraktiken mit. Fast drei Jahrzehnte Vorsprung an Technologieentwicklungen und Datenaufbau sind schwer aufzuholen. "Hier fängt das Problem an", bestätigt Mager. "Kleinere kommen an das schwer heran. Wir sind damit abhängig von wenigen Silicon-Valley-Firmen, die auch in der künstlichen Intelligenz Vorreiter sind. Das bedeutet aber auch, dass diese Konzerne nicht nur unsere Technologien, sondern auch unsere Visionen für die Zukunft prägen", gibt die Forscherin zu bedenken.
Zugang zu Wissen ist öffentliche Aufgabe
Einen öffentlich finanzierten und freien Web-Index gibt es bis jetzt weltweit nicht. Die Initiative Open Web Index verfolgt diese Idee seit 2015 und ist eines von drei Fallbeispielen aus Europa für alternative Suchmaschinen, die Mager in ihrem aktuellen Projekt untersucht. Open Web Index ist im akademischen Umfeld in Deutschland entstanden. Daraus hat sich eine zweite Teilgruppe entwickelt, die Open Search Foundation. Das Ziel ist, einen eigenen, möglichst umfassenden Index aufzubauen, auf dessen Datenbasis Suchmaschinen unterschiedlicher Art aufsetzen können. „Im europäischen Kontext wäre eine eigene Infrastruktur schlüssig, da wir stark auf Regulierung setzen und hier auch viel passiert ist in den vergangenen Jahren, wenn man an die Datenschutzgrundverordnung oder das Recht auf Vergessen denkt“, sagt Mager. Sie vergleicht die Internetsuche mit Basisinfrastruktur wie der Straßen- oder Wasserversorgung. Wird diese Grundversorgung privatisiert, fördert das die soziale Ungleichheit und kann Demokratien ins Wanken bringen. Zugang zu Wissen für alle auf demokratischen Prinzipien zu ermöglichen, sollte daher eine staatlich finanzierte oder angesichts der Größe der Investition eine EU-finanzierte Aufgabe sein, wie Magers Fallstudienpartner:innen betonen. So sind Büchereien und Bibliotheken entstanden. Heute sind Suchmaschinen die Gatekeeper, die Wissen und Informationen zugänglich machen
Diversifizierte Suchmaschinen für spezielle Anforderungen
Wissen transparent und basisdemokratisch zu erschließen, das ist das Grundprinzip der deutschen Suchmaschine YaCy. Die Anfänge des Community-getriebenen Projektes reichen ins Jahr 2003 zurück und sind in der freien Softwareszene verankert. Bei regelmäßigen „OpenTechSummits“ passiert viel an Technikentwicklung auf dem Peer-to-Peer-Prinzip. Alle Beteiligten tragen zum Aufbau eines offenen Index bei, der verteilt auf den Rechnern der Nutzer:innen liegt. Das heißt aber auch, dass die Suchergebnisse davon abhängen, wie viele User:innen online sind. Ob so jemals ein vollständiger Index entstehen kann, bleibt offen. Seit 2016 wird auch an dem Open-Source-Sprachassistenten SUSI.AI und damit an einer Alternative zu Alexa und Siri gearbeitet. Mager ortet hier eine Lücke im europäischen Förder- und Ausschreibungssystem dahingehend, Projekte wie YaCy oder SUSI.AI zu unterstützen. Gleichzeitig müsse eine Suchmaschine nicht alles abdecken, sagt sie. „Es könnte Special-Interest-Suchmaschinen mit kleinerem Umfang etwa für den akademischen Bereich oder für investigative Journalist:innen geben.“
Einen anderen Ansatz verfolgt das Unternehmen Startpage (vormals IxQuick) mit Sitz in den Niederlanden und firmeneigenen Servern. Die nach eigenen Angaben „sicherste Suchmaschine der Welt“ wird inzwischen vor allem im deutschen Sprachraum stärker genutzt. Startpage benutzt zwar die Suchergebnisse von Google, erfasst aber die Daten (IP-Adressen) der Nutzer:innen nicht und verzichtet damit auf personalisierte Werbung. Nur anhand der eingegebenen Suchwörter werden zum Thema passende Anzeigen zur Finanzierung genutzt. Dass Startpage die Privatsphäre von Nutzer:innen respektiert und technisch implementiert, brachte der Firma die Auszeichnung des Europäischen Datenschutz-Gütesiegels ein.
