Hass im Netz: ÖAW sieht in Sozialen Medien Gefahr für Demokratie in Österreich
Plattformen wie TikTok, X, Instagram, Facebook und Co. sind heute fester Bestandteil unseres Alltags – und zu einem dominierenden Faktor in der Meinungsbildung geworden. Dass soziale Medien aktiv zur Manipulation von Meinungen genutzt werden und politisch motivierte Akteur:innen dies gezielt tun, ist spätestens seit dem Aufdecken des Datenskandals um Facebook und Cambridge Analytica im Jahr 2018 belegt.
Eine neue Stellungnahme der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) legt nun eine Bestandsaufnahme vor, die Potenziale und Probleme von Social Media für die Demokratie analysiert und daraus Empfehlungen für die Politik ableitet. Diese wurde bei einem Dialogforum in Kooperation mit dem Österreichischen Parlament am 26. Februar 2024 im Hohen Haus präsentiert. Die Frage, ob Soziale Medien eine Gefahr für unsere liberale Demokratie sind, beantworten die an der Stellungnahme beteiligten Wissenschaftler:innen eindeutig mit Ja - und sie sprechen konkrete Empfehlungen an die Politik aus, wie einen "Digitalen Ordnungsruf" oder einen eigenen Ethikrat für politische Werbung auf Social Media.
Faktentreue spielt auf Social Media eine Nebenrolle
Die Forscher:innen zu denen unter anderem Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin, Rechtswissenschaftlerin Magdalena Pöschl und Technikfolgenforscher Stefan Strauß zählen, verstehen unter Sozialen Medien Online-Plattformen, deren Geschäftsmodell im Verkauf personalisierter Werbung und im Data Mining, also der automatischen Auswertung großer Datenmengen, besteht. Die Algorithmen richten sich folglich auf die Optimierung der Wirtschaftlichkeit dieser beiden Aspekte aus. Die Folge: Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit – und damit Einnahmen – spielen Meinungsvielfalt und Faktentreue eine Nebenrolle.
Das ist auch deswegen problematisch, so die Forscher:innen, weil die sozialen Medien vor allem für jüngere Menschen zu einer wesentlichen Quelle von Nachrichten geworden sind, für Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren sogar zur Hauptnachrichtenquelle. Gleichzeitig zeigen Analysen des Nutzungsverhaltens, dass nur rund 22 Prozent der User:innen aktiv posten. Besonders häufig melden sich dabei Vertreter:innen der politischen Ränder zu Wort. Deren vorrangig negative, emotionale und polarisierende Postings sorgen auf den Plattformen wiederum für Reichweite und Aufmerksamkeit. Das Fazit der Wissenschaftler:innen: Der Diskurs in den Sozialen Medien wird hochpolitisiert von nicht repräsentativen, aber lautstarken Minderheiten geführt.
Vertrauen in Politik nimmt ab
Für die Demokratie in Österreich hat das zunehmend negative Auswirkungen: Das Vertrauen in die Politik nimmt ab, Populismus und Polarisierung steigen, sagen die Forscher:innen in ihrer Stellungnahme. Als Infrastruktur einer demokratischen Öffentlichkeit seien soziale Medien daher ungeeignet. Allerdings: Für Autokratien und sich entwickelnde Demokratien gelte das nicht. Hier zeigen sich vielmehr positive Auswirkungen der Sozialen Medien, die mehr Teilhabe, Transparenz und Information ermöglichen.
Empfehlungen der Expert:innen
Für die politischen Entscheidungsträger:innen in Österreich leitet die ÖAW aus ihrer Stellungnahme sechs Empfehlungen ab. Diese sollen die demokratischen Grundprinzipien im Zusammenspiel mit Sozialen Medien stärken. Im Sinne der ["Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft"] (https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/NEWS/2023/pdf/Wiener-Thesen.pdf), die von ÖAW und der deutschen Leopoldina 2023 verfasst wurden, nimmt die Wissenschaft damit ihre Rolle als unabhängige Beratungsinstanz für Politik und Gesellschaft wahr und will Handlungsoptionen aufzeigen.
* Verhaltenskodex: Abgeordnete zum Nationalrat sollten sich im Sinne ihrer Vorbildfunktion einen "Code of Conduct" für das Verhalten in den Sozialen Medien auferlegen. Dieser kann eine selbstregulierende Funktion haben und bei Missachtung einen "Digitalen Ordnungsruf" nach sich ziehen.
* Ethikrat: Parallel zum Österreichischen Werberat kann ein Ethikrat für politische Werbung und PR in Sozialen Medien dazu beitragen, grundlegende Standards einzuhalten.
* Monitoring: Inhalte, Nutzungsverhalten und Reichweiten der politischen Kommunikation regelmäßig zu erheben, ermöglicht Transparenz und neue Handlungsableitungen.
* Reform der Medienförderung und Inseratenvergabe, um Qualitätsmedien zu ermöglichen, wirkungsvoll als "Gatekeeper" im öffentlichen Diskurs zu agieren.
* Stärkung der demokratischen Kontrolle über digitale Plattformen: Über "Digital Services Act" (DSA) und "Digital Markets Act" (DMA) hinaus Transparenzbestimmungen für die eingesetzten Algorithmen fordern. Schaffung Sozialer Medien in öffentlichem Eigentum unterstützen, die demokratischer Kontrolle unterliegen und freie, öffentliche Diskursräume begünstigen.
* Stärkung von Medienkompetenz und demokratischer Bildung der Bevölkerung im Sinne eines lebenslangen Lernens.
Die Stellungnahme der ÖAW wurde von einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern und Mitarbeitenden der ÖAW aus unterschiedlichen Fachdisziplinen durchgeführt, bestehend aus: Ivona Brandić, Matthias Karmasin, Magdalena Pöschl, Barbara Prainsack, Sonja Puntscher-Riekmann, Michael Rössner, Stefan Strauß und ÖAW-Präsident Heinz Faßmann.
Rückfragehinweis: Sven Hartwig Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation Österreichische Akademie der Wissenschaften Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien T +43 1 51581-1331 sven.hartwig@oeaw.ac.at Wissenschaftlicher Kontakt: Matthias Karmasin Sprecher der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung Österreichische Akademie der Wissenschaften Bäckerstraße 13, 1010 Wien T: +43 1 51581-3100 matthias.karmasin@oeaw.ac.at
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