Der Monopolisierung Alternativen entgegensetzen
Die Fallbeispiele würden zeigen, dass es immer ein Balanceakt sei, soziale Werte und Normen in Technologie umzusetzen, fasst Mager zusammen. Dabei müsse man auch Kompromisse eingehen, um handlungsfähig zu bleiben. Will Europa sich von kommerziellen Suchmaschinen lösen und eine unabhängige Infrastruktur aufbauen, braucht es nicht nur die entsprechende Finanzierung, sondern zunächst den politischen Willen. Doch den sieht die Sozialwissenschaftlerin derzeit nicht. Letztendlich sei es auch eine Lobbying-Aufgabe, Großinvestitionen in Milliardenhöhe im Format eines "Human Genome Project" durchzusetzen.
Mager sieht es jedoch als gesellschaftliche Aufgabe, der Monopolisierung etwas entgegenzusetzen. Würde es einen offenen Web-Index geben, könnte Europas kulturelle, wirtschaftliche und politische Diversität eine Landschaft von verschiedenen Suchmaschinen hervorbringen, skizziert sie einen möglichen Weg. Was jedenfalls immer deutlicher wird: Neben der Technik braucht es auch die Governance, um wichtige Fragen darüber zu beantworten, wer unsere Inhalte moderiert, anhand welcher Richtlinien, und wer künftig die Hoheit über öffentliche Debatten und unsere Sicht auf die Welt behalten will: öffentliche Einrichtungen, Bürger:innen oder Firmen auf Basis ihrer Geschäftsmodelle.
Zur Person
Astrid Mager ist Senior Postdoc am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Lektorin am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien. Sie beschäftigt sich mit den sozialen, kulturellen, politischen und ethischen Implikationen einer von Algorithmen durchsetzten Gesellschaft. Ihr Habilitationsprojekt „Algorithmische Imaginationen. Visionen und Werte in der Gestaltung von Suchmaschinen“ (2016–2022) wird vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Richter-Programms mit 332.000 Euro gefördert. Mager ist seit 2018 u. a. Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Sie twittert unter @astridmager.
Vortrag
Am Dienstag, den 22. Februar 2022 präsentiert Astrid Mager ihre Arbeiten live und im Stream in dem Vortrag: Algorithmische Imaginationen. Von der kapitalistischen Ideologie zur Suchmaschinen-Diversität? Beginn: 17 Uhr, ÖAW
Publikationen
Mager, A., Katzenbach, C.: Future imaginaries in the making and governing of digital technology: Multiple, Contested, Commodified, in: New Media & Society 2020
Mager, A.: Search engine imaginary: Visions and values in the co-production of search technology and Europe, in: Social Studies of Science 2016
Mager, A.: Algorithmic Ideology – How capitalist society shapes search engines, in: Information, Communication & Society 2012 (pdf)
Wissenschaftlicher Kontakt Dr. Astrid Mager Institut für Technikfolgen-Abschätzung Österreichische Akademie der Wissenschaften Apostelgasse 23 1030 Wien T +43 1 51581-6598 astrid.mager@oeaw.ac.at www.oeaw.ac.at/ita Wissenschaftsfonds FWF Ingrid Ladner Redaktion scilog Sensengasse 1 1090 Wien T +43 1 505 67 40-8117 ingrid.ladner@fwf.ac.at https://scilog.fwf.ac.at https://twitter.com/fwf_at